Euro-Staaten brauchen mehr Zeit
21. Oktober 2011Erst eine Gipfelverschiebung, dann ganz kurzfristig auf deutsch-französischen Wunsch eine Gipfelzweiteilung: erst Sonntag, dann Mittwoch. Die entscheidenden Beschlüsse dürften also erst Mitte kommender Woche fallen. Kurz vor dem Treffen der Finanzminister der Eurogruppe am Freitag (21. Oktober) in Brüssel regte sich deren Präsident, der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, mächtig über das Planungschaos auf: "Die Außenwirkung ist desaströs. Wir geben hier nicht ein eklatantes Beispiel gehobener Staatsführung." Andere zeigten Verständnis. "Zwei Gipfel, warum nicht?", sagte der belgische Minister Didier Reynders. Solange das Ergebnis stimme, "ist es das wert".
Schäuble: Es gibt keinen Streit
Dabei will Deutschlands Kassenwart Wolfgang Schäuble von einem deutsch-französischen Streit nichts wissen. Grund für die Verzögerung sei, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages Änderungen beim Rettungsfonds EFSF noch nicht zugestimmt habe. Doch indirekt bestätigte Schäuble die unterschiedlichen Ansichten zwischen Paris und Berlin. "Wir haben inzwischen alle zur Kenntnis genommen, dass die Notenbank nicht zur Staatsfinanzierung zur Verfügung steht." Frankreich wollte aber den Fonds praktisch zu einer Bank machen. Er könnte sich dann bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld leihen. Das würde aber aus Sicht der Bundesregierung das Risiko für den Steuerzahler erhöhen, der für Ausfälle bei der EZB geradestehen muss. Außerdem befürchtet Berlin Geldentwertung. Diese Option ist offenbar vom Tisch. Die Bundesregierung will stattdessen eine Versicherungslösung. Dabei würden Investoren zum Kauf von Anleihen angeschlagener Euro-Länder ermutigt, indem der Rettungsfonds einen Teil des Ausfallrisikos abdeckt. Auch eine Einbindung des IWF wird erwogen.
Die Unstimmigkeiten mit Frankreich bei der sogenannten "Hebelung" der EFSF sind jedenfalls auch der Grund, warum der Haushaltsausschuss des Bundestages in dieser Frage noch nicht entschieden hat. Juncker regte sich aber auch auf, dass fast nur noch über zwei Länder geredet werde. "Wieso denkt man eigentlich, es reichte, dass Deutschland und Frankreich sich einigen? Wir haben es mit 17 Regierungen, mit 17 Staaten, mit 17 Parlamenten zu tun. Es gibt nicht nur in Deutschland ein Parlament, das gibt es auch sonstwo."
Die Frage von Umfang und Effektivität der EFSF gilt als entscheidend für die gesamten Euro-Stabilisierungsbemühungen. Davon dürfte nämlich abhängen, ob Europa mit einer “Brandmauer“ größere Schuldenstaaten wie Italien vor "Ansteckung" durch Griechenland bewahren kann. Griechenland selbst gilt inzwischen als völlig überschuldet. Zwar haben die Finanzminister am Freitagabend nach Angaben von Diplomaten die jüngste Acht-Milliarden-Tranche für Griechenland aus dem alten Hilfspaket freigeben, aber das bisherige Modell hat ausgedient. Die Regierungen überlegen, ob sie die privaten Gläubiger, also Banken und Versicherungen, zu einem stärkeren Forderungsverzicht bewegen sollen.
Alles hängt mit allem zusammen
Doch Banken hätten dann Ausfälle bei ihren Staatsanleihen zu verkraften, vielleicht bald nicht nur bei griechischen Papieren, sondern auch bei denen anderer schwacher Länder. Dann müssten Banken rekapitalisiert werden, möglicherweise mit Staatsgeld. Der irische Finanzminister Michael Noonan gibt zu bedenken, alles hänge mit allem zusammen. "Je nach dem, wie hoch die Beteiligung privater Gläubiger in Griechenland ist, hat das Auswirkungen auf die Rekapitalisierung. Und davon wiederum hängt ab, ob man eine Brandmauer erreichten kann." Man könne also nicht einzelne Punkte getrennt betrachten, "alle sind bewegliche Teile derselben Lösung".
Bundeskanzlerin Merkel hat in den vergangenen Tagen mehrfach vor zu hohen Erwartungen an die Gipfelbeschlüsse gewarnt. Doch EU-Währungskommissar Olli Rehn will von vielen kleinen Schritten nichts mehr wissen. "Wir müssen verstehen, dass Teillösungen nicht mehr reichen. Wir brauchen ein Gesamtpaket einschließlich einer nachhaltigen Lösung für Griechenland, einer Verstärkung der finanziellen Brandmauern der EFSF gegen Ansteckungsgefahren und einer koordinierten Lösung für eine Bankenrekapitalisierung." Der Druck auf die Staats- und Regierungschefs, sich nun endlich zu einer solchen Gesamtlösung aufzuraffen, ist inzwischen ungeheuer groß, wenn nicht am Sonntagabend, dann spätestens am Mittwochabend.
Autor: Christoph Hasselbach, Brüssel
Redaktion: Martin Schrader