EuGH erleichtert Abschiebungen
19. März 2019Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat Deutschland die Rückführung von Flüchtlingenin andere EU-Staaten erleichtert. Mängel im Sozialsystem stünden dem noch nicht entgegen, urteilte der EuGH. Ein Abschiebeverbot bestehe erst, wenn in dem anderen Land eine unmenschliche und "extreme materielle Not" drohe.
Diese sei erreicht, wenn Menschen ihre "elementarsten Bedürfnisse" nicht mehr befriedigen können. Dazu gehöre insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen, eine Unterkunft zu finden sowie die Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Gesundheit, heißt es in dem Urteil.
Nach EU-Recht - der sogenannten Dublin-III-Verordnung - ist für einen Flüchtling grundsätzlich das Land zuständig, über den er erstmals in die EU gelangte. Menschenrechtler sehen die Aufenthaltsbedingungen und Lebensverhältnisse für Flüchtlinge in mehreren EU-Staaten aber als kritisch an. Zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland machen daher geltend, eine Rückkehr in das Einreiseland sei unzumutbar und daher nun Deutschland für das Asylverfahren zuständig.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums schiebt Deutschland nach Ungarn, Griechenland und Bulgarien derzeit nur sehr begrenzt oder gar nicht ab. Es sei nicht sichergestellt, dass der Umgang mit den Migranten dort EU-Recht entspreche. Eine Menschenrechtsorganisation wirft Ungarn beispielsweise vor, Asylsuchende wiederholt hungern zu lassen. Nach Angaben des ungarischen Helsinki-Komitees gab es seit August 2018 mindestens acht Fälle, in denen Asylsuchende in der sogenannten Transitzone zu Serbien erst nach Eilverfügungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wieder versorgt wurden.
Gericht setzt auf gegenseitiges Vertrauen
Der EuGH betonte nun den in der EU geltenden "Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens". Daher sei grundsätzlich davon auszugehen, dass alle EU-Staaten auch für Flüchtlinge die Menschenrechte beachten.
Dennoch müssten Gerichte Hinweisen auf "Funktionsstörungen" in einzelnen EU-Staaten nachgehen. "Schwachstellen verstoßen aber nur dann gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen", erklärten die Luxemburger Richter. Der Wunsch nach deutschen Sozialstandards und selbst "große Armut" stünden einer Abschiebung nicht entgegen.
Deutsche Verfahren Anlass für Urteil
Hintergrund der Urteile sind mehrere Fälle, bei denen deutsche Gerichte den Gerichtshof um Auslegung der EU-Asylregeln gebeten hatten. Konkret geht es unter anderem um einen Flüchtling aus Gambia. Er kam über das Mittelmeer nach Italien und stellte zunächst dort einen Asylantrag. Seinen später in Deutschland gestellten Asylantrag wiesen die Behörden daher als unzulässig ab.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fragte beim EuGH an, ob eine Rückschiebung zulässig ist, auch wenn dem Mann in Italien Obdachlosigkeit und "ein Leben am Rande der Gesellschaft" drohen.
Der EuGH entschied weiter, dass die Frist für eine Abschiebung verlängert werden kann. Üblicherweise beträgt die Frist für die Rückführung in das Einreiseland sechs Monate. Diese kann sich nun auf 18 Monate verlängern, wenn ein Flüchtling seine Unterkunft verlässt, um sich der Abschiebung zu entziehen. 2018 scheiterten nach Angaben des Bundes-Innenministeriums knapp 34.000 solcher Überstellungen in einen anderen europäischen Staat. In mehr als der Hälfte war der Betroffene unauffindbar.
ust/kle (afp, dpa, kna , curia.europa.eu)