EZB: Druck von allen Seiten
3. Dezember 2015EZB-Chef Draghi ist nicht zu beneiden. Die Entscheidung, das Kaufprogramm von monatlich 60 Milliarden Euro für Anleihen um mindestens sechs Monate zu verlängern, wird von allen Seiten kritisiert. Ursprünglich sollte das Programm bis September 2016 laufen, nun wird es bis Ende März 2017 verlängert, mindestens.
"Der Aktionismus der EZB ist übertrieben", sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). "Je mehr die Mitgliedsstaaten [der Eurozone - d.Red.] sich an die Unterstützung der EZB gewöhnen, desto weniger Anreiz gibt es für eine solide Haushaltsführung."
Börsen geben nach
Enttäuscht waren auch die Finanzmärkte - wenn auch aus einem anderen Grund. Anleger hatten gehofft, die EZB werde die monatliche Volumengrenze von 60 Milliarden Euro anheben - also noch mehr Geld in die Märkte spülen. An den Börsen gaben die Kurse nach der Bekanntgabe der Details deutlich nach.
Lob kam dagegen vom Internationalen Währungsfonds: "Die EZB sollte weiterhin starke Signale senden, dass sie bereit ist, sämtliche Instrumente einzusetzen, um ihr Ziel stabiler Preise zu erreichen", sagte ein IWF-Sprecher.
Nicht einstimmig
Im Rat der EZB stimmten nicht alle Mitglieder für die erneute Ausweitung der Geldpolitik. Die Entscheidung "fiel nicht einstimmig", gab Draghi zu, "aber es gab eine große Mehrheit für dieses Paket an Maßnahmen.
Dazu gehört neben der Verlängerung des Kaufprogramms auch die Erhöhung der Strafzinsen für Banken, die ihr Geld lieber bei der EZB parken, als es zu verleihen. Der Einlagesatz wurde von bisher -0,2 Prozent auf -0,3 Prozent abgesenkt. Der Leitzins bleibt dagegen auf seinem bisherigen Rekordtief von 0,05 Prozent.
Draghi teilte zudem mit, das Kapital zum Anleihekauf wieder zu reinvestieren, wenn die Anleihen fällig werden, und zwar "so lange wie nötig". Außerdem können jetzt auch Anleihen von Bundesländern bzw. Regionen und Kommunen aufgekauft werden.
Erfolg oder Scheitern?
Draghis oft wiederholte Formel "so lange wie nötig" zeigt das ganze Dilemma der EZB. Ihr Ziel ist eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Doch für das laufende Jahr erwartet sie einen Preisanstieg von nur 0,1 Prozent. In den Folgejahren wird die Inflation nach Schätzungen der Zentralbank zwar wieder anziehen, aber weniger stark als noch vor kurzem erwartet. Die Experten der EZB mussten ihre Prognose erneut leicht senken, auf 1,0 für 2016 und 1,6 Prozent für das Jahr 2017.
Ist die ultra-lockere Geldpolitik der EZB also bisher wirkungslos geblieben? Nein, behauptet Draghi und verweist auf eine ganze Reihe von statistischen Daten. Die zeigen, dass sich die Kreditkonditionen für Unternehmen und Haushalte in der Eurozone deutlich verbessert haben.
Trotzdem ist die Inflationsrate, das Hauptanliegen der EZB, unverändert niedrig. Für Draghi ist das jedoch kein Grund, an der Wirksamkeit seiner Medizin zu zweifeln. "Wir machen mehr, weil es funktioniert", sagte er, "und nicht, weil es bisher gescheitert ist."
Flaue Konjunktur
Wie zur Verteidigung wies Draghi darauf hin, dass der private Konsum zuletzt das magere Wirtschaftswachstum gestützt hat, während Exporte eine geringere Rolle spielten. Mit anderen Worten: Ein wichtiger Grund für die schwache Entwicklung des Wachstums und der Inflation liege außerhalb der Eurozone - in der Krise der Schwellenländer und im niedrigen Ölpreis.
Doch warum sollten Unternehmen die guten Kreditkonditionen für Investitionen nutzen, wenn die Wirtschaft nicht läuft? "Die schleppende Kreditnachfrage in der Währungsunion ist weder ein Zins- noch ein Liquiditätsproblem", sagte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Bankenverbands und kritisierte den Kurs der EZB: "Wer mit dem Auto auf holpriger Strecke unterwegs ist, wird nicht schneller, wenn er auf ein stärkeres Auto umsteigt."
Ähnlich sieht das Clemens Fuest. Niemand würde wegen des EZB-Kaufprogramms mehr investieren, so der Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. "Die Gläubiger werden durch sinkende Zinsen immer mehr verunsichert und investieren und konsumieren ebenfalls eher weniger."
Nächstes Level: Geld drucken?
Die Anleihen werden nicht von der EZB selbst, sondern von den nationalen Notenbanken aufgekauft, und nur auf dem Sekundärmarkt, also nicht direkt beim Schuldner. Draghi wies darauf hin, dass die Notenbanken der Euroländer selbstständig entscheiden, was sie kaufen.
Angesprochen auf Berichte, dass einzelne Notenbanken bereits dabei seien, den eigenen Staat direkt durch den Ankauf von Anleihen zu finanzieren, also letztlich Geld zu drucken, sagte Draghi: "Das kann ich völlig sicher ausschließen. Denn das müssten sie der EZB mitteilen."
Die direkte Staatsfinanzierung ist in der Währungsunion verboten. Doch selbst bei diesem Punkt gibt es zwei Lager: Für die einen wäre Geld drucken die Lösung der aktuellen Probleme, für die anderen der absolute Sündenfall. Draghis Job, soviel ist sicher, wird auch in Zukunft umstritten bleiben.