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Im Kino: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"

Jochen Kürten
9. Dezember 2019

Der Jugendbuchklassiker von Judith Kerr erzählt von der Flucht einer jüdischen Familie aus Hitler-Deutschland. Jetzt kommt der Film ins Kino. Regisseurin Caroline Link richtet sich auch an ein älteres Publikum.

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Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Bild: Sommerhaus/Warner Bros.

Anna (gespielt von Riva Krymalowski) ist verzweifelt und den Tränen nah. Ihre Eltern haben sie vor die Wahl gestellt: Nur ein Stofftierchen darf sie mitnehmen in die Schweiz. Ihr heiß geliebtes rosa Kaninchen - oder aber ihr ältestes Plüschtier überhaupt, dass sie seit frühesten Kindheitstagen besitzt. Die neunjährige Anna entscheidet sich schließlich schweren Herzens gegen das Kaninchen. Das muss zurückbleiben in Deutschland.

Fortan beherrscht der Verlust des Kaninchens Annas Gedanken, zunächst in Zürich, dann in Paris, später in London. Vielen Kindern und Jugendlichen dürfte diese Eingangsszene bekannt vorkommen, das Buch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" war vielerorts Schullektüre und weil Judith Kerr, die Autorin des Romans, mit ihrem autobiografischen Buch weltberühmt wurde, haben es später auch viele Erwachsene gelesen.

Weltpremiere in Berlin, Kinostart Weihnachten

1971 erschien es zunächst in englischer Sprache, zwei Jahre später übersetzte es Annemarie Böll, die Frau des Nobelpreisträgers Heinrich Böll, auch ins Deutsche. 1978 wurde der Stoff bereits einmal für das deutsche Fernsehen verfilmt, jetzt folgt, nach fast einem halben Jahrhundert, auch die Kinoverfilmung. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" feierte am 8. Dezember Weltpremiere in Berlin, am ersten Weihnachtsfeiertag kommt der Film dann bundesweit in die Kinos.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Flucht aus Nazi-Deutschland: Mutter und Kinder mit ein paar HabseligkeitenBild: Sommerhaus/Warner Bros.

Caroline Link, Oscarpreisträgerin (2003 für "Nirgendwo in Afrika") und eine der erfolgreichsten deutschen Regisseurinnen der vergangenen Jahre, hat sich des Stoffes angenommen und bringt nun, nur zwölf Monate nach ihrem Kino-Hit "Der Junge muss an die frische Luft", die Filmversion des Kerr-Romans auf die große Leinwand. Mit der verzweifelten Anna, die sich von ihrem rosa Kaninchen verabschiedet, beginnt also der Film, der sich nah an die literarische Vorlage anlehnt.

Die Geschichte einer Vertreibung aus Nazi-Deutschland

Zur Erinnerung: Anna lebt mit ihren Eltern (gespielt von Carla Juri und Oliver Masucci) und ihrem älteren Bruder (Marinus Hohmann) in Berlin, der Vater ist ein bekannter Journalist, der Adolf Hitler und den Nationalsozialisten kritisch gegenübersteht und dies in seinen Artikeln auch klar und deutlich zum Ausdruck bringt. Die Handlung setzt unmittelbar vor den Wahlen in Deutschland im März 1933 ein, die die Nazis an die Macht bringen werden. Die Familie Annas flieht zunächst von Berlin nach Zürich ins Exil, später dann nach Paris und London. Mit der Überfahrt nach England endet die Kinoverfilmung.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Vertreibung aus dem Paradies: Die Familie Kemper lebt in Hotels und GaststättenBild: Sommerhaus/Warner Bros.

Annas Vater ist sich der Gefahr für die Familie bewusst, auch weil sie jüdisch ist. Die Entscheidung ins schweizerische Exil zu gehen, folgt schnell, die Koffer werden hastig gepackt, nur das Nötigste darf mitgenommen werden - und so bleibt das Kaninchen zurück in Deutschland. Judith Kerr fand für den Verlust von Heimat und den Abschied von Kindheitserinnerungen mit dem Stofftierchen, das plötzlich nicht mehr da ist, ein starkes literarisches Bild.

Eine Fluchtgeschichte aus Kinderperspektive

"Schon damals hat mich die Leichtigkeit der Erzählung überrascht", erinnert sich Regisseurin Caroline Link: "Das war eine Geschichte über Vertreibung und Flucht aus Nazi-Deutschland, und trotzdem war der Ton optimistisch, fast unbeschwert." Ein Buch (und nun ein Film) über das Thema Nationalsozialismus, Vertreibung und Antisemitismus - im "Ton optimistisch"? Geht das überhaupt? Judith Kerr hat ein Buch geschrieben, das sich an Kinder richten sollte, die kindliche Perspektive war ihr daher wichtig. Und sie wollte jungen Leserinnen und Lesern ein Thema nahe bringen, das so gar nicht kindlich ist: die Schrecken der Nazi-Zeit. Das ist ihr gelungen, bis heute wurde Kerrs Buch über eine Million Mal verkauft.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Zu schöne Bilder für eine Fluchtgeschichte?Bild: Sommerhaus/Warner Bros.

Kerr habe ihr erzählt, "dass sie die Jahre in der Schweiz und in Paris in überwiegend positiver Erinnerung hat. Für sie und ihren Bruder waren es vor allem abenteuerliche Jahre", sagt Caroline Link. Ihr habe es gefallen, dass die Geschichte aus der Sicht eines neunjährigen Mädchens erzählt wird: "Kinder müssen sich vor dieser Geschichte nicht fürchten. Sie ist nicht grausam oder schrecklich, sondern hat auch viele positive Facetten, trotz aller Melancholie darüber, dass Anna und ihre Familie von einem Tag auf den anderen die Heimat, den Wohlstand und die Muttersprache verlieren, weil sich der politische Wind gedreht hat."

Wie kann man Kinder an schwierige historische Themen heranführen?

Caroline Link ist es mit ihren Filmen in der Vergangenheit oft gelungen, schwierige Themen emotional, aber nie kitschig und eindrücklich zu inszenieren. Das hat sie auch bei dem Kinder- und Jugendbuchklassiker "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" angestrebt: "Die Tapferkeit, mit der sie (Anna, Anmerkung d. Red.) nach vorn blickt und ihren Weg in ein neues Leben sucht, hat mich immer sehr gerührt", so Link. "(…) Wir erleben die Diskriminierung und zunehmende Armut dieser Familie, aber auch die Geborgenheit durch die Eltern und die intellektuelle Unterstützung durch den Vater, der seinen Kindern immer wieder eintrichtert: Wer nur darüber klagt, was er verloren hat, dem wird das Neue, das Gute, was ein jeder Wandel mit sich bringt, entgehen."

Und doch bleibt bei diesem Film ein Unbehagen zurück. Möglicherweise nicht bei ganz jungen Zuschauern. Vielleicht ist es tatsächlich der richtige Ansatz, Kinder mit dem Thema auf diese Art und Weise zu konfrontieren: nicht mit Schreckensbildern und Horrorszenarien. Doch dadurch dürfte der Film kaum ältere Zuschauer erreichen.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Onkel Julius (Justus von Dohnányi, l.) wird später von den Nazis umgebrachtBild: Sommerhaus/Warner Bros.

In einer ersten Reaktion brachte es die Monatszeitung "Jüdische Rundschau" auf den Punkt: Zwar sei die Verfilmung des Kerr-Buches kein Kitsch-Kino geworden, was bei dem Stoff nahe gelegen hätte, und Link habe auch der Versuchung widerstanden, einfache zeitgenössische Parallelen zu ziehen: "Der solide gespielte und schön fotografierte Film der Oscar-Preisträgerin macht nicht den Fehler, die Situation der in der Regel muslimischen Flüchtlinge, die meistens schlichtweg Migranten sind, mit der Situation der Juden im volksgemeinschaftlich enthemmten Deutschland unter einer falschen Prämisse zu parallelisieren: dass nämlich Antisemitismus nur eine von vielen gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten wäre, von denen aktuell die 'Islamophobie' die virulenteste sei."

Vermarktet als Weihnachtsfilm: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"

Doch das führe zu einem anderen Problem: Der Film sei "dezidiert unpolitisch", so die Zeitung, und das werde "seinem Gegenstand auch nicht gerecht." Dem Urteil kann man sich anschließen. Der Verleih bewirbt "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" mit dem Slogan "ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie". Das lässt ein wenig frösteln. Ein Film über Vertreibung, Antisemitismus und Fremdenhass als "Weihnachtsfilm"?

Deutschland Weltpremiere des Films "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Feierte am Wochenende in Berlin Weltpremiere: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"Bild: Imago Images/Photopress Müller

"Die omnipräsente Untermalung der Geschichte durch dramatisch-berührende Musik erzeugt eine immersiv-wohlige Atmosphäre (…) und zielt mitsamt der schön anzusehenden Aufnahmen in den Berggegenden der Schweiz sowie im urbanen Paris darauf, gemütliches Weihnachtskino fürs Herz und die ganze Familie bereitzustellen", fasst die "Jüdische Rundschau" ihre Eindrücke zusammen und fährt fort: "Das mag dieser Jahreszeit zwar angemessen sein, doch nicht der Historie, die so brutal und hässlich ist…"

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