Flüchtlingskrise erreicht die Westküste Griechenlands
11. April 2016Tryfonas Korontzis ist sich sicher: Diesen Sommer werden deutlich mehr Flüchtlinge versuchen, über die griechische Westküste nach Nordeuropa zu gelangen. "Wir machen uns bereit“, sagt der Chef der Küstenwache der griechischen Hafenstadt Patras im Interview mit der DW. Von der Stadt im Norden des Peloponnes fahren täglich Schiffe nach Italien. Es ist also kein Wunder, dass der Hafen eine Anlaufstelle für Flüchtlinge und illegale Einwanderer ist, die nach Nordeuropa wollen. Korontzis und seine Mitarbeiter sollen sie aufhalten.
Der Blick geht gen Westen
Im Jahr 2015 nutzte der Großteil der Flüchtlinge, die Richtung Norden wollten, noch die Balkanroute. In Patras blieb es verhältnismäßig ruhig. Das wird sich jetzt ändern. Durch die Schließung der Balkanroute sitzen 52.000 Flüchtlinge und Migranten in Griechenland fest, Zehntausende harren im inoffiziellen Flüchtlingscamp Idomeni an der Grenze zu Mazedonien aus. Viele orientieren sich nun gen Westen. Schon jetzt sind wieder mehr Menschen in den leeren Fabrikhäusern am Hafen von Patras - meist junge Männer, die nichts zu verlieren haben, sagt Korontzis. Die Zahl der Reisenden, die mit gefälschten Papieren oder versteckt in Ladeflächen oder leeren Benzintanks ihr Glück versuchen, sei ebenfalls gestiegen.
Organisierte Schmugglerkreise ermöglichen solche Überfahrten. "Die Organisierte Kriminalität ist hier gewaltig - und dabei spreche ich nicht nur von Migranten. Seit Januar 2014 haben wir etwa zwei Tonnen Rauschgift beschlagnahmt. Haschisch, Kokain, Heroin, Ecstasy und sogar Pillen, die mir vorher noch nie untergekommen sind. Hier gibt es alles, was man sich vorstellen kann“, sagt Korontzis.
Die spärlich bewohnte Westküste um Patras wird nur wenig kontrolliert. Sie ist damit für Schmuggler besonders reizvoll. Bei guter Wetterlage ist man mit dem Schnellboot in zwei oder drei Stunden in Italien, meint Korontzis. Bei den vielen Touristen im Sommer wird es außerdem schwer, Menschen mit gefälschten Papieren zu entdecken. Daher fordern viele, Flüchtlinge und Migranten von den westlichen Häfen komplett fernzuhalten.
Umstrittene Unterkünfte
Umso überraschender ist es, dass sich nur 45 Minuten von Patras entfernt eines der am besten ausgestatteten Flüchtlingslager in ganz Griechenland befindet. Die leer stehende Ferienhausanlage LM Village ist eine Reihe von Bungalows in der Nähe des Dorfes Myrsini. Seinen ursprünglichen Zweck erfüllt die Touristenunterkunft schon seit sieben Jahren nicht mehr. Der damalige Streit zweier Bezirke um die Anlage kommt jetzt den Flüchtlingen zugute. Seit Ende März werden sie hier untergebracht.
Möglich gemacht hat das vor allem der syrische Arzt Nabil-losif Morant. Vor mehr als zwanzig Jahren zog er in die Heimat seiner Frau auf den Peloponnes, seit einem Jahr ist er der erste ausländische Bürgermeister in ganz Griechenland. Noch erstaunlicher sind die Umstände seines Wahlsieges: Morants Verwaltungsbereich umfasst die Ortsgemeinschaft Manolada. Vor zwei Jahren wurde in dem Erdbeeranbaugebiet auf mehrere Dutzend Migranten geschossen, weil diese nach sechs Monaten ohne Bezahlung nach ihren Löhnen gefragt hatten. Der Fall lenkte das Augenmerk auf die dramatische Situation illegaler Wanderarbeitnehmer. Viele von ihnen werden diskriminiert.
Trotz dieser Krise schlug Morant LM Village als Flüchtlingslager vor - und erhielt fast einstimmigen Zuspruch. Seine Bedingung: In das Camp dürfen nur bedürftige Familien aus Syrien. Zurzeit leben etwa 340 Menschen in der Unterkunft, 200 davon sind Kinder. Oft handelt es sich um allein reisende Mütter, die darauf warten, ihren Ehemännern nach Nordeuropa zu folgen.
"Ich bin anfangs dafür kritisiert worden, dass ich noch mehr Flüchtlinge in die Region gebracht habe. Aber jetzt sehen die Leute die vielen Kinder und sind still", sagte er der DW. "Egal wie hart die Leute sind: Wenn es um Kinder geht, werden sie weich." Rund um das Camp hört man die spielenden Kinder. Die regionalen Helfer haben sie bereits ins Herz geschlossen.
Warten auf die EU
Doch jetzt wollen die Flüchtlinge wissen, wann sie ihre Reise weiterführen können. Morant kann ihnen das nicht beantworten. Im Flüchtlingslager wollen sie nicht mehr lange bleiben.
"Man könnte mir ganz Griechenland anbieten. Doch ich will nur zu meinem Sohn", sagt der ehemalige Textilfabrikbesitzer Ahmed Barajickli. Seine Frau und er schickten ihren 10-jährigen Sohn zusammen mit dem Großvater nach Deutschland. Damals glaubten sie noch, dass sie kurz darauf nachkommen würden. Doch dann kam ihnen die Grenzschließung in die Quere. Noch wissen sie nicht, wann sie sich wiedersehen werden. "Wenn es Gerechtigkeit gäbe, wäre dieser Junge schon bei seinem Bruder“, sagt Barajickli, einen Arm um seinen zweiten Sohn gelegt.
Von den syrischen Familien hier wird es kaum eine wagen, den Weg über das Mittelmeer zwischen Griechenland und Italien anzutreten. Und nur wenige von ihnen haben die finanziellen Mittel, um die Schmuggler zu bezahlen. Die große Mehrheit wartet auf die Umsiedlungs- und Familienzusammenführungs-Maßnahmen der EU. Wann diese umgesetzt werden, das weiß hier niemand.