Evakuierung in Handschellen
9. September 2005Die rund 10.000 Menschen, die trotz des Evakuierungsbefehls in New Orleans geblieben sind, werden nun mit Gewalt aus der Stadt gebracht. Wie die BBC am Freitag (9.9.2005) berichtete, wurden die ersten Bewohner mit Handschellen gefesselt in Evakuierungszentren geführt. Sprecher der Küstenwache und der Polizei hatten zunächst erklärt, sie wollten erst einmal all denen helfen, die die Stadt freiwillig verlassen wollten. Es sei Sache der Polizei, die noch widerstrebenden Bewohner zum Verlassen ihrer Häuser zu bewegen, erklärte die Nationalgarde. Derzeit würden rund 1500 Menschen pro Tag aus der Stadt gebracht. Der Transport werde von der Nationalgarde übernommen.
Die Polizei kämpft nun damit, Bewohner aufzuspüren, die sich der Räumung entziehen wollen. "Wer nicht will, dass wir ihn finden, versteckt sich einfach", sagte Gregg Brown, der als Freiwilliger bei der Evakuierung half. Der 58-jährige Robert Johnson gehörte zu denjenigen, die trotz der Seuchengefahr in New Orleans bleiben wollten. Er habe kein Geld und wolle sein Haus schützen, sagte er. "Wenn es mir schon schlecht geht, dann besser hier."
Langsame Bergung der Leichen
Bürgermeister Ray Nagin hatte die Zwangsmaßnahme wegen der wachsenden Seuchengefahr angeordnet. Die Gesundheitsdienste warnen vor der Ausbreitung von Hepatitis und Wundstarrkrampf. Nach Angaben der US-Umweltbehörde EPA sind bei den ersten umfassenden Wassertests gefährlich hohe Konzentrationen von Kolibakterien und Blei festgestellt worden. Die Werte für Kolibakterien überschritten die Grenzwerte um das Zehnfache. Tests des Nachrichtensenders CNN ergaben teilweise eine Überschreitung um das 100fache. Vier Todesfälle in Texas und Mississippi wurden nach Behördenangaben auf Wundinfektionen zurückgeführt.
Die Bergung der Leichen kommt nur schleppend voran. Wie hoch die Opferzahl am Ende sein wird, ist weiter völlig ungewiss. Für die Katastrophengebiete wurden 25 000 Leichensäcke bereitgestellt - ein Zeichen dafür, dass die Behörden mit dem Schlimmsten rechnen. Eine Suchmannschaft entdeckte allein in einem Krankenhaus in New Orleans 14 Tote - ein Hinweis darauf, was in den kommenden Tagen noch bevorsteht. Kühltransporter brachten nach Angaben einer Sprecherin bis zum Donnerstagabend 118 Tote in die zentrale Leichenhalle in Saint Gabriel bei Baton Rouge, wo die Hurrikan-Opfer identifiziert werden sollen.
"Das Geld ist nicht da"
Der US-Kongress bewilligte 51,8 Milliarden Dollar für weitere Hilfsmaßnahmen in den Hurrikangebieten. Den Löwenanteil erhält die stark in die Kritik geratene Katastrophenschutzbehörde FEMA.
In die Zustimmung zu der Hilfsaktion mischten sich jedoch auch Warnungen vor einem Missbrauch der Mittel und vor einer zu hohen Belastung des US-Haushalts. "Wenn so viel Geld so schnell ausgegeben wird, bringt das Gefahren mit sich", sagte der republikanische Senator Jeff Sessions. Inzwischen gebe es bereits Schätzungen, nach denen 200 Milliarden Dollar für die Hurrikan-Hilfe erforderlich seien. Jedoch wisse jeder, "dass dieses Geld nicht da ist". Der republikanische Abgeordnete Tom Tancredo sagte, an dem dringenden Hilfsbedarf gebe es keine Zweifel. Dadurch werde der Kongress aber nicht der "Pflicht" enthoben, Steuergelder zu sparen.
Tag der Gebete
Präsident George W. Bush erklärte den 16. September zum landesweiten Tag der Gebete für die Opfer des Hurrikans. In einem ungewöhnlichen Schritt trat Bush, der wegen der langsamen Washingtoner Reaktion auf die Katastrophe unter schweren Beschuss geraten ist, am Donnerstag persönlich vor die Fernsehkameras, um mehrere Sofortmaßnahmen zur Hilfe für die Hurrikan-Flüchtlinge bekannt zu geben. Er teilte unter anderem mit, dass jede vom Hurrikan "Katrina" vertriebene Familie 2000 Dollar Nothilfe erhalten solle.
Die oppositionellen Demokraten beharrten auf der Forderung nach einem unabhängigen Untersuchungsausschuss, um die Missstände in den ersten Tagen der Katastrophenhilfe aufzuklären. Der von den Republikanern dominierte Kongress sei nicht geeignet, um die Regierung zu überprüfen, sagten führende Vertreter der Demokraten. Ein Sportler könne auch nicht gleichzeitig Schiedsrichter sein. Vor dem Weißen Haus in Washington forderten 150 Menschen, Bush müsse abgesetzt werden.
Verheerende Umfragewerte für Bush
Auch der frühere Außenminister Colin Powell kritisierte die Katastrophenhilfe. Es habe auf allen Niveaus "viel Versagen" gegeben, sagte Powell. Es habe mehr als genug Warnungen vor den Gefahren für New Orleans gegeben. Er widersprach jedoch dem häufig geäußerten Vorwurf, die unzureichende Versorgung der Hurrikan-Opfer sei eine Form des Rassismus.
Viele Afro-Amerikaner sehen das anders: Einer Umfrage zufolge glauben zwei Drittel, dass die Regierung schneller reagiert hätte, wenn die meisten Opfer weiß gewesen wären. Von der Gesamtbevölkerung meinen zwei Drittel, dass der Präsident nach dem Hurrikan mehr hätte tun können.
Der Wirbelsturm "Ophelia" verharrt derzeit vor der Ostküste Floridas. Das Hurrikan-Zentrum in Miami erwartet, dass der Sturm in den nächsten 12 bis 24 Stunden langsam nordöstlich zieht. "Ophelia" könnte auf das offene Meer abdrehen oder die US-Staaten Georgia oder South Carolina treffen. (stu)