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EU und Flüchtlinge - Ziel erneut verfehlt

Barbara Wesel 20. Juli 2015

40.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien sowie weitere 20.000 aus Lagern in Nordafrika sollten in der EU verteilt werden. Aber wieder haben die EU-Innenminister dieses Ziel nicht erreicht. Barbara Wesel, Brüssel.

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Afghanische Flüchtlinge in Griechenland (Foto: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki)
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Diese zweite Verhandlungsrunde der EU-Innenminister brachte zwar 22.504 Zusagen für die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Lagern an der syrischen Grenze. Das liegt auch daran, daß sich Nicht-EU-Staaten wie Norwegen oder die Schweiz an diesem Teil des Programms beteiligen. Aber bei der Umsiedlung aus Italien und Griechenland, wo die Hälfte aller Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ankommen, liefen nur 32.256 Zusagen ein, immer noch deutlich weniger als gefordert. Dabei hatten die europäischen Regierungschefs das Ziel von je 40.000 und 20.000 im Juni selbst beschlossen. Aber wenn es konkret werden soll, endet in der Flüchtlingspolitik nach wie vor die Solidarität.

Einige Länder halten sich weiter raus

"Es war nicht einfach, es waren sehr schwierige Gespräche" sagte EU-Flüchtlings-Kommissar Dimitris Avramopolous und machte dem derzeitigen Ratsvorsitzenden Komplimente für gute Verhandlungsführung. Aber auch der erfahrene luxemburgische Minister Jean Asselborn hat es nicht geschafft, seinen Kollegen mehr Zusagen abzuringen. "Einige Zahlen waren enttäuschend, andere peinlich", sagte er mit Blick auf die Blockierer.

Jean Asselborn (Foto: Thomas Samson/AFP/Getty Images)
Jean Asselborn beschwört eine EU Flüchtingspolitik, die den Namen verdientBild: Thomas Samson/AFP/Getty Images

Dazu gehören nicht nur Großbritannien und Dänemark, die von einem Ausnahmerecht Gebrauch machen. Auch Österreich und Ungarn halten sich schon für genug belastet und wollen sich an diesem Umverteilungsprogramm überhaupt nicht beteiligen. Darüber hinaus seien Bulgarien, Spanien und Portugal weit unter den für sie vorgesehenen Zielen geblieben. Als kleinen Lichtblick erwähnte Asselborn Irland, das Flüchtlinge freiwillig aufnimmt, obwohl es nicht dazu verpflichtet wäre.

Deutschland beteiligt sich mit einer Gesamtzahl von 12.100 Plätzen. "Manche schwierigen Geburten dauern eben lange", merkte die deutsche Staatssekretärin Emily Haber aus dem Bundesinnenministerium nach der Sitzung an, aber es bleibe bei dem früher vereinbarten Ziel. Ende des Jahres soll der Rat der Innenminister einen neuen Anlauf nehmen, um die fehlenden rund 8000 Plätze zur Umsiedlung von Flüchtlingen aus Südeuropa aufzutreiben.

Flüchtlingslager in Jordanien (Foto: Guy Degen)
Die Neuansiedlung aus Lagern wie Zaatari in Jordanien läuft etwas besserBild: Guy Degen

Es klappt nicht mit der Freiwilligkeit

Migrationskommissar Avramopoulos gab zu, dass er enttäuscht ist: Das Ergebnis zeige, "wie schwierig es ist, ein freiwilliges System umzusetzen". Die Kommission hatte ursprünglich eine feste Verteilungsquote vorgesehen, die von den Mitgliedsländern abgelehnt worden war. Nun sucht sie eine andere Lösung: So will sie für Griechenland und Italien noch im Herbst einen Vorschlag für ein festes "Notfallsystem zur Abnahme von Flüchtlingen" machen, um den besonders belasteten Ländern doch noch zuverlässig zu helfen. Als positiv betrachtet er, dass die Umsiedlung und Neuansiedlung der ersten Flüchtlinge aus dem laufenden Programm nun wenigstens im Oktober beginnen könne.

Und es gibt ein weiteres konkretes Ergebnis: Mit der Einrichtung der sogenannten "Hotspots" soll es nun ganz schnell gehen. Dort sollen möglichst alle in Italien und Griechenland eintreffenden Flüchtlinge sofort registriert, Asylanträge aufgenommen und eine erste Prüfung durchgeführt werden. Experten aus verschiedenen europäischen Behörden wie u.a. der Grenzschutz Frontex und Europol sollen die örtlichen Verwaltungen bei dieser Aufgabe unterstützen. Die EU-Kommission stellt auch weiteres Geld zur Verfügung und will bei der Rückführung von Flüchtlingen helfen, die erkennbar keinen Anspruch auf Schutz haben. Aber auch dieser Vorsatz ist nicht neu und scheiterte immer wieder an vielen bürokratischen und politischen Hindernissen.

Kritik am Ergebnis

"Es ist schon eine Blamage, dass sie es nicht hinbekommen, so eine kleine Zahl zu verteilen", kommentierte Ska Keller, Europaabgeordnete der Grünen, das Ergebnis der Verhandlungen. Es wäre eine kleine Geste der Solidarität gewesen, wenigstens diese wenigen Flüchtlinge fair zu verteilen. "Diese ersten 60.000 hätten der Anfang für eine neue EU-Flüchtlingspolitik werden sollen". Dass es damit nicht geklappt hat, sieht sie als Schlag auch gegen die Kommission, die versucht hatte diesen Neubeginn zu schaffen. Aber es zeige sich eben, dass man es mit freiwilligen Quoten nicht hinbekommen könne.

Ska Keller sieht als nächsten möglichen Schritt nur noch einen permanenten Notfallmechanismus, den die EU-Kommission in Gang setzen müsse. Dafür sollten die Kriterien für einen Notfall, für Ankunfts- und die Aufnahmezahlen dauerhaft definiert werden. Bei diesem Verfahren sei das Europaparlament dann Ko-Gesetzgeber, so dass sich der Druck auf die Mitgliedsländer erhöhen würde.

Polizeirazzia an einem Zug (Foto: Getty Images/AFP/R. Atanasovski)
Amnesty hat in seinem jüngsten Bericht den gefährlichen Weg für Flüchtlinge durch Mazedonien und Serbien beschriebenBild: Getty Images/AFP/R. Atanasovski

Auch Gauri van Gulik von Amnesty International kritisiert die EU-Innenminister: "Sogar wenn sie die höhere Zahl eindeutig erreicht hätten – es ist ein jämmerliches Ergebnis". Nach all diesen Verhandlungen und angesichts dieser Krise sei es einfach zu wenig: "Es ist ein großes Problem, und wir brauchen eine große Lösung", sagt sie. Die Unterstützung für Griechenland und Italien müsse ernsthaft erhöht und Ressourcen an die Grenzen gebracht werden. Die EU lasse es hier einfach an innerer Solidarität unter den Mitgliedsländern fehlen.

Im Prinzip fordert Amnesty hier eine Lösung in drei Schritten: Erstens müssten sichere und legale Wege nach Europa geschaffen werden und die Länder an den EU Außengrenzen mehr Unterstützung bekommen. Darüber hinaus sollten die Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung das Recht zur freien Bewegung innerhalb der EU erhalten, damit sie sich ihren Familien und jeweiligen Exilgemeinden anschließen könnten. Damit würden eine Menge Probleme wie etwa an der italienisch-französischen Grenze gelöst.

Besonders scharf kritisiert Amnesty dabei Ungarn, das die Grenzen abriegeln wolle, um immer weniger Flüchtlinge ins Land zu lassen. Und was die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Lagern in Nordafrika angeht, so nennt Gauri van Gulik eine Zahl von 100.000 als notwendiges Ziel für die EU. Davon allerdings ist sie derzeit noch Lichtjahre entfernt.