Folterprozess gegen Assad-System
5. Juni 2020Sie nannten es zynisch "Willkommensparty". Dass die aus Folter bestand, aus Schlägen, auch mit Gewehren, hat Feras Fayyad am eigenen Leib leidvoll erfahren müssen. Erst nach Stunden seien die Gefangenen "nach unten" gebracht worden, erinnert sich der syrische Regisseur bei seiner Aussage vor dem Oberlandesgericht in Koblenz. Dort hätten sie sich ausziehen müssen – und die Folter ging weiter. Schläge mit Kabeln, Stöcken, dann kaltes Wasser.
Fayyad ist der erste Betroffene, der in dem Prozess um zwei mutmaßliche Folterer in Koblenz vom schier unvorstellbaren Grauen im Gefängnis Al-Khatib in Damaskus berichtet. Der 35-jährige mit dem früh ergrauten Haar ist am zehnten Verhandlungstag nach einer Reihe von Ermittlern, Experten und Beamten der erste Zeuge, der die Folter nicht nur aus Erzählungen und Berichten kennt. Er hat sie erlebt und überlebt.
Fayyad beschreibt überfüllte Gemeinschaftszellen, in denen die Menschen versuchten, im Stehen zu schlafen. Er gibt zu Protokoll, Menschen gesehen zu haben, bei denen er nicht wusste ob sie noch lebten oder schon tot waren. Auch ein Kind habe er im Gefängnis der Abteilung 251 gesehen. Die Schreie, die er hörte, vermag Fayyad vor Gericht allerdings nicht in Worte fassen. "Aber eines Tages werde ich versuchen, das mit meinen Filmen zu beschreiben", sagt der Regisseur über seinen Übersetzer.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Nur wenige Meter von Fayyad entfernt sitzt der Mann, der für die Schmerzen und all dieses Leid Verantwortung tragen soll: Anwar R., ehemals hochrangiges Mitglied des syrischen Unterdrückungsapparates. Der 57-jährige ist der Hauptangeklagte in Koblenz. Im Rang eines Obersts leitete er die Abteilung 251 des syrischen Geheimdienstes, war zuständig für die Sicherheit der Hauptstadt Damaskus. Zur Last gelegt werden ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-facher Mord, Folter in mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung.
Der hagere Mann mit dem Schnauzbart ist der erste Angehörige des syrischen Regimes weltweit, der sich wegen des Vorwurfs, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, vor Gericht verantworten muss. Dass überhaupt deutsche Staatsanwälte vor deutschen Gerichten Syrer anklagen, die in Syrien andere Syrer gefoltert und ermordet haben sollen, wird durch das Völkerstrafgesetzbuch möglich. Das trat in Deutschland im Juni 2002 in Kraft. Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch gilt das sogenannte "Weltrechtsprinzip". Das heißt: Die deutsche Justiz kann Völkerrechtsverbrechen auch dann aufarbeiten, wenn sie nicht in Deutschland begangen wurden und Deutsche weder Täter noch Opfer sind.
Welt blickt auf Koblenz
Die Bedeutung der Koblenzer Verhandlung geht weit über den Hauptangeklagten Anwar R. und den zweiten Angeklagten Eyad A. hinaus. Das Unterdrückungssystem des Assad-Regimes insgesamt sitzt auf der Anklagebank. Entsprechend groß ist das Interesse. Internationale Pressevertreter sitzen im Verhandlungssaal 128. Der Zuschauerraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, vor allem mit Geflüchteten aus Syrien. Viele kommen von weit her, so wie Khalid aus Wismar oder Samir aus Nürnberg. Oder wie Wafa Mustafa aus Berlin.
Die syrische Aktivistin sitzt vor dem Gerichtsgebäude auf dem Boden, inmitten von 61 Fotos von Menschen, jedes geschmückt mit einer weißen Rose. Es sind die Bilder von Männern, Frauen, Kindern, die in syrischen Gefängnissen verschwunden sind.
Auf ihren Knien hält Mustafa das Bild ihres Vaters. Der wurde am 2. Juli 2013 verhaftet, erinnert sich die junge Frau an den Tag, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Seither hat sie nichts mehr von ihrem Vater gehört, weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Gegenüber der DW verweist sie auf die Arbeit des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte, SNHR. Dem SNHR zufolge belaufen sich allein die dokumentierten Fälle verschwundener und festgehaltener Personen auf knapp 130.000. "In genau diesem Moment werden Menschen in Syrien vom Assad-Regime gefangen gehalten und gefoltert", betont Mustafa. Ihre wichtigste Botschaft gilt den Angehörigen der im Foltersystem Verschwundenen: "Ihre Lieben sind nicht vergessen".
Der "Vernehmer"
Im Gerichtssaal kämpft Feras Fayyad mit der Erinnerung. Denn mit der kämen auch die Schmerzen zurück, gibt der Regisseur zu Protokoll. Schmerzen in Armen und Beinen zum Beispiel. Weil er an den Händen aufgehängt wurde, so, dass seine Fußzehen gerade den Boden berührten. Weil er mit Kabeln geschlagen wurde. Auch über eine Vergewaltigung berichtet Fayyad. Er habe sich wegen der Folgen später in der Türkei einer Operation unterziehen müssen.
Mehrfach sei er in Al-Khatib verhört worden, erzählt Fayyad. Dabei waren seine Augen verbunden und er musste auf dem Boden knien. Dennoch konnte er seine Umgebung teilweise erkennen. Und auch den Mann, den er immer nur den "Vernehmer" nennt. Nicht groß sei der gewesen, mit weißem Hemd und Krawatte immer gut gekleidet. Fayyad ist sich "zu 70 Prozent" sicher, dass der Vernehmer niemand anderes ist als der Angeklagte Geheimdienstoberst. Wenn er die Stimme Anwar R.´s hören könnte, würde das bei der Identifizierung helfen. Eine Stimmprobe aber verweigert Anwar R. über seinen Anwalt.
Mit Blicken hingegen habe ihn Anwar R. sehr wohl bedacht, erzählt Fayyad später gegenüber der DW. "Er hat versucht, psychologischen Druck auf mich auszuüben. Er hat mich die ganze Zeit angeschaut. Aber hier, wo ich mich sicher fühle, funktioniert das nicht." Er habe ihn überhaupt nicht beachtet, sagt der Filmemacher. Aber dann habe er Anwar R. in die Augen geschaut. "Da habe ich deutlich gemacht: Ich habe keine Angst vor dir. Du bist nichts."