Mexiko
30. Oktober 2006Der mexikanische Präsident Vicente Fox tritt den letzten Monat seiner Amtszeit an. Er genießt größere Beliebtheit innerhalb der Bevölkerung als andere lateinamerikanische Staatsoberhäupter. Viele Mexikaner werden daher die Entsendung von Polizeitruppen nach Oaxaca begrüßen - auch wenn dies erst nach 160 Tagen geschehen ist, in denen weder er noch das Kabinett viel unternommen haben, um die Besetzung der Stadt durch gewerkschaftsnahe Aufwiegler zu beenden.
Unruhen seit fünf Monaten
Fünf Monate lang hatte sich die Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca, eine außerparlamentarische Bewegung, sowie eine Gruppe organisierter Lehrer geweigert einen demokratisch gewählten Gouverneur anzuerkennen. Sie besetzen eine Radioanstalt, bemächtigten sich eines örtlichen Kongressgebäudes, entführten Journalisten, errichteten Barrikaden innerhalb des gesamten Stadtgebietes und verursachten somit einen Ausnahmezustand - ohne dass staatlichen Kräften eingriffen hätten, um die Bürger zu schützen. Der Konflikt kostete bisher fünfzehn Personen das Leben. Durch den Einsatz der Bundespolizei, durch Einheiten des Militärs unterstützt, konnte die Situation nun entschärft werden.
Jedoch garantieren weder die Popularität des konservativen Fox noch der Einsatz der militarisierten Polizeikräfte eine endgültige Beilegung des Konflikts. Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen im Juli weiß man, dass die Sympathien für den mexikanischen Präsident nicht unbedingt gleichbedeutend sind mit dem Gutheißen seiner Amtsführung. Vor allem aber lässt das Auftreten der mexikanischen Bundespolizei grundlegende Zweifel aufkommen.
Willkür und Vergewaltigung
Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Nationale Menschenrechtskommission in Mexiko einen Bericht über eine Polizeioperation, die am 3. und 4. Mai dieses Jahres in San Salvador Atenco, nahe der Hauptstadt, durchgeführt worden war. In diesem Bericht wurden etliche Entgleisungen der Bundespolizei festgestellt: Willkürliche Verhaftungen, brutales, unmenschliches Vorgehen, Hausfriedensbruch, illegaler Gewahrsam bis hin zu sexuellem Missbrauch einschließlich Vergewaltigung. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Der mexikanische Ombudsmann berichtete bereits am 11. Oktober dieses Jahres von ähnlichen Gewaltakten der Bundespolizei in Michoacán im vergangenen April.
Eines haben alle Konflikte gemeinsam: Sowohl in Atenco als auch in Michoacán oder Oaxaca schafft das Fehlen von Institutionen Räume, die von Gruppen ausgenutzt werden, deren Ausmaß an Unzufriedenheit und Legitimität oftmals nicht eindeutig zu benennen sind. Dies lässt sich zum einen auf die soziale Ungerechtigkeit, aber auch auf die Verantwortungslosigkeit der politischen Klasse zurückführen. Dass sich der Konflikt über mehr als drei Monate lang ausweiten konnte, liegt daran, dass die Partido Revolucionario Institucional, also die Partei, welche über siebzig Jahre lang die Regierung stellte, weiterhin ihren Einfluss in Oaxaca sichern möchte. Die Partei des Präsidenten Fox, Partido Acción Nacional, war jedoch offensichtlich einverstanden, nicht in Oaxaca zu intervenieren, wenn ihr Präsidentschaftskandidat Felipe Calderón am 1. Dezember bei einer mehr oder weniger friedlichen Zeremonie die Amtsgeschäfte wird antreten können.
Die vier Toten vom vergangenen Freitag, unter ihnen ein amerikanischer Kameramann, haben jedoch alles verändert. Am Wochenende sah sich Fox gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und ein Signal zu setzen.
Hunderte Barrikaden
Trotzdem bringt die Polizeiaktion in Oaxaca schwierige Herausforderungen mit sich. Die Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca konnte ihre Herrschaft auf die gesamte Landeshauptstadt von Oaxaca ausdehnen und errichtete im gesamten Stadtgebiet hunderte, vielleicht tausende von Barrikaden. Ihre Anhänger verfügen über Gewehre, Molotowcocktails und haben sich seit Wochen darauf vorbereitet einem solchen Polizeieinsatz mit Gewalt zu begegnen.
Dieses Dilemma wird wohl das Ende der Präsidentschaft von Fox und vielleicht sogar sein Bild in der Geschichte markieren. Durch die Entsendung der Truppen hat das scheidende Oberhaupt sich öffentlich der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung verschrieben. Wenn jedoch die Polizei nicht so vorgeht, wie es sich in einer Demokratie gehört, könnte der mexikanische Präsident bald dabei zusehen, wie seine Popularität, sein Ansehen und sein Bestreben, dem Parteikollegen Calderón ein friedliches Land zu übergeben, untergehen.