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Die EU vertagt die Flüchtlingspolitik

Bernd Riegert19. Februar 2016

Beim ersten EU-Gipfel des Jahres eskaliert der Streit über die Flüchtlingspolitik. Die Alleingänge gehen vorerst weiter. Eine europäische Lösung wird Anfang März bei einem Sondergipfel gesucht. Bernd Riegert, Brüssel.

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Angela Merkel beim Brüsseler EU Gipfel (Foto: AFP)
Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Es war ziemlich einsam um Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Diskussion über die Flüchtlingspolitik beim Abendessen. Die Gipfel-Teilnehmer hörten ihr Plädoyer für den Türkei-EU-Aktionsplan zum besseren Schutz der EU-Außengrenzen, doch viele konnte sie nicht überzeugen, berichten EU-Diplomaten. Kein einziger der Staats- und Regierungschefs soll nach diesen Berichten den Plan der deutschen Regierungschefin stützen, nach Abriegelung der Außengrenze, Flüchtlinge direkt aus der Türkei nach Kontingenten auf alle EU-Staaten zu verteilen.

Angaben, es sei eine hitzige Diskussion gewesen, wollte Angela Merkel in ihrer Pressekonferenz am frühen Morgen nicht bestätigen. Über Kontingente und Verteilung sei gar nicht gesprochen worden, sagte Merkel. "Das sind der nächste und der übernächste Schritt." Die EU-Staaten beharren darauf, dass eine Verteilung von Flüchtlingen nur auf freiwilliger Basis geschehen könne. Zwei Stunden lang versuchte die deutsche Delegation die schriftlichen Schlussfolgerungen des Gipfels zu entschärfen. Dort bekräftigen die Staaten ihr Recht, illegal einreisende Migranten unmittelbar in den sicheren Staat abschieben zu können, aus dem der gekommen ist. In der Praxis bedeutet dies, dass alle Flüchtlinge oder Asylsuchende auf der Balkanroute bis nach Griechenland zurückgeschickt werden könnten. Eine Entschärfung des Textes gelang den Deutschen nicht, berichtete ein tschechischer Diplomat.

Durchwinken über den Balkan soll aufhören

Die "Politik des Durchwinkens" bis nach Österreich oder Deutschland müsse aufhören, fordert das Abschlussdokument. Kritisiert wird auch die zu langsame Umsetzung der bisherigen Beschlüsse zur Sicherung der Außengrenzen und zur Registrierung von Einreisenden in Griechenland. "Wir müssen schneller werden", sagte der bulgarische Regierungschef Bojko Borrisow, dessen Land bald zur Ausweichroute für Flüchtlinge werden könnte. Der österreichische Bundeskanzler hat nach der Gipfel-Sitzung angekündigt, die Obergrenzen von 80 Asylanträgen und 3200 Weiterreisen Richtung Deutschland von Samstag an durchsetzen zu wollen. Das könnte auf der Balkanroute einen Rückstau an mehreren Grenzen erzeugen, befürchten die Regierungschefs von Slowenien, Kroatien und Griechenland.

Johanna Mikl-Leitner Innenministerin und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (Foto: DPA)
Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner: Obergrenze stehtBild: picture-alliance/dpa/C. Bruna

Auf die Frage, wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die neue österreichische Grenzpolitik reagiert, sagte der österreichische Regierungschef Werner Faymann: "Sie hat keine ausgesprochene Freude." Österreich wolle aber klarmachen, dass es so nicht weitergehe. Sein Land habe im vergangenen Jahr mehr Asylanträge entgegen genommen als die viel größeren Länder Italien und Frankreich. EU-Diplomaten meinten nach diesem neuerlichen Streit innerhalb der EU, dass die so genannte "Koalition der Willigen" entlang der Balkanroute ernsthaft in Gefahr oder gar nicht mehr existent sei.

Sondergipfel Anfang März

Als Ausweg aus der verfahrenen Lage schlug Angela Merkel einen Sondergipfel der EU mit der Türkei vor, der bereits in 14 Tagen stattfinden soll. Die übrigen Regierungschefs stimmten zu. So ist etwas Zeit gewonnen. Anfang März solle dann Bilanz gezogen werden, ob es gelinge gemeinsam mit der Türkei die Zahl der Einreisen nach Griechenland zu senken. Dann müsse man sehen "welche anderen Maßnahmen über den Türkei-Aktionsplan hinaus ergriffen werden müssen", sagte Angela Merkel. Wegen des Terroranschlages in Ankara musste der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu die ursprünglich geplante Teilnahme am Brüsseler Gipfel an diesem Donnerstag absagen.

Athen Protest gegen Flüchtlings - Hotspots Chrysi Avgi (Foto: DW)
Rechtsradikaler Protest gegen Hotspots in AthenBild: DW/P. Zafiropoulos

EU-Ratspräsident Donald Tusk rief die EU-Staaten auf in der Migrationskrise auf, "europäische Lösungen zu suchen und nicht auf nationale Alleingänge zu setzen." Die unkoordinierten Maßnahmen, gemeint sind Grenzverstärkungen zwischen Mazedonien und dem EU-Land Griechenland, müssten aufhören.

Dass sich die EU nun vertagt und einen Sondergipfel ansetzt, bewertet der Direktor der Denkfabrik "Centre for European Policy Studies", Daniel Gros, in Brüssel skeptisch. "Es stimmt schon, dass die EU als Institution zurzeit relativ hilflos ist. Aber es passiert halt viel in Griechenland und auf dem Balkan, was dazu führen wird, dass der Flüchtlingsstrom doch erheblich abnimmt. Deswegen kann man sich vielleicht doch erlauben, das Problem auf die etwas längere Bank zu schieben", sagte Gros der Deutschen Welle.

"Kaskade mit Hindernissen"

Bundeskanzlerin Merkel hat die Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage zur absoluten Priorität erhoben. Damit mache sich die EU sehr abhängig von der Türkei, kritisiert Daniel Gros. In der Flüchtlingspolitik gehe es jetzt darum, den Menschen so viele Hindernisse wie möglich in den Weg zu legen, um sie von der Reise in die EU abzuhalten. "Idealerweise wollte man ja die Flüchtlinge in der Region selbst halten, sprich in der Türkei, im Libanon und in anderen Ländern. Nur lässt sich das so nicht organisieren, vor allem nicht mit der Türkei in ihrer jetzigen Verfassung. Deshalb bleibt realistisch gesehen keine andere Lösung, als eine Kaskade an Hindernissen aufzubauen, um die EU-Außengrenze in dieser indirekten Weise zu schützen."

Belgien Daniel Gros EU-Experte (Foto: DW)
Daniel Gros: EU als Institution geschwächtBild: DW/B. Riegert

Dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi platzte während der abendlichen Flüchtlingsdebatte der Kragen. Aus seinem Land sollten Tausende Flüchtlinge in die restlichen EU-Staaten verteilt werden, was bisher nicht geschehen ist. Wenn das nicht bald passiere, müsse man darüber nachdenken, unwilligen osteuropäischen Staaten die finanziellen Zuschüsse aus Brüssel zu kürzen. Ungarn wies diese Drohung umgehend zurück. Das sei "politische Erpressung" schimpfte ein ungarischer Regierungssprecher in Budapest.

Diese Episode zeigt, wie angespannt die Stimmung unter den Mitgliedsstaaten der EU mittlerweile ist. Früher galt immer das Mantra, aus Krisen geht die EU gestärkt hervor. Ob das diesmal so wird, bezweifelt Daniel Gros, Chef der Denkfabrik "Centre for European Policy Studies": "Leider muss man sagen, die Chancen schwinden und die Schwierigkeiten nehmen zu." Am Ende könnte doch noch etwas Positives übrig bleiben, so Gros gegenüber der DW. "Denn es gibt ja den Vorschlag der EU-Kommission, eine neue Art Grenzpolizei zu schaffen. Die wird wohl für diese Krise zu spät kommen, aber, wenn sie dann später geschaffen wird, könnte sie sich für die nächste Krise als nützlich erweisen."