Filmzensur in der DDR
4. Dezember 2013Es war der letzte komplett zu Ende inszenierte und geschnittene Spielfilm, der in der DDR verboten wurde. Warum er überhaupt fertiggestellt werden konnte, bleibt bis heute ein wenig rätselhaft - und ist wohl nur vor dem Hintergrund der verqueren "Kunst-Ideologie" der DDR zu verstehen. Regisseur Rainer Simon war den Behörden schon in den 1970er Jahren als unbequemer, kritischer Zeitgeist aufgefallen. Einige seiner früheren Filme hatten bereits den Zorn der Partei-Zensoren hervorgerufen.
Vom Umgang mit kritischen Regisseuren
Offenbar wollte man Simon noch einmal einer Prüfung unterwerfen. Ihm entweder eine letzte Chance einräumen oder den endgültigen Beweis in der Hand haben, dass Simon ein ewiger Querulant ist. In einem Gespräch mit der Deutschen Welle erinnert sich der Regisseur: "Das war schon eine Überraschung, dass der Film gedreht wurde. Noch überraschender war es, dass dieser Stoff mir vom Studio angeboten wurde."
Simon bekam von der "Abteilung Dramaturgie" damals (1979) einen Drehbuchentwurf von Autor Paul Kanut Schäfer auf den Tisch. "Als ich das gelesen habe, war ich unheimlich erstaunt, dass sie diesen Film wollten und noch dazu von mir." In "Jadup und Boel" geht es um ein Stück DDR-Zeitgeschichte wie auch um historische Geschehnisse aus den Anfangstagen Ost-Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg.
Suche nach Wahrheit
In einer Provinzstadt wird der Bürgermeister Jadup mit Geschehnissen aus dem Jahre 1945 konfrontiert. Damals verschwand das Mädchen Boel, das mit ihrer Mutter nach den Wirren der letzten Kriegsmonate aus Polen in den Osten Deutschlands kam, spurlos. Boel war zuvor vergewaltigt worden, die Täter entkamen unerkannt. Gerüchte, dass es sowjetische Soldaten gewesen sein könnten, wurden nie bewiesen.
Als junger Mann hatte Jadup selbst die Befragung Boels nach der Tat geführt. Doch mehr als einer tatsächlichen Aufklärung des Falls waren die Behörden daran interessiert, den Vorfall möglichst stillschweigend zu den Akten legen zu können. Jadup fühlt sich im Nachhinein mitschuldig am Verschwinden des Mädchens.
Parallelen zur DDR-Gegenwart
Auf einer zweiten Zeitebene, die in der Gegenwart spielt und den Hauptteil im Film einnimmt, zieht Rainer Simon zahlreiche Parallelen zur DDR-Gegenwart. Auch hier wird die Wahrheit vertuscht. Sozialistische Parolen sind wichtiger als die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen. Das Bild, das Simon von der DDR des Jahres 1980 zeichnet, ist trist und voller falschen Versprechungen durch Staat und Partei.
Der Regisseur erinnert sich: "Kurz vor Drehbeginn wurden wir zum Generaldirektor geladen und es wurde uns eröffnet, was alles passieren könnte, wenn wir den Film nicht mit der richtigen parteilichen Einstellung drehen würden", so Simon. "Das Gespräch lief eigentlich so, dass ich dachte, 'Na ja, das war's dann'. Aber dann durften wir doch drehen. Viele Jahre später, als ich 1992 meine Stasi-Akte las, habe ich den Brief gefunden, den der Generaldirektor nach dieser Sitzung an die Stasi geschickt hat. Dort informiert er über die Risiken und dass dieser Film gar nicht zur Aufführung kommen könnte, aber dass es in der gegenwärtigen politischen Situation besser sei, den 'Simon' drehen zu lassen, besser mit Arbeit zu binden, als dass der 'Simon' verrückt spielt."
Die Zensoren greifen ein
Als dich der Generaldirektor die Muster angesehen habe, seien schon die ersten Signale gekommen: "Nachdem der Film abgedreht war, fand eine Rohschnittabnahme statt. Und da brach es schon über uns los. Das zog sich dann praktisch ein Jahr hin, mit Schnittauflagen, mit Szenen, die wir nachdrehen sollten." All das habe an dem Film aber grundsätzlich nichts geändert. Ein paar ganz scharfe Spitzen seien zwar rausgenommen worden. Aber die seien auch schon bewusst drin gewesen, um sie später opfern zu können.
Dann sei die Premiere angesetzt gewesen. Da sei dann etwas geschehen, was eigentlich nichts mit dem Film zu tun gehabt habe: "Im 'Neuen Deutschland' erschien ein Artikel - angeblich von einem Arbeiter aus Erfurt -, der sich über die Künstler beschwerte, dass diese nicht die Erfolge des Sozialismus darstellten, sondern immer nur kritisieren." Das habe man zum Anlass genommen, den Film zu verbieten.
Ein Fall für Honecker
"Die Premiere sollte verschoben werden, um uns vor dem Volkszorn zu schützen!" wundert sich Simon noch heute. Der Fall sei dann sogar bis zu Honecker gelangt. "Zwei Jahre später kam dann von höchster Ebene das Urteil, den Film nicht zu zeigen." Erst 1988, als Glasnost und Perestroika für ein anderes Klima auch in der DDR gesorgt hatten, wurde "Jadup und Boel" schließlich gezeigt, wenn auch nur für kurze Zeit, versteckt in einem Spätprogramm.
Im Rahmen der Sonderreihe "Winter adé - filmische Vorboten der Wende" lief "Jadup und Boel" 2009 bei der Berlinale noch einmal im Kino. Jetzt wurde er im Rahmen des "Internationales Festivals des deutschen Film-Erbes", das sich in diesem Jahr mit Filmzensur beschäftigte, in Hamburg aufgeführt.
Das Internationale Festival des deutschen Filmerbes fand in diesem Jahr unter dem Titel "Verboten! Filmzensur in Europa" statt (12.-24. November). Zum Festival erschien ein Buch mit verschiedenen Beiträgen zur Filmzensur insbesondere in Deutschland und Europa (ISBN 978 3 8488 3902 5). Der Anbieter "Absolut Medien" hat den Film auf DVD zusammen mit drei kürzeren deutschen Werken aus den Jahren 1928, 1934 und 1968 herausgebracht.