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Politik

Abrechnung mit Italiens Populisten

12. Februar 2019

Italiens Ministerpräsident wollte im Europaparlament Visionen für die EU entwerfen. Doch in der heftigen Debatte ging es hauptsächlich um Italien: Migration, Schulden, Streit mit den Nachbarn. Bernd Riegert berichtet.

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Straßburg Europäisches Parlament Giuseppe Conte
Bild: Reuters/V. Kessler

Der italienische Ministerpräsident trat in Straßburg viel moderater auf, als das die Äußerungen seiner populistischen Stellvertreter zuhause vermuten lassen. Der parteilose Regierungschefs Giuseppe Conte legte ein Bekenntnis zur Europäischen Union und Europa ab, während die Parteiführer Matteo Salvini auf der rechten Seite und Luigi Di Maio eher auf der linken Seite vor allem "Italien zuerst" fordern und europäische Institutionen regelmäßig und scharf kritisieren.

In seiner Grundsatzrede vor dem Europäischen Parlament sagte Giuseppe Conte, der seit neun Monaten an der Spitze der populistischen Koalitionsregierung steht, Nationalstaaten allein könnten in einer globalisierten Welt nichts ausrichten. In Europa teilten die Menschen "ein gemeinsames Schicksal". Der rechtsradikale Innenminister Italiens, Matteo Salvini, fordert zusammen mit den polnischen Nationalkonservativen ein anderes Europa, in dem die Nationalstaaten dominieren. Diese Ansicht teilt der Regierungschef Italiens offenbar nicht. Conte entwarf in seiner 45 Minuten lange Rede in Straßburg die Vision eines "europäischen Volkes", das eine Änderung der Politik fordert, die bisher nur den Eliten gedient habe. "Trotz alledem ist es noch nicht gelungen, vollständig ein Volk zu werden", sagte Ministerpräsident Conte. Der Nationalstaat müsse letztlich überwunden werden.

Italien Rentenreform Rom PK
Conte (Mi.) und seine Stellvertreter: Luigi Di Maio (5 Sterne) und Lega-Chef Matteo Salvini (re.)Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Antimiani

Migration als Schicksalsfrage

Italien fordere von den europäischen Partnern Solidarität, besonders bei der Bewältigung der Migration. "Die Migranten kommen nicht in Italien an, sondern in Europa", sagte Conte. Gemeint war wohl eine Verteilung von Migranten auf andere EU-Staaten, die vor allem aber von den populistischen Regierungen in Polen, Ungarn oder Österreich abgelehnt wird. Auf denheftigen Streit mit der französischen Regierung, der sich im Kern auch um die Migrationspolitik dreht, ging Ministerpräsident Giuseppe Conte nur kurz ein. Er sagte der Grund für bilateralen Streit sei die Unfähigkeit der EU Lösungen zu finden.

Die Schließung der italienischen Häfen für Schiffbrüchige rechtfertige Conte mit dem Hinweis, Italien haben die Migration wieder auf die Tagesordnung setzen müssen. "Das ist der einzige Weg, um dem Menschenschmuggel zu begegnen." Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Udo Bullmann (SPD), warf dem Gastredner vor, die Migranten als Geiseln für eine Ideologie zu missbrauchen, weil diese wochenlang nicht von Rettungsschiffen an Land gehen dürfen. "Hören Sie auf, uns die Fratze der Unmenschlichkeit zu zeigen. Das ist nicht das Italien, das wir kennen."

Italien Rettungsschiff Sea-Watch 3 in Hafen von Catania eingelaufen
Zankapfel Migration: Gerichte müssen die Aufnahme von Schiffbrüchigen erzwingen, hier das Schiff Seawatch Ende Januar in CataniaBild: Getty Images/AFP/F. Scoppa

Auf der Suche nach Wachstum

Für die Zukunft der EU sei es wichtig, so Giuseppe Conte, neue Wachstumsmodelle zu finden. Die armen Schichten der Bevölkerung in der EU seien wütend. Das könne zu Revolten führen, wie man in einigen Ländern sehen könnte, sagte der italienische Regierungschef. "Das Wachstum darf man nicht für das Sparen aufgeben." Italien habe jetzt mit ihrer neuen Ausgabenpolitik einen Wachstumspfad beschritten, behauptete Conte.

Widerspruch kam prompt vom Fraktionschef der Christdemokraten, Manfred Weber (CSU). Italien schlittere in eine Rezession und das sei die Schuld seiner Regierung, hielt Weber Conte vor. Die Wahlversprechen würden mit neuer Verschuldung finanziert. Nachhaltige Reformen gebe es nicht, kritisierten auch andere Abgeordnete. Giuseppe Conte regte dagegen die Schaffung gemeinsamer Finanzierunginstrumente auf europäischer Ebene an, bevor die nächste Wirtschaftskrise einsetze. Der EU fehle eine langfristige Vision. Man dürfe nicht nur auf Verwaltung und Bürokratie setzen, sagte Conte im Parlament.

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Abrechnung und Widerspruch

Heftige Angriffe gegen die populistische Regierung in Rom richtete auch der Fraktionschef der Liberalen im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt. "Mir schmerzt das Herz, wenn ich sehe, wie anti-europäisch Italien geworden ist." Italien habe zum Beispiel im Rat der Außenminister eine einstimmige Anerkennung des Übergangspräsidenten in Venezuela verhindert. "Sie hören auf Anweisungen aus Russland!", wetterte Verhofstadt.

Der Fraktionschef der Sozialisten im Parlament, Udo Bullmann, sprach dem Ministerpräsidenten seine Handlungsfähigkeit ab. Er sei nur das Sprachrohr der Populisten, ohne eigene Macht. "Wir nennen das die Salvini-Regierung, denn er ist die wichtigste Figur. Er gibt den Ton an." Die Regierung Italiens könne ihre politischen Versprechen nicht einhalten, sondern manövriere sich selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Die Abgeordnete Laura Agea von der "5 Sterne Bewegung" aus Italien sprang ihrem Regierungschefs jedoch bei. Die Beliebtheit der Regierung sei im letzten Jahr um 15 Prozentpunkte angestiegen. "Wenn wir Populisten sind, weil wir den Menschen zuhören, dann sind wir gerne Populisten", sagte Agea. Die Abgeordnete der rechtsextremen Lega, Mara Bizzotto, lobte, "unser Führer Matteo Salvini hat die Migration gestoppt." Er habe den Mut, Nein zu sagen zu den Vorgaben aus Brüssel.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, zufällig auch Italiener, mahnte die Abgeordneten in der heftigen Debatte, langsamer zu sprechen. Ansonsten könnten die Dolmetscher nicht mehr folgen. "Gerade wir Italiener neigen dazu, uns zu ereifern", sagte Tajani.

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