Finanzierungsmodell Atomstiftung
14. Juni 2015Der endgültige Ausstieg aus der Atomwirtschaft rückt näher. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz. Doch da im Zusammenhang mit der Energiewende Konzerne wie RWE in die Verlustzone geraten sind, stellt sich immer mehr die Frage, ob die vier Energieunternehmen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall in der Lage sein werden, die Kosten für den Abriss der Kraftwerke und die Endlagerung des Atommülls zu schultern. Die Rückstellungen, die sie dafür gebildet haben, belaufen sich auf 38,5 Milliarden Euro. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Kosten bis zu 70 Milliarden Euro betragen können.
Dazwischen klafft eine immense Lücke, die eine Atom-Stiftung schließen könnte. Eine Idee, die Werner Müller in die Diskussion eingebracht hat. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Chef der RAG-Stiftung gilt als Energieexperte, der auch keine politische Auseinandersetzung scheut. Fakt ist: die 38,5 Milliarden Euro an Rückstellungen der Energiekonzerne sind vorhanden. Zumindest auf dem Papier. RWE etwa hat Rückstellungen in Höhe von 10,4 Milliarden Euro in den Bilanzen stehen. Allerdings abgesichert über konventionelle Kohlekraftwerke, die nicht mehr viel Geld einbringen. Und da sich der momentane Börsenwert von RWE bei rund 13 Milliarden Euro bewegt, sieht Werner Müller die Gefahr, dass der Energiekonzern seinen Verpflichtungen nicht nachkommen könnte, wenn sich die Ertragslage nicht verändert. "Die unternehmerische Entwicklung des Nicht-Kernenergie-Geschäftes wird zunehmend erschwert durch die Haftung für das Kernenergie-Geschäft", stellte Werner Müller gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) fest.
Staat steht in der Mitverantwortung für den Ausstieg
Der Staat, so Müller, sei letztlich mitverantwortlich, wenn es darum gehe, den Atom-Ausstieg sinnvoll zu organisieren. "Die ersten kommerziellen Kernkraftwerke wurden von Veba und Bayernwerk geplant, also von Staatsunternehmen." Da es ab Mitte der 50er Jahre eine parteiübergreifende Euphorie zur nuklearen Stromversorgung geherrscht habe, müsse nun auch die Finanzierung des Atomausstiegs gemeinsam von Politik und Wirtschaft geklärt werden. Für geeignet hält Müller eine Atom-Stiftung, in die die Unternehmen ihr Kernenergie-Geschäft einbringen. Dazu gehören auch die Rückstellungen wie von Eon mit rund 16,6 und von EnBW mit 8,1 Milliarden Euro. Außerdem müssten nach Müllers Vorstellungen die Konzerne auch bereit sein, für eine ordentliche finanzielle Ausstattung zu sorgen. Zum Beispiel in Form von Unternehmensbeteiligungen. Im Fall von RWE käme dabei das konventionelle Stromgeschäft in Betracht, mit dem das Unternehmen den Großteil seines Umsatzes erzielt.
Manuel Frondel, Energieexperte beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), hält ein solches Modell zur Begleichung der Kosten für den Atomausstieg im Prinzip für vernünftig. Zugleich gibt er zu bedenken: "Für die Konzerne wäre es in der jetzigen Situation sicherlich nicht einfach, die benötigten finanziellen Mittel locker zu machen." Auf politischer Ebene herrscht zudem Skepsis vor. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verweist in einem Interview mit der WAZ auf die im Gesetz festgeschriebene Verpflichtung der Unternehmen, die Kosten für Rückbau und Endlagerung zu übernehmen. "Es kann nicht sein, dass man über Jahrzehnte mit der Atomenergie hohe Gewinne einfährt, und am Ende die Allgemeinheit zur Kasse bittet".
Der Ball liegt in Berlin
Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will sicherstellen, "dass die Rückstellungen, die die Unternehmen über Jahrzehnte gebildet haben, in vollem Umfang zur Verfügung stehen, sobald sie gebraucht werden." Und sie pocht auch auf eine Nachhaftung der Unternehmen. An dem heißen Eisen, mögliche Mehrkosten über die Rücklagen der Energiekonzerne hinaus auf den Steuerzahler abzuwälzen, möchte sich momentan kein Politiker die Finger verbrennen. Immerhin könnten nach den Berechnungen des DIW die Ausstiegskosten bis zu 70 Milliarden Euro verschlingen.
Für Werner Müller geht es mit dem Stiftungs-Modell um die Kernfrage. Ob nämlich "die öffentliche Hand vorausschauend zu einer Mithaftung bereit" sei. Der Ökonom Klaus Zimmermann, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes IZA in Bonn, bezeichnet Müllers Vorschlag schon deshalb als sinnvoll, da "so die Finanzierungsaufgabe langfristig gelöst werden kann." Der Vorteil einer solchen öffentlich-rechtlichen Stiftung besteht in dem direkten Zugriff auf die Rückstellungen der Energiekonzerne. Andererseits müsste bei dieser Atom-Stiftung der Staat einspringen, wenn die privatwirtschaftlichen Geldquellen nicht ausreichen sollten. Denn die Stiftung müsste auch die Risiken der Konzerne übernehmen. Wenn etwa als Sicherheit eingebrachte Kohlemeiler und Gaskraftwerke weiter an Wert und damit an Rendite verlieren sollten. Also das Geld nicht ausreicht. Mit RWE und Eon haben die beiden größten Versorger ihren Sitz im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen. Eine gewisse Sympathie für eine Stiftung mag der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) zwar nicht verhehlen, doch "Der Ball", sagt er, "liegt in Berlin".