Fatah und Hamas treffen sich in Gaza
1. Oktober 2017Vielleicht ändert sich ja diesmal wirklich etwas. Jasser al-Kurdi sitzt in seinem Garten in Gaza-Stadt und will optimistisch klingen: "Es gibt keinen anderen Weg. Diesmal müssen sie die Versöhnung wirklich hinbekommen."
Früher hat er als Polizeibeamter für die palästinensische Autonomiebehörde gearbeitet. Seit 2007 sitzt er zu Hause. Ein anderer Polizist, angestellt von den Hamas-Behörden, macht seinen Job. Vor zehn Jahren, als die Hamas die Macht im Gazastreifen übernahm, wies die palästinensischen Autonomiebehörde ihre Angestellten an, die Arbeit niederzulegen. Ihr Gehalt bekommen sie trotzdem weiter. Was als provisorische Maßnahme gedacht war, dauert nun bereits über ein Jahrzehnt an.
Seitdem sind zwei komplett getrennte Verwaltungen entstanden - eine Hamas-regierte im abgeriegelten Gaza-Streifen, die andere im besetzten Westjordanland. Dort hat die Fatah-dominierte palästinensische Autonomiebehörde das Sagen. Die Zusammenführung der Behörden ist nur eine der vielen Herausforderungen für den Versöhnungsprozess zwischen Fatah und Hamas, der unter der Vermittlung der Ägypter nun beginnen soll.
"Die Menschen in Gaza sind müde und erschöpft", sagt Mkhaimer Abu Saada, Politikwissenschaftler an der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt. "Man wird sich nicht mit symbolischen Schritten zufriedengeben. Viele hier wollen, dass die Regierung sich sofort mit den drängendsten Problemen beschäftigt, etwa mit der mangelnden Stromversorgung. Aber natürlich müssen auch die langfristigen politischen Themen angegangen werden."
Zugeständnisse und Zerwürfnisse
Vor zwei Wochen hatte die Hamas angekündigt, den umstrittenen Verwaltungsrat aufzulösen, der die Regierungsgeschäfte im Gazastreifen de facto geführt hatte. Nach intensiven Vermittlungsgesprächen mit Ägypten hat die Hamas auch Parlamentswahlen zugestimmt und will den Dialog mit der Fatah aufnehmen.
Zuletzt war der Streit zwischen Hamas und Fatah weiter eskaliert. Den umstrittenen Verwaltungsrat hatte Hamas erst im Mai diesen Jahres eingesetzt mit der Begründung, die palästinensische Autonomiebehörde würde ihre Pflichten in Gaza vernachlässigen. In Ramallah sah man darin eine Schattenregierung. Präsident Abbas weigerte sich daraufhin, die Stromrechnung für Gaza zu bezahlen, um Druck auf Hamas auszuüben. Zwar gibt es im Gazastreifen ohnehin seit Jahren nicht genügend Elektrizität, doch zuletzt mussten die Menschen mit nur vier bis fünf Stunden Strom täglich auskommen.
Die Bedeutung von "Versöhnung"
Jetzt soll alles anders werden. "Wir warten jetzt auf die ersten Schritte vor Ort. Wir wollen sehen, dass Ministerpräsident Rami Hamdallah von der Hamas empfangen wird und dass alle Türen der Ministerien offenstehen", sagt Nabil Shaath, enger Berater von Präsident Mahmud Abbas in Ramallah. In den vergangenen Tagen ließ auch der neue Hamas-Chef Jahja Sinwar in mehreren Interviews wissen, dass er sich für einen Versöhnungsprozess einsetze und es keine Toleranz für diejenigen gäbe, die ihn torpedieren wollten.
Dennoch sind Beobachter skeptisch, ob beide Seiten das gleiche meinen. "Das Wort Versöhnung wird manchmal bei der Hamas anders verstanden als von einigen im Westjordanland", sagt Sami Abdel Shafi, politischer Analyst in Gaza-Stadt. "Im Westjordanland sprechen einige von einer kompletten Übernahme der Regierungsgeschäfte in Gaza, aber innerhalb der Hamas heißt es auch, die Macht sei zu teilen."
Eine der grundlegendsten Fragen ist dabei die Sicherheit und die Rolle des bewaffneten Flügels der Hamas, der Kassam-Brigaden. Diese haben bereits angekündigt, dass sie ihre Waffen nicht niederlegen werden. Auch die strategische politische Ausrichtung eines gemeinsamen Programms wird als Herausforderung gesehen.
Arbeitslosigkeit und Abriegelung
Im Zentrum von Gaza-Stadt sind die Erwartungen gemischt. Denn Versuche der Aussöhnung gab es immer wieder: Zuletzt unterzeichneten beide Seiten im April 2014 ein Abkommen in Gaza, nur drei Monate, bevor der dritte Krieg zwischen der Hamas und Israel begann. "Natürlich ist die Regierung hier herzlich willkommen", sagt Passant Raed Issa. "Aber wir wissen auch, dass sich in den vergangenen elf Jahren viele Probleme angesammelt haben. Und auch die Regierung kann nicht zaubern, so dass sich über Nacht plötzlich alle Streitpunkte auflösen."
Der junge Ingenieur Nidal Hammad hat sehr klare Vorstellungen, um was sich eine Regierung der nationalen Einheit zuerst kümmern sollte: "Sie sollten wirklich etwas für die Menschen hier tun, sie sollten Arbeit und Jobmöglichkeiten schaffen." Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei geschätzten 44 Prozent. Gerade für junge Leute ist es schwierig, einen Job zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen. Und eine Arbeit außerhalb Gazas zu suchen, ist so gut wie unmöglich: Seit nunmehr einem Jahrzehnt riegeln Israel und Ägypten den Gazastreifen weitgehend ab.
Auch deshalb hoffen viele darauf, dass Rafah, der einzige Grenzübergang zu Ägypten und Gazas Tor zur Außenwelt, im Zuge der Versöhnungsgespräche regulär geöffnet wird. Seit Jahren ist der Übergang in Rafah nur zwei bis drei Tage im Monat möglich. Tausende Menschen stehen auf einer Warteliste, um ausreisen zu dürfen. In den vergangenen Monaten hatte Ägypten den Grenzübergang renoviert, die Hamas hat die Sicherheitsmaßnahmen rund um die Grenzanlagen zum Sinai verstärkt. Auch das ist ein Anzeichen, dass sich die bisher schwierigen Beziehungen zwischen Ägypten und der Hamas verbessert haben, sagen Beobachter.
"Wir hoffen wirklich darauf, dass es ganz praktische Maßnahmen geben wird, die unseren Alltag verbessern", sagt Hdaya Shamoun, eine junge Palästinenserin, die in einer Nichtregierungsorganisation arbeitet. Aber noch sei nicht klar, ob die symbolischen Gesten und Reden tatsächlich etwas für die Menschen im Alltag verändern werden: "Ich würde es wirklich gerne glauben, dass es dieses Mal mit der Versöhnung klappt", sagt die junge Frau. "Es fühlt sich so an, als sei das die letzte Chance."