Europa und der Kolonialismus
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte löst Unbehagen und Abwehrreflexe aus - in fast allen europäischen Staaten. Eine Übersicht.
Weg mit den Kolonialisten!
Diese Straßenschilder werden bald abmontiert. Sie sollen ersetzt werden durch neue Straßennamen. Sie sollen an Widerstandskämpfer gegen die deutschen Kolonialherren in Deutsch-Südwestafrika erinnern. Der Nachtigalplatz erinnerte bisher an an den Kolonialisten Gustav Nachtigal. Solche Beispiele gibt es viele.
Verdrängte Grausamkeiten
Frankreich wurde um 2000 herum von der kolonialen Vergangenheit eingeholt, als zwei eindringliche Berichte von Folterungen an Kriegsgefangenen im Algerienkrieg (1954-1962) ein gewaltiges öffentliches Echo auslösten. Die Debatten, die immer wieder entflammen, sind nicht zuletzt wegen der großen Anzahl Migranten aus ehemaligen Kolonien von höchster Sprengkraft.
Museen als Konfliktzonen
Gleichsam spürbar wird das Unbehagen in den Kontroversen um das 2006 in Paris neu eröffnete Musée du Quai Branly, das nationale französische Museum für außereuropäische Kunst. Kritiker monieren ein verklärtes, unkritisches Bild der kolonialen Vergangenheit und unterstellen, dass die Ausstellungen weiterhin von kolonialen Perspektiven geprägt seien.
Kämpfen für die Kolonialmacht
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" - das Prinzip galt kaum für unzählige afrikanische Soldaten, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg für Frankreich kämpften und starben. Die Geschichte dieser sogenannten "Tirailleurs" wirft schwierige Fragen nach Verpflichtung und Gemeinschaft im Gefolge des französischen Kolonialreichs auf.
"Rhodes must fall" - Rhodes muss fallen
Studenten der Universität Kapstadt jubelten, als am 9. April 2015 die Statue des britischen Kolonialherren Cecil John Rhodes nach einem Monat heftiger Proteste vom Uni-Campus entfernt wurde. Unter dem Hashtag #rhodesmustfall sprang die Initiative auf andere Städte in Südafrika sowie auf die USA und Europa über.
Imperiale Persönlichkeiten im Visier
Die Rhodes-Statue am Orial College in Oxford wurde ebenfalls Ziel einer Kampagne, die sich jedoch - trotz heftiger Debatten - nicht durchsetzen konnte. Die Statue blieb stehen. In Großbritannien gab und gibt es sehr viele Denkmäler für imperiale Persönlichkeiten, die Fragen nach dem angemessenen Umgang und Erinnern aufwerfen.
Vergangenheit anerkennen
Eine Antwort versucht das International Slavery Museum zu geben, das 2007 in Liverpool eröffnete und "ein größeres Bewusstsein für das Erbe der Sklaverei" schaffen möchte. Es ist Teil eines Gedenkens, das auch staatlich vollzogen wurde, etwa als der damalige Premier Tony Blair 2006 sein "tiefes Bedauern" über die schätzungsweise vier Millionen verschleppten afrikanischen Sklaven ausdrückte.
Die Angst vor Forderungen
Die juristische Aufarbeitung des Mau-Mau-Aufstands in Kenia (1952-1956) beschädigte das in Großbritannien gern zelebrierte Bild einer liberalen Kolonialmacht nachhaltig. Folter, Hinrichtungen und Masseninternierungen waren die Maßnahmen der britischen Kolonialregierung gegen die Aufständischen. 2012 wurden Überlebende des Mau-Mau-Krieges von der britischen Regierung entschädigt - ein Novum.
Noch viel zu tun
Auch die fehlende Beschäftigung mit der Salazar- und der Caetano-Diktatur blockiert bis heute ein Erinnern an die koloniale Vergangenheit in Portugal - inbesondere im Hinblick auf die blutige Dekolonialisierung in Mosambik. Die koloniale Erfahrung Portugals wird lieber auf das ruhmvolle "Zeitalter der Entdeckungen" beschränkt.
Forschung gegen das Vergessen
Wie in vielen anderen Ländern waren es auch in Belgien historische Forschungen, die Debatten anstießen, oder gar - wie im Fall des Buches des Soziologen Ludo De Witte über die Ermordung des ersten Premierministers des Kongo, Patrice Lumumba - das Einsetzen einer Untersuchungskommission. Ihr Fazit 2001: die belgische Regierung trage nur eine moralische aber keine direkte Verantwortung für den Mord.