Malen gegen das Trauma
19. Oktober 2015Bombenkrater, zerstörte Häuser, Hubschrauber in Tarnfarben - viele der von Flüchtlingskindern gemalten Bilder in einem Kölner Atelier zeigen solche Szenen. Das sind die Dinge, die im Gedächtnis geblieben sind bei den Mädchen und Jungen, die vor dem Krieg aus Syrien flohen. Die dreizehnjährige Avijn zeigt auf ihr Bild von einem Mädchen auf einem OP-Tisch. "Ihr Herz blutet, es geht ihr nicht gut", sagt sie. Ein anderes junges Mädchen malte Bomben, die auf ein rotes Backsteinhaus fallen. "Hubschrauber kamen und haben meine Schule zerstört", erzählt sie der DW. "Einige Kinder haben überlebt, aber andere nicht."
In diesem Jahr hat der kurdische Kunsttherapeut Hassan Deveci 12 syrischen Flüchtlingskindern zwischen acht und 14 Jahren in seinem Atelier geholfen, sich mit ihren traumatischen Erlebnissen auseinander zu setzen. Er sagt, dass die meisten Bilder zwei gemeinsame Themen hatten: Krieg und Tod. "Natürlich versuchen die Kinder auch, schöne Dinge zu malen - obwohl es das Wort 'schön' in der Kunsttherapie nicht gibt", sagt Deveci. "Aber Bilder von Blumen waren seltener als Bilder von Hubschraubern."
Alle Kinder aus Devecis Projekt gehen seit ungefähr einem Jahr in Deutschland zur Schule. Sie haben die Sprache schnell gelernt und sind von ihren Klassenkameraden beim gemeinsamen Spielen, Singen, Tanzen und Lachen nicht mehr zu unterscheiden. Aber der Eindruck täuscht, sagt Deveci: "Ich kann die Traurigkeit in ihren Augen sehen. Das Lachen kommt nicht von Herzen."
"Ich war schockiert"
Obwohl die Eltern wissen, was ihre Kinder durchgemacht haben, verletzt es sie zu sehen, was für tiefe Narben die Erlebnisse zurückgelassen haben. "Ich war schockiert von den Bildern", sagt Nasrin Mohammad, die Mutter von Avijn und zwei Söhnen. Zuhause hören die Kinder mit, wenn sie mit den Großeltern telefoniert, erzählt Mohammad. "Sie bekommen genau mit, was passiert", sagt sie und fügt hinzu, dass sie ihre Eltern manchmal bittet anzurufen, wenn die Kinder in der Schule sind.
Avijns Familie kam vor fast anderthalb Jahren nach Deutschland. Im Gegensatz zu anderen syrischen Familien, die an dem Kunstprojekt teilnehmen, haben sie nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Die Familie muss in einem Hotel im Kölner Stadtzentrum leben, bis die Behörden entschieden haben, ob sie langfristig in Deutschland bleiben darf.
Deveci, 43, sagt er kann die Unsicherheit, mit der man als Flüchtling in einem fremden Land lebt, gut nachvollziehen. Er floh mitte der 90er Jahre aus Türkei, vor der Unterdrückung der kurdischen Minderheit. 1994 bewarb er sich um Asyl in Köln und musste mehr als drei Jahre warten. In dieser Zeit lebte er in einer Notunterkunft, einem Hotel und einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Flüchtlingen, bis er endlich Asyl bekam. An diese Zeit hat er keine guten Erinnerungen, sagt der Künstler.
"Wir durften nicht viel machen. Wir hatten niemanden und sprachen kein Deutsch - das waren schlimme Zeiten", erinnert er sich. Deveci, der auch seinen kurdischen Familiennamen, Malmime, nutzt, macht heute hauptsächlich Kunst, die gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt.Er sagt, dass sein Erlebnis ihn motiviert habe, den Flüchtlingskindern und ihren Familien zu helfen. 2014 kontaktierte er das Rote Kreuz und eine syrische Selbsthilfegruppe, die ihm half, mit syrischen Familien in Kontakt zu kommen.
Deutsch lernen - und sich öffnen
Die Eltern sind über die Aktion begeistert, sowohl aus emotionalen, als auch aus ganz praktischen Gründen. "Ich bin nur wegen meiner Kinder hierher gekommen, um ihnen ein besseres Leben zu bieten", sagt Dilxwesh Hasan, Vater von vier Kindern. Er erzählt, dass es ihn glücklich macht, seine Kinder beim Malen so glücklich zu sehen. "Sie haben Spaß", sagt er. "Sie können Freunde treffen und sie öffnen sich."
"Der Workshop ist gut, weil er nicht nur den Kindern malen beibringt. Hier lernen sie auch Deutsch", sagt Avjins Mutter. Die Kinder haben sich im Laufe des Jahres ganz schön verändert, sagt Deveci. "Am Anfang hatten zwei Kinder richtig Probleme mit Konzentration und mit Deutsch, aber das hat sich nach sechs Monaten geändert. Sie sind viel offener und selbstbewusster geworden", sagt der Kunsttherapeut.
Solche privaten Initiativen können aber nicht ewig so weitergehen, betont Deveci. Er musste die Zeit, die die Kinder im Atelier verbringen, von einmal in der Woche auf ein oder zwei Mal im Monat reduzieren, weil er keine Materialien und kein Geld mehr hatte. Der Künstler ist Teil einer Willkommenskultur, die er sich bei seiner Ankunft in Deutschland vor 20 Jahren sehr gewünscht hätte. Damals, sagt Deveci, gab es keine einzige solche Initiative.