Europaspiele unter schwierigen Vorzeichen
12. Juni 2015Der Öl- und Gas-Boom hat die Hauptstadt Aserbaidschans von einer industriellen Drehscheibe am Kaspischen Meer in eine moderne kleine Metropole verwandelt, mit viel Stahl, Glasfassaden und einer bunt beleuchteten Skyline. In den vergangenen Jahrzehnten war die Stadt den meisten Ausländern weitgehend unbekannt, nimmt man einmal die Verantwortlichen der Ölkonzerne und die ausländischen Arbeiter auf den Ölplattformen aus, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dabei halfen, die riesigen Gasvorkommen vor der Küste auszubeuten.
Das änderte sich 2012, als Aserbaidschan Gastgeber des Eurovision Song Contest wurde, nachdem im Jahr zuvor der Song aus dem Land im Kaukasus gewonnen hatte. Jetzt rückt das Land wieder in den Fokus: 6000 Sportler aus 50 Ländern treten bei den Europaspielen in Baku in 20 Sportarten an.
"Wir erwarten eine Symbiose aus perfekter Organisation, starken Wettbewerben und einer emotionalen Akzeptanz in der Bevölkerung", sagte Bernhard Schwank, Vorstandsmitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). "Wir hoffen, dass Aserbaidschan ein besonderes und einzigartiges Zeichen dieser ersten Ausgabe der Europaspiele setzt."
Unbequeme Wahrheiten
Die Europaspiele werden sicher ihre Spuren in Aserbaidschan hinterlassen. Präsident Ilham Alijew hat nach offiziellen Angaben 1,1 Milliarden Euro für neue Wettkampfstätten und Baumaßnahmen, um die Stadt zu verschönen sowie für Transport und Unterbringung der Athleten und ihrer Betreuer ausgegeben. Schätzungen gehen davon aus, dass die tatsächlichen Kosten zehn Mal so hoch waren. Vieles erinnert an den Eurovision Song Contest 2012, als lukrative Großaufträge an Baufirmen der Herrscherfamilie vergeben wurden.
Für viele Einheimische sind die Großereignisse ihr Geld wert, weil sie den Ruf des Landes verbessern. So wird es jedenfalls dem Volk verkauft. Unbequeme Wahrheiten werden unter den Teppich gekehrt. Beim Eurovision Song Contest vor drei Jahren nutzen aserbaidschanische Oppositionelle die Anwesenheit internationaler Journalisten, um die Weltöffentlichkeit auf Missstände in dem Land aufmerksam zu machen.
In diesem Jahr werde Baku kein Risiko eingehen, dass Menschenrechtsgruppen oder andere Aktivisten die Party vermiesen, sagt Arzu Geybulla, eine aserbaidschanische Journalistin und Wissenschaftlerin, die seit April 2014 ihr Heimatland wegen Morddrohungen gegen sie nicht mehr betreten hat. "Die Erfahrungen während des Eurovision Song Contest haben die Regierung viel vorsichtiger werden lassen", sagte Geybulla der DW. "Sie sind gegen viele zivile gesellschaftliche Gruppen vorgegangen und haben sie zum Schweigen gebracht, um sicherzustellen, dass sie keine ähnlichen Kampagnen wie damals starten."
Ausländische Kritiker unerwünscht
Im vergangenen Jahr wurden in Aserbaidschan kritische Journalisten systematisch hinter Gitter gebracht, Oppositionsgruppen verboten und Nachrichtenagenturen geschlossen, damit Misstöne bei der Ankunft der ausländischen Sportler und Zuschauer ausbleiben.
Laut Angaben von Aktivisten sitzen derzeit rund 80 politische Häftlinge in den Gefängnissen des Landes, einige von ihnen, ohne dass ihnen der Prozess gemacht wurde. "Unsere Kollegen dort können nicht mehr ihre Arbeit machen", sagt Rebecca Vincent, in London ansässige Koordinatorin der Kampagne "Sports for Rights", die sich für die Freilassung politischer Häftlinge in Aserbaidschan einsetzt. "Jeder, der daran beteiligt war, sitzt jetzt entweder im Gefängnis oder wurde ins Exil geschickt."
Die Organisation Amnesty International, deren Aktivisten die Einreise nach Aserbaidschan verweigert wurde, hat die europäischen Staaten aufgerufen, Druck auf ihren Wirtschaftspartner auszuüben, grundlegende demokratische Rechte einzuhalten. "Wir haben nicht zu einem Boykott der Spiele aufgerufen", sagte Levan Asatiani, eine für Aserbaidschan zuständige Amnesty-Aktivistin, der DW. "Wir sehen die Europaspiele als große Gelegenheit für Aserbaidschan, seine Menschenrechts-Bilanz zu verbessern."
Etwa ein Dutzend Staatsoberhäupter werden am Freitag an der Eröffnungsfeier in Baku teilnehmen, darunter der russische Präsident Wladimir Putin, der weißrussische Präsident Alexander Lukashenko und der türkische Präsidident Recep Tayyip Erdogan, allesamt nicht gerade für ihren Ruf als Demokraten bekannt. Westliche Staatschefs reisen nicht nach Baku. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Francois Hollande und der britische Premierminister David Cameron nicht dort sein werden, um die Teams ihrer Länder zu begrüßen, wirft einen Schatten auf die ersten Europaspiele.
Einige europäische Sportverbände haben sich bereits kritisch zu Wort gemeldet, etwa der DOSB, der in Baku mit 270 Athleten vertreten ist. "Wir treten für Menschenrechte und Pressefreiheit ein und werden darüber auch in Baku sprechen", sagte DOSB-Generalsekretär Michael Vesper.
Sind die ersten auch die letzten Europaspiele?
Kurz vor dem Startschuss der ersten Europaspiele in Baku steckt die Veranstaltung bereits in der Krise. Die Niederlande zogen ihr Angebot zurück, die nächsten Europaspiele 2019 zu veranstalten. In vielerlei Hinsicht hatten die Niederländer einen Kontrapunkt zu den Spielen in Aserbaidschan setzen wollen. Neue Wettkampfstätten sollten nicht gebaut werden, weniger als 60 Millionen Euro waren für die Europaspiele veranschlagt. Doch auch dieses Geld stehe nicht zur Verfügung, begründete Sportministerin Edith Schippers den Ausstieg.
Patrick Hickey, Präsident des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), sagte in Baku, zwei Länder hätten sich bereits gemeldet, um für die Niederlande einzuspringen. "Wir sind nicht beunruhigt. Wir haben noch jede Menge Zeit", sagte Hickey, der nicht preisgab, welche Länder oder Städte interessiert sind.
The EOC gibt die Bewerber erst bekannt, wenn der Gastgeber bereits feststeht. Das lade geradezu zu Intrigen und Korruption ein, bemängeln Kritiker. Aserbaidschan - einziger Anwärter für die Europaspiele 2015 - wurde Ende 2012 in geheimer Abstimmung gewählt. Hickey bürstete jede Kritik an dem Verfahren hinter verschlossenen Türen ab: "Wir wollen kein aufwändiges Bewerbungsverfahren."