Fußballeuphorie in Deutschland?
13. Juni 2019Man muss nicht zwingend schön spielen, wenn man erfolgreich ist. Das ist wohl die Essenz aus den ersten beiden Spielen der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft bei der FIFA Frauen WM in Frankreich. Zweimal tat sich das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ziemlich schwer, zweimal hatte die Mannschaft, die vor allem durch Kampfgeist überzeugte, das Glück, nicht in Rückstand geraten zu sein, und zweimal hieß es am Ende 1:0 für Deutschland.
Zwei Spiele, zwei Siege - Deutschland steht vor dem letzten Gruppenspiel gegen Südafrika voll im Soll - wenngleich rauschende Fußball-Abende bislang nicht dabei waren. Das konnte im ersten Spiel auch gar nicht der Fall sein, die Partie gegen China wurde zu deutscher Zeit um 15 Uhr angepfiffen - keine Uhrzeit für TV-Hits. Und dennoch: Die sehr ordentliche Fernsehquote des ersten Spiels mit durchschnittlich 4,38 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern in Deutschland konnte sich sehen lassen. Mehr noch: Mit 33,8 Prozent hatte das Spiel der deutschen Frauen einen höheren Marktanteil als das EM-Qualifikationsspiel der Herren in Weißrussland am Abend (28,1 Prozent). Hier schalteten zwar durchschnittlich 7,1 Mio. Zuschauer ein, was aber nur einen Marktanteil von 27,6 Prozent bedeutete. Und die absolute Zuschauerzahl toppte das zweite Spiel des Voss-Tecklenburg-Teams am frühen Dienstag-Abend dann deutlich: Durchschnittlich 6,15 Mio. Zuschauer (29,4 % Marktanteil) verfolgten das Spiel des deutschen Teams gegen Spanien im deutschen Sender ZDF.
K.o.-Phase bereits erreicht
Es sind beachtliche Zahlen. Dass die Fußballerinnen einmal am selben Tag einen höheren Marktanteil im Fernsehen erzielen als ihre männlichen Kollegen, hätte vor 20 Jahren sicher niemand gelaubt. Aber künden diese Zahlen schon von einem Boom des weiblichen Fußballs? Von einer neuen schwarz-rot-goldenen Euphoriewelle, wie sie das männliche Nationalteam während vergangener Weltmeisterschaften entfachen konnte (2018 einmal ausgenommen)? Der Weg ist noch weit.
Noch fehlen die riesigen Fanfeste in deutschen Innenstädten, Deutschland-Flaggen in Fenstern und Autos, sowie singende und tanzende Menschen auf den Straßen. Spürbar wird die WM (noch) im Kleinen: In einigen Kneipen, bei der privaten Gartenparty oder eben daheim auf der Couch. Genau mit dieser Diskrepanz hatten die DFB-Frauen vor der WM gespielt, ihre mangelnde Popularität jenseits einer kleinen Stammzuschauerschaft provokant zum Thema gemacht: "Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt", war die Botschaft eines Werbeclips, der in den sozialen Netzwerken viral ging, auch weil er einen Nerv bei den Deutschen traf.
Ins Gespräch brachten sich die Spielerinnen damit in jedem Fall. Und der Start ist sportlich wie bei den Einschaltquoten geglückt. Die Messlatte liegt allerdings inzwischen relativ hoch: Auch bei der EM 2017 in den Niederlanden sahen sechs bis sieben Millionen Zuschauer in Deutschland die Gruppenspiele der eigenen Elf. In der K.o.-Phase der EM 2017 stiegen die Zuschauerzahlen dann an, ganz ähnlich wie es bei den Turnieren der Männer geschieht. So hofft man beim DFB auch in Frankreich noch auf einen Anstieg des Zuschauerinteresses. Das Achtelfinale hat des Teams von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bereits erreicht, das steht schon vor dem letzten Gruppenspiel gegen Südafrika steht.
Traumzahlen noch ein Stück weg
Verglichen mit der letzten WM 2015 in Kanada ist die Mannschaft sportlich schon weiter, damals musste das Ensemble der damaligen Bundestrainerin Silvia Neid nach einem durchwachsenen zweiten Gruppenspiel zwingend liefern, um nicht vorzeitig auszuscheiden. Im spannenden dritten Spiel gegen Norwegen schauten deutlich mehr als 7 Mio. Zuschauer in Deutschland zu - und 2011 waren es noch viel mehr. Die Heim-WM 2011 setzte neue Maßstäbe für den Frauenfußball. In ihren vier WM-Spielen knackten die DFB-Frauen damals die Marke der zweistelligen Millionenzahl: In den drei Gruppenspielen gegen Kanada (15,41 Mio.), Nigeria (16,45 Mio.) und Frankreich (16,3 Mio.) sowie im Viertelfinale (17,01 Mio.), das gegen die späteren Weltmeisterinnen aus Japan mit 0:1 verloren ging.
Solche Traumquoten sind zumindest bei den nächsten Spielen des DFB-Teams noch nicht zu erwarten. Sollte der Finaleinzug gelingen, wären sie allerdings durchaus wieder denkbar. Was aber bedeuten diese Zahlen?
Sie zeigen, dass sich die Deutschen zumindest punktuell sehr wohl für die weibliche Seite des Fußballs interessieren können. Es dürfte aber nach der Erfahrungen vergangener Turniere bei "punktuell" bleiben. Denn im Lager des DFB ist lange bekannt, dass Welt- und Europameisterschaften im Fußball der Frauen eine leuchtende Aufmerksamkeits-Ausnahme sind. Im Liga-Alltag plagen die Fußballerinnen die gleichen Probleme wie viele andere Sportarten, die im Schatten der männlichen Fußballer stehen: fehlende Medienpräsenz, geringes Zuschauerinteresse vor Ort und im TV (durchschnittlich knapp über 1.100 Zuschauer in der Fußball-Bundesliga der Frauen), keine Nachhaltigkeit von kurzfristigen Begeisterungswellen bei Turnieren.
Auch in den USA, Frankreich und England steigen die Quoten
Dennoch setzen viele im deutschen Fußball auf das Momentum der WM. Die große Sichtbarkeit während des Turniers (allein das ZDF sendet rund 70 Stunden live aus Frankreich) soll Mädchen und junge Frauen motivieren, selbst die Fußballschuhe zu schnüren. Die Vereine hoffen so auf mehr Zulauf. Und auch wenn man noch nicht von einem echten Boom sprechen kann, so machen die Zahlen zumindest Mut.
Und auch im internationalen Vergleich zeigt sich eine klare Tendenz: Sahen bei der WM 2015 noch 1,4 Millionen Menschen in Frankreich das Auftaktspiel ihrer Mannschaft, waren es nun beim Heimspiel 9,83 Millionen beim klaren 4:0-Auftaktsieg der Équipe tricolore gegen Südorea. In England vermeldete die BBC ebenfalls einen Anstieg der Quoten: 2015 schauten 1,5 Millionen Menschen auf der Insel das Auftaktspiel des englischen Teams, im ersten Spiel der Engländer der Endrunde 2019 waren es 4,6 Millionen Zuschauer - wobei der Gegner Schottland durchaus positiv zur Reichweite beigetragen haben sollte (England gewann mit 2:1). Und in den USA nahm die Zuschauerzahl ebenfalls leicht zu: Der Sender Fox Sports vermeldete vom ersten Spiel der Amerikanerinnen in Frankreich (13:0 gegen Thailand) eine um fünf Prozent höhere Zuschauerzahl im Vergleich zum Auftaktspiel des US-Teams bei der WM 2015 - trotz der nicht idealen Anstoßzeit für Zuschauer in den USA.
Das Interesse an der WM der Fußballerinnen wächst also messbar. Und das Turnier hat ja gerade erst angefangen.