Fachkräftemangel: Weniger Steuern für Ausländer?
9. Juli 2024Steuervorteile für Unternehmen, Anreize für längeres Arbeiten im Alter, Maßnahmen zum Bürokratieabbau - das sind nur einige einer Reihe von Punkten, mit denen die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken will.
Auch die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften nach Deutschland soll verbessert werden. "Wir schaffen einen Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit in Deutschland. Es gibt 30, 20 beziehungsweise zehn Prozent Rabatt für die Menschen, die als qualifizierte Fachkräfte zu uns kommen", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bei der Vorstellung der Maßnahmen am 5. Juli.
Kritik an Steuerrabatten für ausländische Fachkräfte
Der Plan kommt bei vielen in Deutschland gar nicht gut an. "Eklatante Diskriminierung von Inländern", "Gefahr für den sozialen Frieden", "offen inländerfeindliche Politik", "rücksichtslos gegenüber einheimischen Beschäftigten", so lauten Kommentare von Oppositions-Politikern und Gewerkschaftern.
Kritik kommt allerdings auch aus den Reihen der Regierungsparteien. Die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke verweist im Gespräch mit der DW darauf, dass laut dem Grundgesetz, also der Verfassung, vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. "Wir haben den Gleichbehandlungsgrundsatz in Deutschland, das heißt, es soll niemand schlechter behandelt werden. Aus meiner Sicht wäre es ein Stück weit eine Diskriminierung der Inländer, wenn wir sagen würden, diejenigen, die von außen kommen aus anderen Ländern, die werden steuerlich zumindest für einen gewissen Teil ihres Lohnes freigestellt."
Es könnte also verfassungswidrig sein, wenn bestimmte Gruppen bei gleicher Arbeit durch Steueranreize mehr Geld im Portemonnaie hätten.
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland
Prominentester Kritiker aus dem Regierungslager ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. "Ich gebe zu, dass ich an diesem Punkt über die Einigung nicht furchtbar glücklich bin", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. "Das müssen wir uns nochmal genauer anschauen." Auch Heil fürchtet offenbar Neid-Debatten. "Da muss man aufpassen, dass da kein gesellschaftliches Missverständnis entsteht."
Die Kritik kommt vor allem bei der FDP schlecht an, die seit Monaten dafür kämpft, die Wirtschaft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anzukurbeln. "Die aktuelle Lage der Unternehmen ist mau, in der Industrie sogar schlecht", fasste Ende Mai der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, die wirtschaftliche Lage in Deutschland zusammen.
Fachkräftemangel: Größtes Risiko für das Wirtschaftswachstum
"Die Hoffnung der letzten Monate, dass ein gutes Auslandsgeschäft oder eine wieder anziehende Inlandsnachfrage als Motor der heimischen Unternehmen wirken könnten, hat sich nicht bestätigt." Das und "handfeste strukturelle Herausforderungen" hielten die Wirtschaft "weiterhin im Griff", so Wansleben.
Zu den "handfesten strukturellen Herausforderungen" gehört der seit Jahren absehbare und inzwischen massive Fachkräftemangel in Deutschland. Das liegt daran, dass immer mehr ältere Menschen in Rente gehen als jüngere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Ökonomen bezeichnen den Fach- und Arbeitskräftemangel inzwischen als größtes Risiko für das zukünftige Wirtschaftswachstum.
Maßnahmen zur Förderung der Zuwanderung
Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen derzeit etwa 573.000 qualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland. Die Ökonomen haben ausgerechnet, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um mehr als ein Prozent oder 49 Milliarden Euro höher liegen würde, wenn ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen würden. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass in den Konjunkturprognosen für 2024 nur 0,2 Prozent Wachstum vorausgesagt werden.
2020 brachte die Regierung ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg, das seitdem kontinuierlich reformiert wurde. Mit dem Ziel, möglichst viele Hürden aus dem Weg zu räumen, die ausländische Arbeitskräfte davon abhalten können, nach Deutschland zu kommen. Das betrifft vor allem auch bürokratische Hindernisse.
Mehr Fachkräfte kommen, aber es sind zu wenige
Doch der erhoffte Zuzug will sich nicht einstellen. Wohl auch, weil sich herumgesprochen hat, dass es in Deutschland sehr schwierig ist, eine Wohnung zu finden und die Ausländerfeindlichkeit vor allem in den ostdeutschen Bundesländern weiter zugenommen hat. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung kamen 2022 rund 70.000 qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland. Damit wurde der bisherige Höchstwert von rund 64.000 Personen aus dem Jahr 2019 vor der Corona-Pandemie zwar deutlich übertroffen. Doch es sind viel zu wenige, um den Mangel auszugleichen.
Der geplante Steuerrabatt ist ein weiterer Versuch, um Deutschland attraktiver für Fachkräfte zu machen. Arbeitsminister Hubertus Heil zweifelt allerdings daran, dass mit dieser Maßnahme andere Nachteile ausgeglichen werden könnten. "Der Punkt ist nicht entscheidend." Wichtig sei vor allem, bürokratische Hürden abzureißen, Visaerteilungen zu beschleunigen oder Berufsanerkennungen verbessern.
Vorteile für Länder, in denen Englisch gesprochen wird
Gravierend nachteilig sei auch das Sprachproblem. Deutschland liege in der Liste der Länder, die attraktiv für qualifizierte Einwanderer seien, nur auf Platz Fünf. " Vor uns sind vier englischsprachige Länder."
Kritik an Heils Äußerungen kommt vom Haushaltsexperten der FDP-Bundestagsfraktion, Christoph Meyer. "Die Äußerungen von Hubertus Heil bringen den Wirtschaftsstandort Deutschland kein Stück voran", sagte Meyer der Nachrichtenagentur AFP. Steuerliche Anreize für Hochqualifizierte seien mittlerweile "in der halben EU ein Baustein zur Lösung des Arbeitskräftemangels".
Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte in der EU
2018 listete die Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Großbritannien und Zypern als Länder auf, in denen es Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte gebe.
Darauf verwies am Montag auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit. "Es gibt den Finanzplatz London, es gibt den Finanzplatz Paris, den Finanzplatz Mailand und auch den Finanzplatz Frankfurt. In all diesen Ländern, wie in vielen anderen europäischen Ländern, gibt es solche steuerlichen Anreize und Vergünstigungen, um Fachkräfte an die jeweiligen Orte zu locken."
Kein Anreiz für Multimillionäre
Bei den Plänen der Bundesregierung gehe es aber nicht darum, in Zukunft alle ausländischen Arbeitskräfte steuerlich zu begünstigen, so Hebestreit. Die Regelung sei nur für "bestimmte Bereiche" gedacht, für die Details nun entwickelt würden. "Dann wird es ein Mindestjahreseinkommen geben, ab dem das gelten soll, und einen Höchstbetrag, sodass man Multimillionäre nicht noch steuerlich begünstigt, damit sie nach Deutschland kommen."