Fotokunst in Games
9. Dezember 2013Manche Computerspiele kauft Martin Geisler nur, um sie zu "fotografieren". Er durchforscht die riesige virtuelle Welt auf der Suche nach Motiven. Es geht ihm dabei nicht um den bloßen Screenshot, sondern darum, Momente des Spiels festzuhalten, die kein Programmierer so geplant und kein Spieler so gesehen hat.
Geisler ist Professor für Medien- und Kulturpädagogik in Jena und leitet das Erfurter Institut für Computerspiel "Spawnpoint". Seit etwa fünf Jahren experimentiert er damit, seine beiden Hobbys, die Fotografie und das Spielen, miteinander zu vermischen. Mit der In-Game-Fotografie ist das möglich.
Mehr als ein Tastendruck
Voraussetzung dabei sei, so Geisler, ein eigener kreativer Anteil. "Ich versuche, Kulissen zu inszenieren oder Ausschnitte zu komponieren, die ein Spieler normalerweise nicht sieht." Das gelingt Geisler beispielsweise über sogenannte Cheats. Das sind kleine Tricks und Programme, die dem Spieler ermöglichen, Aktionen durchzuführen, die ursprünglich nicht vorgesehen sind. Geisler kann mit solchen Cheats die Kameraperspektive verändern oder verhindern, dass Feinde seine Spielfigur angreifen. Oft bearbeitet er die Bilder später noch.
Die Spiele selbst müssen keine grafischen Meisterwerke sein, um zur Motivsuche anzuregen: "Minecraft ist potthässlich", findet Sebastian Radtke, ebenfalls In-Game-Fotograf. Der Spieler baut aus Blöcken eine Welt zusammen, was nachher aussieht wie eine Art digitales Lego. Hier kommt es beim In-Game-Fotografieren drauf an, welche Perspektive man wählt oder wo Linien verlaufen. Wenn man hier den richtigen Blick habe, dann werde aus Pixeln ein Kunstwerk, so Radtke. Diese Werke hält er gern fest – und schafft damit wiederum Kunst, wie er findet: "Ich will damit ja etwas ausdrücken."
Wieviel davon ist Kunst?
Auch Geisler glaubt, dass die In-Game-Fotos künstlerischen Wert haben können: "Wenn der Fotograf damit eine Botschaft senden, eine Geschichte erzählen will. Da kann es um Liebe gehen, aber auch um Umweltschutz oder Drohnenkriege." Auf diesem hohen Level gebe es aber nur wenige Dutzend In-Game-Fotografen. Sich selbst zählt er nicht dazu: "Ich bin eher wie ein Hobby-Fotograf. Ich mache Bilder, weil ich Emotionen damit verbinde."
Eva Bertram, Dozentin an der Berliner Neuen Schule für Fotografie, hält einen künstlerischen Anspruch für absurd: "Ein Fotograf setzt sich der Umwelt und vielleicht auch Gefahren aus. Das kann man nicht damit vergleichen, sich in einer virtuellen Welt aufzuhalten." Sie sieht in der In-Game-Fotografie eher eine Liebhaberei. "Aber für Kunst gelten andere Kriterien, zum Beispiel Konzeption oder Kontextualisierung, Bezüge zu anderen Künstlern, und die Frage: Was für eine Idee steht hinter dem Bild?"
Auch die Künstlichkeit der Spielewelt stellt für Bertram ein Problem dar. Bilder von Spielfiguren beispielsweise könnten sie nicht so berühren wie die Portraits echter Fotografen wie August Sander: "Bei Sander hat man das Gefühl, dass die Menschen gleich aus dem Bild heraustreten. Bei In-Game-Fotografien geht das nicht. Das ist kein menschliches Antlitz." Gegen die Leere hinter der Textur hilft also auch die beste Grafik nicht.
Wem gehört die Spielewelt?
Ob In-Game-Fotografen mit ihren Werken etwas Künstlerisches schaffen, ist auch für Juristen interessant. Denn die Fotografen bedienen sich einer künstlichen Welt, die den Spieleherstellern gehört, und veröffentlichen ihre Fotos oft im Netz, etwa auf der Fotoplattform Flickr. "Die Unternehmen können eine Unterlassungserklärung fordern und Schadensersatzansprüche geltend machen", erklärt Daniel Elgert, Anwalt für Urheberrecht.
Allerdings müssen die Spielehersteller nicht zwangsläufig Recht bekommen: Wenn die Fotografen genügend eigene Kreativität einbringen, schaffen sie damit ein eigenes Werk – und bekommen selbst Rechte. Außerdem laufe das Programmieren heute oft automatisch ab, sagt Elgert. "Da fragt man sich schon, ob zum Beispiel so ein Baum überhaupt eine schöpferische Leistung ist."
Kopieren ist normal
Die Unternehmen lassen In-Game-Fotografen oft gewähren. "Für die ist das ja auch eine nette Werbung", meint Elgert. "Außerdem sind Unternehmen, die abmahnen lassen, verhasst. Da tut man sich keinen Gefallen." Sicherer sei es aber, vorher mit den Unternehmen zu klären, ob man deren Spiele nutzen dürfe.
Martin Lorber, Sprecher von Electronic Arts empfiehlt, in jeden Fall die Rechte zu klären. Vor allem, wenn man damit Geld verdiene, könne es problematisch werden. "Aber grundsätzlich freuen wir uns darüber, wenn sich Menschen kreativ mit unseren Spielen beschäftigen."
Markus Wiemker ist Professor für Gamedesign an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Stuttgart. Er hat selbst schon an Adventures und Rollenspielen mitgearbeitet und freut sich, wenn Gamer sich künstlerisch mit Spielen auseiandersetzen: "Man geht in unserer Branche grundsätzlich davon aus, dass kopiert wird. Man baut ja immer auf Bestehendem auf, selbst wenn man ein neues Spielprinzip erfindet."
Egal, ob man in der In-Game-Fotografie nun Kunst oder Kopien sieht, sie bietet eine neue Perspektive auf Computerspiele. Geislers und Radkes Bilder zeigen, dass die Spiele mehr sein können als bloß ein Mittel, Zeit totzuschlagen. Sie legen den Fokus auf die schöpferische Seite von Shootern, Strategie- und Rollenspielen: Sie machen aus der Kunst, ein Spiel zu designen, die Kunst, die Kreationen der Designer eindrucksvoll in Szene zu setzen. In der Musik gibt es längst einen Begriff dafür: Remix.