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GesellschaftGlobal

Faktencheck: Warum glauben wir Fake News?

4. Juli 2023

Falschnachrichten sind zu einer echten Bedrohung für die Gesellschaft geworden. Wie beeinflussen psychologische und soziale Faktoren, ob wir auf sie hereinfallen oder nicht? Und: wie können wir uns dagegen wappnen?

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Bildergalerie Nutzung digitaler Technologie durch die Menschen in Bangladesch
Ist das, was wir sehen, Fakt oder Fake? Oft überschätzen wir unsere Fähigkeit, sie voneinander zu unterscheidenBild: Martin Bertrand/IMAGO

Ob Ukraine-Krieg, Coronavirus oder Gendern - gerade zu emotionalen und kontroversen Themen kursieren seit einigen Jahren immer mehr Fake News im Internet. Mitunter kann es schwierig sein, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Andere Male sind Fakten beziehungsweise Fakes einfacher erkennbar - eigentlich.

Doch nicht für jeden: Manche Internetnutzende nehmen Desinformation und Fake News schneller für bare Münze als andere. In diesem DW-Faktencheck gehen wir der Frage nach, woran das liegt.

Kognitive Verzerrungen führen uns hinters Licht

Ein diesbezüglich immer wieder auftauchender Begriff ist "cognitive bias" (kognitive Verzerrung). Er beschreibt fehlerhafte Neigungen im menschlichen Denken, von denen wir uns nur schwer freimachen können.

Beim Hereinfallen auf Fake News spielen unter anderem unsere Ansichten, unser vorgefertigtes Weltbild, in manchen Fachartikeln auch "partisanship" oder "confirmation bias" genannt, eine große Rolle.

Der Kognitionspsychologe Stephan Lewandowsky, Autor bekannter Fachliteratur zum Thema , erläutert: "Wenn ich etwas höre, das ich hören will, weil es mit meinen politischen Ansichten übereinstimmt, dann glaube ich es umso mehr." Wir sind also stets voreingenommen. Wer zum Beispiel der Überzeugung ist, dass Deutschland zu viele Geflüchtete aufnimmt, ist eher geneigt Nachrichten zu glauben, die von der Überforderung der Kommunen handeln oder generell Negatives über diese Gruppe aussagen.

Computer l Sucht l Fake News l Symbolbild
Likes vergeben und etwas teilen, ohne es zu überprüfen - gängige Praxis im InternetBild: Dmitry Ageev/Blend Images/Bildagentur-online/picture alliance

Eine weitere wichtige "cognitive bias" ist, dass wir oft voreilig unserer Intuition vertrauen. Es erscheint uns unnötig - und oft ist es uns wohl auch zu lästig - etwas noch einmal zu checken, bevor wir es verinnerlichen, kommentieren und weiterleiten. So lesen viele Userinnen und User lediglich die Headline von Artikeln, nicht aber den eigentlichen Text.

Das haben etwa "The Science Post" und "NPR" getestet, in dem sie irreführende Schlagzeilen posteten. Dass das Ganze ein scherzhaftes Experiment war, erfuhren Leserinnen und Leser nur, wenn sie auf die Links klickten - was die meisten nicht taten.

Negatives triggert uns am stärksten

Auch der "Bandwagon Effect" (Mitläufereffekt) leitet uns fehl: Demnach orientieren sich Menschen oft an Anderen statt sich selbst eine Meinung zu bilden. In Bezug auf Fake News heißt das: Wir glauben Informationen eher, wenn das auch viele andere tun.

Bei einem Social-Media-Post mit vielen Shares und Likes neigen wir also dazu, der Schwarmintelligenz zu vertrauen. Blöd nur, dass das auch fast alle anderen tun und - wie bereits gesagt - die meisten sharen und liken, ohne sich genauer mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.

Unser Gedächtnis ist ebenfalls nicht besonders hilfreich, wenn es darum geht, Gesehenes oder Gelesenes richtig abzuspeichern, Stichwort "Persistence of Inaccuracy" (Fortbestehen der Ungenauigkeit). Wir erinnern uns oft nicht allzu gut, ob etwas nun wahr oder falsch war. Gar nicht so selten behaupten Menschen, eine Falschinformation habe gestimmt, selbst wenn sie später korrigiert wurde, etwa in Form eines Faktenchecks.

Abgesehen von diesen Verzerrungen funktionieren Fake News auch deshalb so gut, weil wir uns mehr von Emotionen leiten lassen als uns bewusst ist. Dass sich Falschnachrichten sechsmal schneller verbreiten als wahre Informationen, sei genau dieser Emotionalität geschuldet, so Lewandowsky. "Und wir wissen, dass Menschen besonders stark auf Informationen anspringen, die negative Gefühle wie etwa Empörung auslösen." Diese Art von Fake News habe die größte Chance viral zu gehen.

Faktencheck: Wie erkenne ich Fake News?

Die Frage ist manchmal eher, ob uns etwas nützt

Eine Studie der Universität Würzburg vom vergangenen Jahr, bei der 600 Teilnehmende den Wahrheitsgehalt verschiedener Aussagen beurteilen sollten, hat zudem zutage gefördert: Dunkle Persönlichkeitsmerkmale und sogenannte postfaktische epistemische Überzeugungen machen uns anfälliger für Fake News.

Im DW-Interview erklärt der Erstautor der Studie, Psychologe Jan Philipp Rudloff: "Um etwas über die Überzeugungen der Befragten bezüglich Wissen und Fakten herauszufinden, haben wir sie gefragt: Vertrauen Sie Ihrer Intuition, wenn Sie Informationen begegnen? Wie viel Wert legen Sie auf Beweise? Glauben Sie, dass es so etwas wie unabhängige Fakten überhaupt gibt?"

Die Auswertung habe ergeben, dass es den Studienteilnehmenden schwerer gefallen sei, wahre Aussagen von falschen zu unterscheiden, je mehr sie auf ihr Bauchgefühl vertrauten und je weniger sie an die Existenz von Fakten glaubten.

"Und dann haben wir uns auch noch den 'dunklen Faktor der Persönlichkeit' angeschaut, sozusagen den Kern aller dunkler Persönlichkeitsmerkmale wie etwa Narzissmus oder Psychopathie", so Rudloff. "Sie heißen deshalb dunkel, weil die mit Verhalten zusammenhängen, dass wir gesellschaftlich nicht gutheißen."

Für Menschen mit einem starken dunklen Persönlichkeitsfaktor sei der eigene Vorteil das Wichtigste. Alles andere - und das könne unter Umständen auch die Wahrheit sein - werde dem untergeordnet.

"Die Frage ist dann nicht, ob eine Information wahr ist oder nicht, sondern, ob sie ihnen nützt, in die Karten spielt, als Rechtfertigung dient." Dunkle Persönlichkeitsmerkmale und ein problematisches Verständnis von Wissen und Fakten gehen laut Rudloff oft Hand in Hand und manifestieren sich meist bereits in jungen Jahren.

Der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Zustimmung

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt, der die Verbreitung von Fake News begünstigt, weist der US-amerikanische Kommunikationsforscher Joe Waltherhin. Er sieht im Liken, Kommentieren und Weiterverbreiten von Informationen im Internet vor allem eine soziale Interaktion: "Menschen sind in den sozialen Netzwerken aktiv, um das Gefühl zu haben, Teil von etwas zu sein, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen."

Social Media Apps | WhatsApp Facebook Twitter Instagram
Was uns antreibt - auch im Internet - ist der Wunsch nach sozialer InteraktionBild: Nasir Kachroo/ZUMA Press/imago images

Der Direktor des "Center for Information Technology and Society" an der University of California veranschaulicht: "Ich könnte Ihnen etwa die Nachricht weiterleiten, dass die Forschung herausgefunden hat, kleine Menschen seien empfänglicher für Fake News als große. Nicht etwa, weil ich glaube, dass das wahr ist, sondern weil ich annehme, es würde Ihnen gefallen und Sie würden es zu schätzen wissen, dass ich Ihnen diese verrückte, lustige Story schicke."

Dieses Beispiel macht gleichzeitig klar: Oft teilen Internetnutzende Fake News gar nicht, weil sie darauf hereingefallen sind. Vielmehr wollen sie sich selbst und andere schlichtweg unterhalten und amüsieren. Oder sie teilen Inhalte sogar, eben weil sie sie NICHT für wahr halten. 

Ausblick: Was können wir tun?

Die Gründe, warum wir Fake News glauben, sind also komplex. Sie haben unter anderem mit unserer Persönlichkeit und unserer Einstellung gegenüber Wissen und Fakten zu tun. Auch sind Fake News ein reizvolles Vehikel, um mit anderen in Kontakt zu treten und in den Genuss von Aufmerksamkeit und Zustimmung zu kommen. Es gibt zudem verschiedene kognitive Mechanismen, die unsere Wahrnehmung verzerren.

Die Frage ist: Wie werden wir resilienter? Ein erster Schritt ist vermutlich, sich unserer Manipulierbarkeit und Subjektivität bewusst zu werden. Jan Rudloff plädiert dafür, Schülern und Studierenden verstärkt Metawissen bezüglich Fakten und Wissenschaft zu vermitteln.

"Letztendlich ist es in der Wissenschaft immer so, dass man nur einen Konsens finden kann, eine Art Übereinstimmung unter möglichst vielen ExpertInnen. Sobald neue Informationen hinzukommen, kann sich das, was vorher als Fakt oder Konsens galt, aber verschieben."

Das sei sehr komplex und einige Menschen hätten dadurch den Eindruck, Fakten würden willkürlich von den "Eliten" festgelegt. So wie während der Corona-Pandemie, als es erst hieß, Kinder würden COVID-19 nicht so stark weiterverbreiten - und dann plötzlich doch.

Ein Ansatz, der in eine ähnliche Richtung geht, ist das sogenannte "Prebunking". Mit Informationen über Fake News und Desinformation sollen Nutzerinnen und Nutzer sensibilisiert werden, schon bevor ihnen diese begegnen. Vor einer Wahl, bei der viele Falschnachrichten zu erwarten sind, um Wählerinnen und Wähler zu manipulieren, wäre zum Beispiel eine entsprechende Informationskampagne denkbar.

Infografik FaktenCheck Fake News DE
DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis