Europa Hautnah
12. Januar 2007Auf dem Weg ins Innere von "Princesa Joana" – ein etwas graziler Name für ein Schiff, das hundert Meter lang ist, über dessen Bug rostige Schlieren laufen und das vier ohrenbetäubende Motoren antreiben. 4.000 Pferdestärken, sagt António da Silva Vieira, der gerne eine getönte Pilotenbrille trägt, selbst wenn die Sonne nicht scheint. Sein graues Seitenhaar ist ordentlich in Wellen gelegt, es riecht dezent nach Aftershave.
Ein Anzug mit doppelter Knopfleiste würde passen, aber der Mittfünfziger trägt einen dicken Parka. Wir gehen oberhalb des Maschinenraums ins Herzstück des Schiffes – in eine sterile Fischfabrik. Vor uns stehen Fließbänder und in Regalen aus Eisen stecken zig uniforme Metallboxen. "Die Fische kommen da hinten in dem Tank an, dort wird der Kopf abgeschnitten und die Gräten entfernt", erzählt Vieira, "dann kommen sie in diese Metallboxen, in Blöcken zu zehn Kilo. Der Fisch wird hier geschnitten, eingefroren, in Kisten verpackt. Wenn wir zurückkommen, kann er sofort konsumiert werden."
Auf der Jagd nach überfischten Kabeljaubeständen
Das Ziel der 40-köpfigen Besatzung von Princesa Joana ist Kanada. Sie wird dort in den nächsten fünf Monaten eine einzige Fischart jagen: Kabeljau. Um exakt zu sein: Eine Million Kilogramm Kabeljau! Ein Fisch, dessen Bestand in Gefahr ist und den die Mitglieder der Europäischen Union dort im Nordwest-Atlantik eigentlich nicht fischen dürfen. So schreibt es die zuständige Fischereiorganisation NAFO vor. Und ihr gehört die EU - und damit auch Portugal - an.
"Ich halte mich an Regeln und bin gegen Anarchie", beteuert Vieira, "aber oft sind die Gesetze von Menschen gemacht, die eigene wirtschaftliche oder anderweitige Interessen verfolgen, die uns Fischer in unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten einschränken. Darum halte ich mich nicht immer an die Gesetze. Vor allem, wenn ich meine, dass sie schlecht gemacht sind."
Schlupflöcher für Wilderer der Meere
Doch Schlupflöcher dürfte es selbst für einen ausgebufften Vollblutunternehmer wie Silva Vieira eigentlich gar nicht geben. Denn die staatliche Fischerei-Inspektion Portugals könne die Flotten ihres Landes pausenlos überwachen, sagt Chef-Inspektor António Pinho. "Ein Schiff der EU ist verpflichtet an das Satelliten-Kontrollsystem VMS angeschlossen zu sein", erklärt er, "und wir Inspektoren wissen zu jeder Zeit, wo sich dieses Schiff aufhält. Und aufgrund der zurückgelegten Distanz von einem Punkt A zu einem Punkt B wissen wir, ob die Besatzung gerade fischt oder nur unterwegs ist. Denn wenn sie fischt, fährt sie viel langsamer."
Das Satellitensystem ist so etwas wie ein "Big Brother" der Weltmeere. Ihm entgeht nicht, wenn ein Schiff innerhalb der 200-Meilen-Grenze fischt. Dort gelten die Hoheitsrechte des angrenzenden Küstenstaates und dort ist der Fischfang besonders stark reglementiert, vor allem durch Quoten. 95 Prozent des weltweiten Fischfanges stammen aus dieser Zone. Nur fünf Prozent kommen aus den Gewässern jenseits der 200-Meilen-Grenze.
Piratenfischern auf der Spur
Dort können die Flotten praktisch ohne Beschränkung jagen - es sei denn, ihr Land hat internationale Fischereiabkommen unterzeichnet und sich freiwillige Beschränkungen auferlegt - zum Beispiel keinen Kabeljau zu fangen. Mit dem Satellitensystem kann Inspektor Pinho erkennen, ob sich die Flotten auch daran halten. "Ich spreche von Flotten, die unter portugiesischer Flagge fahren", sagt Pinho, "aber es gibt immer mehr Schiffe, die unter so genannten Billigflaggen auslaufen."
Auch Industriefischer António da Silva Vieira fährt ein halbes Dutzend Schiffe unter Billigflaggen: beispielsweise aus Panama, Guinea oder auch Togo. An so eine Flagge zu kommen, ist einfach und meist nur eine Frage von einigen hundert Dollar. Silva Vieira umgeht damit bestehende Gesetze und Kontrollen. Denn diese Staaten treten den entsprechenden Fischereiabkommen nicht bei und überprüfen ihre Flotten praktisch nie. So kann Vieira auch vor Kanada Kabeljau fangen. Inspektor Pinho ist letztlich machtlos: "Sie können auch in einer illegalen Zone gefischt haben. Dann registrieren sie in ihrem Bordbuch einfach, dass es in einer legalen Zone war. Das zu widerlegen ist schwierig, denn diese Schiffe müssen nicht ans Satellitensystem angeschlossen sein."
Auf Kosten der kleinen Fischer
Der Verlierer stünde dann auch fest, sagt Mário Diniz von der Umweltschutz-Organisation ‚Quercus‘: "Die illegale Fischerei, wie auch die legale Fischerei, bringt den Fischbestand in Gefahr", erklärt Diniz. "Allerdings ist er im Falle der illegalen Fischerei wesentlich gravierender, denn sie provoziert viel größere Schäden. Schließlich gibt es keinerlei Kontrolle, was gefangen wurde. Man weiß nicht, wie viel auf welche Weise wann gefischt wurde."
Greenpeace glaubt, dass allein in den Hoheitsgewässern Guineas die Fangflotten unter Billigflaggen mehr als 100 Millionen Euro erbeuten – illegal. Auch Silva Vieira, der nicht Pirat genannt werden will, fischt vor Guineas Küsten. Die Bezeichnung "Korsar" (Seeräuber) ist ihm lieber - der habe mehr Klasse. Ob Pirat oder Korsar - für die kleinen Fischer aus Guinea bedeutet dies, dass sie leer ausgehen.