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Flucht aus Falludscha

Birgit Svensson20. Juni 2016

Monatelange Kämpfe gegen den IS haben die irakische Stadt Ramadi weitgehend zerstört. Zu den Rückkehrern kommen jetzt auch noch Flüchtlinge aus dem benachbarten Falludscha. Birgit Svensson berichtet aus Ramadi.

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Irak Falludscha ist von IS befreit (Foto: MOADH AL-DULAIMI/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/M. Al-Dulaimi

"Kulshi Maku", sagt Adnan in Ramadi - alles kaputt. Zusammengekauert sitzt der 22-jährige Iraker am Eingang der einst repräsentativen Festhalle in der Hauptstadt von Iraks flächenmäßig größter Provinz Anbar. Der mit Gold verzierte Sessel, auf dem Adnan Platz genommen hat, lässt erahnen, wie es hier vor dem Krieg gegen den sogenannten "Islamischer Staat" ausgesehen haben könnte. Nur noch 40 Prozent der Häuser sind übriggeblieben.

Nicht nur die Stadt Ramadi wurde gnadenlos zerstört, der Krieg gegen den IS forderte tausende von Todesopfern und hinterließ die Überlebenden mit schweren Traumata für den Rest ihres Lebens.

Acht Monate lang tobte ein erbitterter Kampf um die Rückeroberung der Stadt, die Mitte Mai 2015 vom IS eingenommen worden war und erst ein Jahr später als völlig befreit galt. Langsam kehren die früheren Bewohner in ihre Stadt zurück. Und mit ihnen Flüchtlinge aus dem 40 Kilometer entfernten Falludscha.

Wie Adnan. Mit seiner schwarzen, über den Kopf gezogenen Maske und seiner Lederjacke sieht er aus wie ein übrig gebliebener IS-Kämpfer. Doch sein äußeres Erscheinungsbild trügt. Adnan entschärft Minen, von denen es immer noch tausende in Ramadi gibt. "Manchmal gehen die hoch, und dann passiert das", sagt er und zeigt auf seine Brandwunden unter der Maske, die nicht heilen wollen. Er hat Schmerzen und friert ständig. Auch bei Temperaturen von um die 40 Grad trägt er feste Kleidung.

Irak Ramadi Zerstörung Minenräumer Adnan
Gezeichnet: Minenräumer Adnan verbirgt seine Brandwunden unter einer WollmaskeBild: DW/B. Svensson

Kehrt der IS zurück?

Mehr als 30.000 Menschen seien aus Ramadi seit dem Wochenende geflohen, informiert die Internationale Organisation für Migration (IOM). Weitere 35.000 haben die Region um Falludscha verlassen, seit vor genau einem Monat die Großoffensive der irakischen Armee, einiger Schiitenmilizen und sunnitischer Stammesführer begann, unterstützt durch US-Luftangriffe.

Panikartig verlassen die Einwohner Falludscha, hört man in Ramadi, obwohl Iraks Premier Haider al-Abadi vor wenigen Tagen den Sieg verkündete. Es werde immer noch gekämpft, sagen die Flüchtlinge. "Wer weiß, ob der IS zurückkommt. Wer fliehen kann, der flieht."

Bereits im Februar hatte die Armee die ehemals 350.000 Einwohner zählende Stadt eingekreist, um sie auszuhungern. Das Kalkül der Militärführung: ein Aufstand der Bevölkerung gegen den IS, wenn die Menschen Hunger leiden.

Lebensmittel nur für Kämpfer

Doch der Plan ging nicht auf. Daesh, arabisch für IS, hatte Lebensmittelvorräte gesichert, die an seine Kämpfer und an diejenigen, die Loyalität bezeugten, ausgegeben wurden. Die schweigende Mehrheit aber ging leer aus. Ansätze einer Rebellion wurden blutig niedergeschlagen. Der neuerliche Fund eines Massengrabs in einem Vorort von Falludscha beweist dies. Als die irakische Armee in die Stadt einfällt, sind fast 70.000 Menschen ausgehungert.

Irak Ramadi Zerstörung Ruinen
In Schutt und Asche: Der IS hinterließ in der Stadt Ramadi eine Schneise der ZerstörungBild: DW/B. Svensson

In Ramadi verlief der Kampf gegen den Daesh anders. "Es ging immer hin und her", erzählt der Vorsitzende des Provinzrates, Sabah Karhout, der zu einer Ratssitzung aus Bagdad angereist ist. Sobald einige Gebäude in der Stadt wieder aufgebaut seien, will Karhout ganz nach Ramadi zurückkehren. Bis dahin hat er sein Büro im noch weitgehend intakten Universitätsgelände eingerichtet. Im Gegensatz zu Falludscha, das der IS bereits im Januar 2014 in Gänze unter seine Kontrolle brachte, hätten die Gotteskrieger in Ramadi kein leichtes Spiel gehabt. "Eigentlich war die Stadt nur zwei Monate lang völlig unter der Kontrolle von Daesh."

Ein halbes Jahr sei Ramadi durch eine Art Berliner Mauer in zwei Teile getrennt gewesen. Auf der einen Seite regierte Daesh, auf der anderen Karhout und seine Kollegen. "Die Leute haben sich über die Mauer hinweg angebrüllt, haben sich beschimpft und gegenseitig beschuldigt." Der Chef des Provinzrats hat sofort nach der Befreiung Ramadis veranlasst, dass die Betonstehlen entfernt werden. "Wie lange hat es nach dem Weltkrieg gedauert, Berlin wieder aufzubauen?", fragt er nüchtern, ohne eine Antwort abzuwarten. In diesen Kategorien müsste auch hier gedacht werden.

Irak Ramadi Sabah Karhout (Foto: DW/Birgit Svensson)
Sabah Karhout, Chef des Provinzrates von Ramadi: "Der Wiederaufbau ist eine Aufgabe für Generationen"Bild: DW/B. Svensson

Anbar hat die meisten Binnenflüchtlinge

Die UN-Mission für Irak, UNAMI, schätzt, dass derzeit zehn Millionen Iraker dringend Hilfe benötigen. Seit dem IS-Überfall auf Falludscha, Iraks erste Stadt, die unter die Kontrolle der Dschihadisten geriet, hätten 3,4 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen. 650.000 Binnenflüchtlinge seien seit Anfang 2015 in ihre Häuser zurückgekehrt, als die Großoffensiven gegen den IS begannen und als erste größere Stadt Tikrit im April 2015 befreit werden konnte. Die meisten der Binnenflüchtlinge kämen jedoch aus der Provinz Anbar, westlich von Bagdad. Drei Millionen Iraker lebten noch immer im sogenannten Kalifat unter IS-Herrschaft.

Sabah Karhout ist optimistisch, dass die Aufbauarbeiten in Ramadi vorankommen. Er hat Aufräumbrigaden ins Leben gerufen, junge Leute, die mit Schaufeln, Besen und Containern zuerst einmal die Straßen vom Schutt befreien. Bagger stehen zur Reparatur an der Brücke über den Euphrat, die der IS bei seinem Rückzug gesprengt hat. Das kleine Stromkraftwerk ist schon wieder funktionsfähig, obwohl es nicht die ganze Stadt mit Elektrizität versorgen kann. Generatoren haben in Ramadi derzeit Hochkonjunktur.

280 Schulen seien total kaputt und müssten schnellstens wieder aufgebaut werden, sagt der Vorsitzende des Provinzrats von Anbar. Nur dann kämen die Menschen zurück. Einen Rest Skepsis aber verbleibt auch bei Karhout: "Anbar wird nicht sicher sein, ohne dass die syrische Grenze gesichert ist." Solange von dort "Nachschub" an IS-Kämpfern käme, würden Ramadi, Falludscha und die gesamte Provinz keine Ruhe haben.