EU nach der GB-Wahl: Endlich Klarheit
13. Dezember 2019Immerhin ist die Unsicherheit vorbei. Das ist noch das Positivste, was den meisten Gipfelteilnehmern zum Ausgang der britischen Unterhauswahl einfällt. Wer gehofft hatte, der Brexit werde sich vielleicht doch noch aufhalten lassen, sah sich spätestens jetzt enttäuscht. Boris Johnson hat von den Wählern ein eindeutiges Mandat erhalten, die EU zu verlassen. Etwas bedrückt gratulierten daher einige der EU-Regierungschefs dem neuen, alten Premierminister. In der Twitter-Nachricht der Bundeskanzlerin heißt es lapidar: "Herzlichen Glückwunsch, Boris Johnson, zu diesem klaren Wahlsieg."
Die EU wartet jetzt auf die Abstimmung im britischen Parlament zum Brexit-Abkommen. Die könnte noch vor Weihnachten kommen, und die Mehrheit für einen Brexit nach Johnsons Vorstellungen ist mit dem Wahlsieg sicher. Der Austritt könnte dann am 31. Januar 2020 vollzogen werden, so dass die EU vom 1. Februar an nur noch 27 Mitglieder hätte.
Die Zeit drängt
Die Frage ist, wie es dann weitergeht. Denn entscheidend für beide Seiten ist nicht der Austritt, sondern die künftigen Beziehungen. "Wir sind bereit", sagte dazu EU-Ratspräsident Charles Michel. Einig sind sich alle, dass die Beziehungen eng bleiben sollen.
"Unser größter Knackpunkt wird sein, dass wir diese Verhandlungen sehr schnell machen müssen, weil wir bereits am Ende kommenden Jahres fertig sein müssen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel. Großbritannien werde künftig ein Wettbewerber vor den Toren der EU sein. Das sieht sie aber gar nicht als Nachteil, sondern eher als Ansporn für nötige Reformen in der EU. Die Bundesregierung unter Merkel hat sich immer als Verbündeter der Briten in der EU gesehen, weil beide für Reformen, Freihandel und Wettbewerb eintraten.
Das Problem ist, dass Johnsons Vorstellungen eines künftigen Verhältnisses zur EU in sich widersprüchlich sind: Einerseits will er einen möglichst uneingeschränkten Handel mit der EU, andererseits frei von ihren Regeln sein, zum Beispiel bei Umweltstandards oder Steuern. Auf diese Kombination dürfte sich die EU aber nicht einlassen, sodass schwierige Verhandlungen bevorstehen. Ein "Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten" soll das Verhältnis bestimmen, steht in der Gipfelerklärung. Will heißen: Einseitige Vorteile für London wird es nicht geben; der Austritt hat seinen Preis.
Orban und der "Volkswille"
Einen ganz eigenen Schluss aus der britischen Wahl zieht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. "Ich gratuliere Ihnen, dass es Ihnen gelungen ist, den Willen Ihres Volkes durchzusetzen, das seine Souveränität außerhalb der Europäischen Union gesichert haben will", zitierte ein Sprecher aus Orbans Schreiben an Boris Johnson. Im Gegensatz zum britischen Premier will der rechtsnationale Orban will zwar sein Land in der Union halten, gilt aber als Quertreiber in der EU, der sich ebenfalls oft auf einen angeblichen Wählerwillen beruft, wenn er sich gegen Brüsseler Forderungen stellt.
Kaum Appetit auf EU-Mitglied Schottland
Zwiegespalten ist die EU im Hinblick auf einen ganz speziellen Aspekt der britischen Wahl: In Schottland, wo eine deutliche Mehrheit beim Brexit-Referemdum 2016 für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hatte, gewann die nach Unabhängigkeit strebende Schottische Nationalpartei. Ihre Anführerin Nicola Sturgeon sieht nun eine neue Chance, Schottland als EU-Mitglied aus dem Vereinigten Königreich zu lösen. Dazu strebt sie ein neues Unabhängigkeitsreferendum an.
Sturgeons Europabegeisterung sehen die EU-Staaten zwar gern. Doch sie wollen, auch im Hinblick auf zum Beispiel Katalonien, keine Kettenreaktion neuer Staaten. Auf die Frage, ob ein unabhängiges Schottland in der EU willkommen wäre, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas ausweichend: "Die Türen der EU bleiben selbstverständlich für Großbritannien offen." Schottland sei Teil des Vereinigten Königreichs, und die Frage stelle sich deshalb, zumindest kurz- und mittelfristig, nicht.
Alle EU-Staaten müssten einem neuen Mitglied Schottland zustimmen. Sagt auch nur eines nein, und zumindest Spanien würde das sicher tun, könnte Schottland nicht beitreten. Dieser Widerstand könnte die Unabhängigkeitsdebatte in Schottland schon jetzt bestimmen. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte 2017 vor dem Hintergrund des katalanischen Separatismus gesagt: "Ich möchte nicht, dass die Europäische Union morgen aus 95 Staaten besteht. Wir brauchen keine weiteren Risse und Brüche."