Kritik am Entwurf
19. März 2012
Fehler im Kampf gegen den Rechtsextremismus hat der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, schon mehrmals eingeräumt. Allerdings wehrt er sich - unter dem Eindruck des mörderischen Neonazi-Terrors - gegen den pauschalen Vorwurf des Versagens der Sicherheitsbehörden. Das Gleiche gilt für Jörg Ziercke, den Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA). Als im November vergangenen Jahres die Hintergründe der Ermordung von neun Einwanderern und einer Polizistin im Zeitraum von 2000 bis 2007 aufgedeckt wurden, offenbarten sich jedoch schnell zahlreiche Kommunikations- und Kompetenzprobleme.
Vor allem der mangelhafte Informationsaustausch zwischen den 36 Verfassungsschutz- und Kriminalämtern auf Bundes- und Landesebene hat die Aufklärung der Mordserien offenbar verzögert. Obwohl die mutmaßlichen Täter lange im Blickfeld der Verfassungsschützer in Thüringen waren, konnten sie untertauchen und über Jahre hinweg unbehelligt morden. Um solche tragischen Fehler künftig möglichst zu vermeiden, will die Bundesregierung eine zentrale Rechtsextremismus-Datei einrichten, auf die Polizei- und Geheimdienste Zugriff haben sollen. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt bereits vor, stößt bei Experten allerdings auf zahlreiche Bedenken. Das wurde in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsinnenausschusses deutlich.
Strafrechtler warnt vor Gesinnungsdatei
Fredrik Roggan, Strafrechtler an der Polizeiakademie Niedersachsen, warnte vor einer Aufweichung des Trennungsgebotes für Polizei und Nachrichtendienste. Gegenseitige Datenübermittlungen dürften "allenfalls als gesetzlicher Ausnahmefall" möglich sein, sagte er den Mitgliedern des Innenausschusses. Zudem ist aus Roggans Sicht der Gewaltbegriff zu unscharf umrissen. Im Gesetzentwurf für die Rechtsextremismus-Datei ist die Rede von "Aufklärung oder Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus, insbesondere zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten mit derartigem Hintergrund". Diese Formulierung hält Roggan für so vage, dass es letztlich auf eine "Gesinnungsdatei" hinauslaufen könnte.
Ähnliche Befürchtungen äußerte Sönke Hilbrans, der als Fachanwalt für Strafrecht in einer Berliner Kanzlei arbeitet. Er bemängelte bei der Anhörung zudem, es habe bislang keine ausreichende Fehler-Analyse der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden gegeben. Deshalb sei es noch zu früh, "sich auf bestimmte Instrumente festzulegen". Vor allem aber rechnet Hilbrans damit, dass die Nachrichtendienste im Zweifelsfall ihren im neonazistischen Milieu eingesetzten Spitzeln (V-Leute) auch in Zukunft Anonymität garantieren werden. Im Gesetzentwurf für die Rechtsextremismus-Datei gebe es entsprechende Klauseln, "welche behördlichen Geheimhaltungsinteressen den Vorrang vor der innerbehördlichen Kooperation und Kommunikation einräumen sollen", heißt es in der ausführlichen Stellungnahme des skeptischen Juristen Hilbrans.
BKA und BfV halten die Datei für unverzichtbar
Für unverzichtbar erklärten dagegen die Vertreter des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes die Datei in der von der Regierung geplanten Form. BfV-Vizepräsident Alexander Eisvogel verspricht sich besonders viel von der vorgesehenen Möglichkeit der "verdeckten Speicherung". Damit sind Informationen von V-Leuten gemeint, deren Identität geheim bleibt. Diese Form der Speicherung werde dem BfV dazu dienen, "die aufgrund des notwendigen Vertrauensverhältnisses unverzichtbare Geheimhaltung einer Quelle zu gewährleisten".
Zweifel an der Wirksamkeit einer zentralen Rechtsextremismus-Datei äußert jedoch auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar. Die als Vorbild dienende Datei für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus umfasse inzwischen rund 18.000 Personen. Das seien weit mehr, als erwartet. Schaar sieht die Gefahr, vor lauter Namen und Informationen den Überblick zu verlieren. Eine abschließende Überprüfung dieser bereits seit 2007 betriebenen Antiterror-Datei ist zwar vereinbart, aber noch nicht durchgeführt worden.