Kaum Chancen auf Schmerzensgeld
16. Februar 2017In dem Skandal um minderwertige Brustimplantate können Frauen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kaum noch auf Schmerzensgeld vom TÜV Rheinland hoffen. Die Luxemburger Richter entschieden, dass Stellen wie der TÜV nicht grundsätzlich verpflichtet sind, Medizinprodukte wie Implantate selbst zu prüfen oder unangekündigte Kontrollen bei den Herstellern vorzunehmen. Unter bestimmten Umständen könnten die Prüfstellen gegenüber Patienten aber haftbar sein.
Eine deutsche Klägern hat das Verfahren vor dem EuGH angestoßen. Sie fordert vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe 40.000 Euro Schmerzensgeld vom TÜV Rheinland. Ihre Brustimplantate der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP), ließ sie sich 2012 auf ärztlichen Rat entnehmen. Vor Gericht argumentiert sie, der Prüfverein hätte mit unangekündigten Kontrollen und einem Check der Implantate dem Pfusch bei dem französischen Unternehmen auf die Schliche kommen können. Der BGH legte den Ausgangsfall dem Gerichtshof in Luxemburg vor.
Der TÜV Rheinland hatte das Qualitätssicherungssystem von PIP zertifiziert und überwacht, nach eigenen Angaben aber nie Hinweise darauf gefunden, dass PIP über Jahre minderwertiges Silikon in die Kissen füllte.
Verheerende Folgen
Der Pfusch hatte fatale Folgen für die Frauen: Rissen die Implantate, kam es nicht nur häufig zu unschönen Verformungen. Oft entzündete sich das umliegende Gewebe. Das ausgetretene Gel der Kissen steht sogar im Verdacht, Krebserkrankungen ausgelöst zu haben. Auf behördlichen Rat ließen sich schließlich zehntausende Frauen die Kissen entfernen. Allein in Deutschland und Frankreich unterzogen sich mehr als 20.000 Betroffene einer schmerzhaften Operation. Einigen Patienten setzte das Ganze so zu, dass sie lieber ohne Busen weiterlebten, als sich nochmals Implantate einsetzen zu lassen.
Schadenersatz für ihr Leiden haben die wenigsten Frauen bis heute erhalten. Die französische Firma PIP, die die mit billigem Industrie-Silikon gefüllten Kissen verkaufte, gibt es nicht mehr. Nachdem ihr Betrug im März 2010 aufgeflogen war, und die Behörden in Paris den Vertrieb der Implantate stoppten, ging sie pleite.
TÜV stellt sich als Opfer dar
Der TÜV Rheinland sieht sich in alledem selbst als Opfer. Er sei in großem Stil von PIP betrogen worden, heißt es in einer Stellungnahme. Bislang sahen das die meisten Gerichte in Deutschland genauso. In etlichen Verfahren wurde der TÜV nie schuldig gesprochen.
In Deutschland sind nach Schätzungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte etwa 6000 Frauen von dem Skandal betroffen. Das Urteil des EuGH könnte auch Einfluss auf ein Verfahren in Frankreich haben. Dort wurde der TÜV im Januar zu Schadenersatzzahlungen in Höhe von 60 Millionen Euro verurteilt. Geklagt hatten 20.000 Frauen. Der TÜV legte Berufung ein.
se/stu (dpa, afp, Rechtssache C-219/15)