Flüchtlingsboot im Mittelmeer gekentert
6. April 2011Italienische Rettungsmannschaften befürchten nach dem Schiffbruch des Flüchtlingsboots vor Lampedusa zahlreiche Tote. Stunden nach dem Unglück besteht nach Einschätzung der Helfer kaum noch Hoffnung, viele Überlebende aus dem Meer bergen zu können. Die meisten Bootsflüchtlinge können nicht schwimmen. Rettungswesten oder ähnliches haben die zumeist maroden Schiffe nicht an Bord. Das Boot war in der Nacht zum Mittwoch (06.04.2011) zwischen der nordafrikanischen Küste und der Insel in einen schweren Sturm mit hohem Seegang geraten und gekentert. Rund 200 Menschen gingen dabei über Bord, nur etwa 50 von ihnen konnten gerettet werden. Die überlebenden Schiffbrüchigen wurden nach Lampedusa gebracht.
Großangelegte Suchaktion
Drei Motorschiffe, ein Flugzeug und ein Helikopter der italienischen Küstenwache suchen derzeit nach weiteren Überlebenden. Auch ein maltesisches Flugzeug beteiligte sich an der Rettungsaktion etwa 70 Kilometer südwestlich von Lampedusa. Heftiger Nordwestwind und hoher Seegang der Stärke 6 erschweren die Suchaktion. Es wird vermutet, dass das Schiff aus Libyen kam.
Seit Beginn des Jahres sind mehr als 22.000 illegale Einwanderer an den Küsten Italiens gestrandet, davon fast 19.000 allein auf der Insel Lampedusa. Oft sind die Boote der Immigranten aus Nordafrika wenig seetauglich. Grund für die jüngste Flüchtlingswelle sind die politischen Umwälzungen in Tunesien und Ägypten und der bewaffnete Aufstand in Libyen. Die meisten Menschen kamen in den vergangenen Wochen als Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien. Viele aber auch aus anderen afrikanischen Staaten. Immer mehr auch aus dem Kriegsgebiet Libyen.
Allein am gestrigen Dienstag waren auf Lampedusa zwei Schiffe mit knapp 600 Flüchtlingen eingetroffen. Dabei soll es sich nach italienischen Medienberichten zumeist um Eritreer und Somalier handeln, die in Libyen als Gastarbeiter gearbeitet haben. In den vergangenen Tagen waren mehrere tausend Flüchtlinge mit Schiffen und Flugzeugen in Aufnahmelager auf dem italienischen Festland gebracht worden.
Italien sucht nach Lösung
Der italienische Innenminister Roberto Maroni hatte am Dienstag in Tunis mit der dortigen Regierung eine stärkere Kontrolle der tunesischen Küste vereinbart, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Tunesien hat sich demnach gegen eine massive Rückführung von Immigranten ausgesprochen, stimmt aber geregelten Abschiebungen zu. Zuvor hatte auch Regierungschef Silvio Berlusconi in Tunis für eine Vereinbarung zur Rückführung der Menschen geworben.
Bei einem Besuch vor einer Woche auf Lampedusa hatte Berlusconi der einheimischen Bevölkerung versprochen, innerhalb von 60 Stunden sämtliche Flüchtlinge von der kleinen Insel aufs Festland zu bringen. Das jedoch ist angesichts ständig neuer Ankömmlinge schwierig. Die italienische Insel südlich von Sizilien mit rund 5000 Einwohnern liegt etwa 130 Kilometer von der Küste Tunesiens entfernt. Mit der Bewältigung des Flüchtlingsansturms sind die Menschen dort vollständig überfordert. Wegen ihrer Nähe zu Afrika ist die Insel seit Jahren für Bootsflüchtlinge eines der mit Vorliebe genutzten Tore nach Europa.
EU-Kommission macht Druck
Angesichts des Flüchtlingsstroms aus Nordafrika drängt die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten, Kontingente von Migranten aufzunehmen. "Solidarität mit den unter Druck stehenden Nachbarländern zu zeigen und Flüchtlinge aufzunehmen, trägt zum Dialog und zur Kooperation bei", schrieb EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström in der Einladung zum nächsten Treffen der EU-Innenminister am Montag in Luxemburg.
In dem Brief schlägt Malmström laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa vor, die in Italien und Malta gestrandeten Flüchtlinge in der EU zu verteilen. Nach Angaben der Kommissarin sind inzwischen rund 20.000 Flüchtlinge von Tunesien über das Mittelmeer in die EU gelangt und befinden sich vor allem in Malta und auf Lampedusa. "Beide Länder stehen unter extremem Druck", schrieb Malmström.
Deutschland und Österreich lehnen das Ansinnen mit dem Argument ab, die meisten Migranten aus Tunesien seien Wirtschaftsflüchtlinge und benötigten keinen Schutz. Die EU-Richtlinie zur Aufteilung von Flüchtlingen gelte aber nur für schutzbedürftige Asylbewerber, nicht aber für Arbeitsmigranten. Andere Länder wie Schweden haben dagegen schon erklärt, einige hundert Asylbewerber aufzunehmen. Die EU-Kommission kann nur Vorschläge machen, die Entscheidung liegt bei den einzelnen Staaten.
Autor: Ulrike Quast/Reinhard Kleber (dpa, dapd, rtr, afp, epd)
Redaktion: Martin Schrader/Eleonore Uhlich