Bange Minuten nach Crash in Silverstone
3. Juli 2022Der Große Preis von Großbritannien war noch keine zehn Sekunden alt, da hielt die Formel-1-Welt den Atem an: Nach einem Unfall, in den mindestens fünf Fahrzeuge verwickelt waren, flog der Chinese Guanyu Zhou mit hoher Geschwindigkeit Funken schlagend in seinem umgedrehten Alfa-Romeo mehrere hundert Meter zunächst über den Asphalt. Auch das Kiesbett hielt ihn nicht auf. Sein Wagen überschlug sich noch einmal, flog über die Reifenstapel, um in gut drei Meter Höhe in den Fangzaun einzuschlagen, zu dessen Füßen er schließlich zum Stillstand kam.
Sein Konkurrent George Russell, der mit seinem Mercedes ebenfalls in den Crash verwickelt war, rannte aus seinem Fahrzeugwrack hin zu Zhou, um mit bedrückter Miene zurückzukehren. Im Fernsehen wurden zunächst keine Wiederholungen des Vorfalls gezeigt - das ließ das Schlimmste vermuten. Doch während einige lädierte Fahrzeuge teils auf drei Rädern den Weg in die Boxengasse suchten, drangen erste Informationen zum Gesundheitszustand des 23-Jährigen durch. Er sei bei Bewusstsein, habe auch keine äußeren Verletzungen und spreche, berichtete ein Mitarbeiter seines Rennstalls.
Kurze Zeit später kam aus dem Medical Centre die Bestätigung. Ohne den Cockpit-Schutz Halo wären die Auswirkungen sicher nicht so glimpflich gewesen, bestätigte nach dem Rennen Weltmeister Max Verstappen: "Ohne Halo wäre er wohl nicht mehr dabei."
Entwarnung vor dem Restart
Neben Zhou musste auch Alexander Albon behandelt werden. Sein Williams hatte im Verlauf des Starts gleich mehrere Einschläge in die Streckenbegrenzung und von anderen Fahrzeugen wegstecken müssen. Der Thailänder wurde mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen.
"Wir hatten überhaupt keinen Grip, und da habe ich die Seite von Zhou berührt - das war's", rekonstruierte Russell den Unfallhergang im TV-Sender Sky. Allerdings war er frustriert ob der Entscheidung der Rennleitung, ihn nicht weiterfahren zu lassen. Nachdem er seinen Boliden verlassen hatte, war der auf einem Abschleppwagen geladen worden. Russell argumentierte damit, dass er nur einen platten Reifen gehabt hätte und sein Auto noch in Box hätte steuern können. Doch, da der Mercedes schon am Haken hing, war es zu spät. In den Regularien steht, dass die Fahrer die Boxengasse eigenständig erreichen müssen.
Während Albon und Russell aufgeben mussten, konnten der Alpine-Fahrer Esteban Ocon und Yuki Tsunoda im Alpha Tauri nach der fast einstündigen Unterbrechung das Rennen in ihren reparierten Boliden fortsetzen. Der Restart erfolgte dann in der Reihenfolge des Qualifyings vom Samstag - ohne die zu stark beschädigten drei Fahrzeuge. Und es folgte das vielleicht spannendste und abwechslungsreichste Formel-1-Rennen der vergangenen Jahrzehnte.
Ein Taktikfehler kostet Leclerc den Sieg
Nicht weniger als sechs Fahrer kämpften um den Sieg: Bis zur 39. Runde sah es nach einem Triumph des Monegassen Charles Leclerc im Ferrari aus, doch eine defekte Benzinpumpe an Esteban Ocons Alpine führte zu einer virtuellen Safety-Car-Phase, in der alle Favoriten ihre Reifen wechselten - außer Leclerc. Nach der Wiederaufnahme musste der zunächst seinen Teamkollegen Carlos Sainz vorbeilassen, trotz spektakulärem und hartem Kampf auch Lewis Hamilton im Silberpfeil sowie Sergio Perez im Red Bull.
Für Leclerc reichte es am Ende nur zu Platz vier. Immerhin lag er damit noch drei Ränge vor seinem WM-Rivalen Max Verstappen. Der Weltmeister aus den Niederlanden hatte in der zweiten Rennhälfte offenbar technische Probleme an seinem Red Bull und musste sich in der Schlussphase sogar der Angriffe von Mick Schumacher erwehren.
Mick Schumacher fährt in die Punkte
Der Deutsche feierte im Haas als Achter die ersten WM-Punkte seiner Karriere. "Es hat lange genug gedauert, diese ersten Punkte zu holen", sagte Schumacher anschließend bei Sky. "Es hat alles geklappt, wir haben im richtigen Moment die Reifen gewechselt." Landsmann Sebastian Vettel wurde an seinem 35. Geburtstag im Aston Martin Neunter. "Ich glaube, das war in der Form nicht zu erwarten. Wir sind sehr konstant gefahren, und ich glaube, das Safety Car hat uns den siebten Platz gekostet. Nichts desto trotz freue ich mich über die beiden Punkte auch auch für Mick."
Unterdessen durfte sich Carlos Sainz über den ersten Sieg im 150. Grand Prix freuen: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist unglaublich", sagte Perez nach dem Rennen, "ein Sieg in Silverstone mit Ferrari. Das ist ein Tag, den ich nie vergessen werde."
Die beste Nachricht an diesem Nachmittag von Silverstone war allerdings die, dass Guanyu Zhou am Ende schon wieder so fit war, dass er die Siegerehrung vor Ort mitverfolgen konnte.