Erste Details zum Missbrauchs-Skandal
27. Juni 2016Zwei Jahre nach dem Start des Forschungsprojekts zum Missbrauch in der katholischen Kirche haben die leitenden Forscher Zwischenergebnisse vorgelegt. Aus einer Metaanalyse bereits vorhandener Studien haben sie Aussagen zu Täter- und Opferstruktur gewonnen. Die Täter sind danach in erster Linie Gemeindepfarrer und andere Priester (über 80 Prozent). Ein knappes Drittel der Täter weist eine emotionale oder sexuelle Unreife auf, jeder Fünfte ist von einer Persönlichkeitsstörung betroffen, für rund 18 Prozent wurden Merkmale von Pädophilie angegeben. Alkoholabhängig seien gut 13 Prozent der Täter, so die Studie.
Die Daten wurden durch eine Meta-Analyse, also ein Übereinanderlegen von insgesamt 53 vorhandenen Studien aus verschiedenen Ländern gewonnen. Neben Deutschland gehören dazu mehrere westeuropäische Länder sowie unter anderem die USA, Kanada und Australien. Insgesamt haben die Wissenschaftler in den Studien 14.588 Taten untersucht.
Bei der Mehrheit der Missbrauchsfälle handelt es sich demnach um geplante Handlungen (52,2 Prozent). Auf häufigsten ereigneten sich Übergriffe in der Wohnung des Täters (24,2 Prozent), am zweithäufigsten in einer Schule (12,8 Prozent), gefolgt von öffentlichen Plätzen (10,4 Prozent) und von Übergriffen vor oder nach dem Gottesdienst (9,3 Prozent) in der Kirche oder in angrenzenden Räumen.
Ein weiteres Ergebnis der Forscher um den Psychiater Harald Dreßing ist, dass drei Viertel der Taten in der katholischen Kirche sogenannte Hands-on-Handlungen sind, bei denen das Opfer mindestens angefasst wurde. Am häufigsten ging es dabei um Anfassen oberhalb (23 Prozent) und unterhalb (21 Prozent) der Kleidung. In 17 Prozent der Fälle kam es zu Geschlechts-, in zwölf Prozent zu Oralverkehr. Damit gebe es bei fast einem Drittel der Taten eine erhebliche Schwere, sagte der Kriminologe Dieter Dölling bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin.
Die Opfer litten nach der Tat überwiegend an psychischen Folgen wie Angststörungen oder Depressionen (64,2 Prozent), gefolgt von verhaltensrelevanten Folgen wie einem sozialen Rückzug (23,2 Prozent) und körperlichen Folgen wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen (12,6 Prozent).
Opfer meist männlich
Ein weiteres Ergebnis der Forscher ist, dass die Täter innerhalb der Kirche wie in anderen Institutionen auch hauptsächlich männlich sind. Bei den Opfern gibt es aber Unterschiede: Während in Schulen und anderen nicht-kirchlichen Institutionen häufiger weibliche Betroffene (55 Prozent) verzeichnet wurden, sind die Opfer bei Taten in der Kirche überwiegend männlich (79 Prozent), berichtete Harald Dreßing vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim.
Online-Umfrage beginnt
Das gesamte Forschungsprojekt, das aus sechs Teilprojekten besteht und im vergangenen Jahr begonnen wurde, soll Ende 2017 abgeschlossen sein. Das Forscherkonsortium um den Forensiker Dreßing will in den anderen Teilprojekten unter anderem Personal- und Strafakten auswerten. Zudem soll es eine biografische Befragung von Tätern und Opfern und einen Vergleich mit anderen Institutionen geben. An diesem Montag beginnt eine Online-Umfrage, die sich ebenfalls an Opfer richtet.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die 27 Diözesen haben die umfangreiche Studie in Auftrag gegeben, um Umfang und Hintergründe sexuellen Missbrauchs in der Kirche aufzuklären. Als erste große Institution hatte die katholische Kirche in Deutschland bereits 2010 ein Konzept zur Entschädigung der Opfer von sexuellem Missbrauch vorgelegt. Demnach erhalten Betroffene, die durch Priester oder andere Mitarbeiter der katholischen Kirche missbraucht wurden, jeweils bis zu 5000 Euro. In begründeten Einzelfällen werden auch höhere Summen gezahlt.
stu/rb (dpa, epd, kna)