Humanitärer Akt oder politische Strategie?
7. Februar 2014Es begann am Freitagmorgen (07.02.2014): Ein Bus mit elf Zivilisten bildete die Vorhut jener rund 200 Bürger, die die umkämpfte syrische Stadt Homs in den kommenden Tagen verlassen sollen - drei Tage gilt die Waffenruhe, die das Regime von Machthaber Baschar al-Assad und die Rebellengruppen vereinbart haben. In einem ersten Schritt sollen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren sowie Männer und Frauen über 55 Jahre evakuiert werden. Dann folgen die übrigen Bewohner.
Das Ende ihrer Leidenszeit bahnte sich in Genf an, wo Vertreter von Regierung und Opposition unter Leitung des UN-Sondergesandten Lakhdar Al-Brahimi erstmals indirekte und dann auch direkte Gespräche miteinander führten. Dort verhandelten sie auch über die Evakuierung. Die Zustimmung des Assad-Regimes fällt zeitlich mit seiner Entscheidung zusammen, nun doch Unterhändler zu entsenden zu den am Montag (10.02.) wieder anlaufenden Friedensgesprächen über die Zukunft Syriens unter Obhut der UN sowie der Arabischen Liga.
Langes Martyrium
Diejenigen, die die Stadt verlassen, haben ein Martyrium hinter sich. Mehr als anderthalb Jahre harrten sie in der von Aufständischen besetzten und von Regierungstruppen belagerten Stadt aus. Die Zivilisten wurden zu Geiseln eines Konflikts, aus dem es für sie lange keinen Ausweg gab.
Sie waren eingeschlossen in einer Stadt, die zu einer Hölle wurde. Die Bilder aus Homs, die die Weltöffentlichkeit erreichen, sind erschreckend: Breite Verkehrsachsen, an denen sich zu beiden Seiten komplett zusammengeschossene Fassaden reihen; wie von einem gewaltigen Arm weggedrückte Häuser; Straßen, die sich durch herabfallenden Schutt zu schmalen Pfaden verengt haben; Ruinen, denen Menschen auf der Suche nach etwas Essbarem entsteigen. Luftbilder zeigen eine Stadt, von der manche Viertel vollkommen zerstört sind.
Die "Hauptstadt der Revolution"
Homs, die "Hauptstadt der Revolution", wie sie in Syrien genannt wird, wurde sehr früh zu einem Zentrum des Aufstands. Mitte April 2011 starben bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Regierungstruppen rund 60 Menschen. Am folgenden Tag versammelten sich Tausende Syrer auf dem zentralen Platz der Stadt, um gegen die Regierung Assad zu protestieren. "Die Freiheit ist unsere", skandierten sie. Der Tag gilt als erste offene Massendemonstration gegen das Regime des syrischen Machthabers.
In den ersten Monaten des Aufstands galt Homs als die Stadt mit den meisten Todesopfern. Das überwiegend von Sunniten bewohnte Viertel Baba Amr wurde zu einer Hochburg der oppositionellen Freien Syrischen Armee. Im Mai 2011 umstellte das Regime die Stadt und zog den Kreis Schritt für Schritt enger zusammen. Systematisch schnitten die Truppen die Stadt von Medizin, Nahrung und Treibstoff ab.
Im März 2012 beschrieb UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in seinem Bericht an die UN-Generalversammlung die Situation in Homs. "Die brutalen Kämpfe halten die Zivilisten in ihren Häusern gefangen. Sie haben weder Nahrung, Wärme, Strom oder medizinische Versorgung. Die Menschen mussten Schnee schmelzen, um trinken zu können."
Hilfe lange Zeit unmöglich
In Homs halten sich nach Angaben der Opposition aktuell etwa 2500 Menschen auf. Seine Organisation habe die Stadt zum letzten Mal im November 2012 betreten können, berichtete Ewan Watson, Medienbeauftragter für Syrien beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC), im Gespräch mit der DW. Schon damals sei die Lage katastrophal gewesen. "Darum haben wir eine ungefähre Vorstellung davon, wie es jetzt um die Menschen steht." Das ICRC habe unbestätigte Berichte erhalten, denen zufolge der Bedarf an Nahrung und Medizin sowie chirurgischen Instrumenten gewaltig ist.
Lange sei das ICRC daran gehindert worden, den Menschen in Homs Hilfe zu bringen, berichtet Watson. Keine der beiden Seiten habe die Helfer autorisieren und ihnen entsprechende Sicherheitsgarantien geben wollen. Unter diesen Umständen sei es unmöglich gewesen, die Stadt zu betreten. Dennoch stehe das Internationale Rote Kreuz bereit, jederzeit Hilfe zu liefern. Die Verantwortung für die Lage der Bewohner liege bei der Politik - logistisch sei ihre Versorgung kein großes Problem. "Wir sind ständig mit 200 Personen in Syrien vertreten. Wir haben entsprechende Strukturen in Damaskus und in Tartus. Dazu gehören mehrere Lager, darunter auch eines in der Nähe von Homs. Von unserer Seite aus ist alles bereit." Noch aber stehen die Genehmigungen der Kriegsparteien aus - sodass die Vertreter der Hilfsorganisationen die Stadt nicht betreten können.
Auch Dan McNorten vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR ) erklärt im Gespräch mit der DW, dass die UN und ihre Partner seit Tagen bereit seien: Decken, Plastikplanen, Nahrungsmittel sowie medizinische Versorgung stünden bereit. "Wir haben unsere Maßnahmen vor zwei Wochen anlaufen lassen. Alles kann geliefert werden."
Was will Assad?
Zweifelhaft ist, wie viele der Eingeschlossenen Homs tatsächlich verlassen können. Dies gilt besonders für Männer zwischen 15 und 55 Jahren. Der Nachrichtensender Al-Dschasira berichtet unter Berufung auf ungenannte Zeugen, diese Männer müssten sich womöglich erst ergeben, bevor sie die Stadt verlassen könnten.
Was dann mit den weiter Eingeschlossen geschieht, ist unklar. Nicht auszuschließen ist, dass das Regime alle in der Stadt Verbleibenden zu "Terroristen" erklärt, gegen die es dann in aller Härte vorgehen kann. Bilder toter Frauen und Kinder aus Homs müsste Assad dann wohl nicht mehr fürchten. Das wäre auch ein Triumph im Medienkrieg, der rund um Syrien tobt.