EU: Mehr Schutz vor islamistischem Terror nötig
19. Oktober 2023Bundeskanzler Olaf Scholz forderte diesen Donnerstag im Bundestag in einer Regierungserklärung "klare Kante" gegen Antisemitismus und Israel-Hass. Seine Innenministerin Nancy Faeser machte die Ansage des Kanzlers zu einem europäischen Thema beim regelmäßigen Treffen der Innenministerinnen und Innenminister der Europäischen Union in Luxemburg. Gewalttätige Demonstrationen könnten nicht geduldet werden. "Es muss hart gehandelt werden. Für uns steht der Schutz aller Juden im Fokus. Ich verurteile, was in Berlin in der Nacht passiert ist. Was nicht in Ordnung ist, ist die Gewaltausübung, schon gar nicht gegen Polizeibeamte", sagte Faeser am Rande des Treffens.
In Berlin hatten sich trotz Versammlungsverbots mehrere Hundert pro-palästinensische Demonstranten versammelt, Polizei und Feuerwehr angegriffen und verletzt. Auch in anderen europäischen Städten gab es Kundgebungen gegen Israels Vorgehen gegen die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, die von der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird. In Athen versammelten sich 10.000 Menschen. Dort blieben die Proteste aber friedlich. In Brüssel ist für das Wochenende eine größere Kundgebung geplant.
Schutz jüdischer Einrichtungen wird verstärkt
Die EU-Innenminister beobachten mit Sorge die Auswirkungen der Krise im Nahen Osten auf die Sicherheitslage in ihren Ländern. Deutschland und Österreich verstärkten den Schutz jüdischer Einrichtungen. Nancy Faeser und ihr österreichischer Amtskollege Gerhard Karner sagten bei einem gemeinsamen Auftritt vor der Presse, Deutschland und Österreich hätten wegen ihrer dunklen Geschichte eine besondere Verantwortung. Nazi-Deutschland schloss 1938 Österreich an das Deutsche Reich an. Aus beiden Staaten kamen die Täterinnen und der Täter der Shoah. Österreichs Innenminister Gerhard Karner sagte, es gehe nicht an, dass sich im Moment nur wenige jüdische Kinder trauten, in ihre Schulen oder Kindergärten zu gehen aus Angst vor antisemitischen Anschlägen. Das müsse sich ändern.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verurteilte noch einmal scharf das "barbarische Ausmaß" des Terrorüberfalls der Hamas in Israel: "Es ist der schlimmste Anschlag seit der Shoah." Nach Beginn einer möglichen Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen könnten sich die Sicherheitslage und die Gewalt gegen jüdische Einrichtungen noch verschärfen. "Wir sind mit den Sicherheitsbehörden auf alle Eventualitäten gefasst. Deshalb haben wir ja auch den Schutz hochgefahren. So werden wir uns auch für die nächsten Wochen und Monate aufstellen", sagte die Bundesinnenministerin auf eine Frage der Deutschen Welle in Luxemburg.
Terrorgefahr steigt durch Krise im Nahen Osten
Nicht nur die Gefahr antisemitischer Anschläge steigt, sondern auch das allgemeine Terrorrisiko. In Brüssel hatte ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien offenbar aus islamistischen Motiven zwei schwedische Fußballfans erschossen und einen weiteren verletzt. Die Terrorgruppe "Islamischer Staat" reklamierte den Anschlag für sich.
Auch in Frankreich war vergangene Woche ein Messerattentat mit einem Todesopfer von einem Tschetschenen mit islamistischem Hintergrund begangen worden. Die belgische Innenministerin Annelies Verlinde erklärte ihren Kolleginnen und Kollegen, dass der Täter von Brüssel bereits seit zwölf Jahren in der EU war, straffällig wurde, in Schweden eine Gefängnisstrafe verbüßt und vier Mal in verschiedenen Ländern um Asyl nachgesucht hatte. Alle Anträge wurden abgelehnt. Der letzte in Belgien 2019. Abgeschoben wurde er nicht, stattdessen tauchte er in Belgien unter.
Forderungen nach mehr Abschiebungen aus der EU
Der Fall zeigt nach Ansicht vieler Ressortchefs, dass das heutige System der Rückführungen und Abschiebungen nicht funktioniert. Außerdem müsse der Austausch von Daten in der EU verbessert werden, aber die Kommunikation zwischen Polizei und Asylbehörden innerhalb mancher EU-Staaten wie Belgien lasse zu wünschen übrig.
Die Forderungen nach mehr Abschiebungen sind schon seit Jahren zu hören. In diesem Jahr würden die tatsächlich vollzogenen Abschiebungen in der EU um rund ein Viertel steigen, gab EU-Innenkommissarin Ylva Johansson an. Die absoluten Zahlen bleiben aber relativ niedrig. In Deutschland sind rund 50.000 Ausreisepflichtige registriert, die keine Duldung besitzen. Tatsächlich abgeschoben wurden im ersten Halbjahr 2023 rund 7800 Personen. EU-Diplomaten wiesen darauf hin, dass Terror-Täter und mögliche Gefährder nicht nur aus dem Kreis der Ausreisepflichtigen stammten und umgekehrt natürlich nicht alle Ausreisepflichtigen terrorverdächtig oder antisemitisch eingestellt seien.
Oft scheitern Abschiebungen auch am Unwillen der Herkunftsstaaten, ihre Staatsbürger wieder aufzunehmen. Hier will die EU-Kommission künftig stärker auf das Visa-Recht setzen. Sollte ein Staat sich weigern, Abgeschobene zu nehmen, könnte die EU die Visapflicht für die übrigen Staatsbürger wieder einführen oder die Visaregeln verschärfen. Dieses Vorgehen habe bereits bei Irak, Pakistan und Bangladesch zu höheren Rücknahmequoten geführt, meinte die EU-Kommissarin Ylva Johansson.
"Schengen ist nicht tot, sondern kaputt"
Weil viele Migranten innerhalb des Schengenraumes in der EU unerlaubt weiterziehen, hatten viele Staaten darunter Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und Frankreich wieder Grenzkontrollen an Binnengrenzen eingeführt. Damit solle die Schleuserkriminalität bekämpft werden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Und auch bei der Suche nach Terrorverdächtigen seien Grenzkontrollen hilfreich, heißt es aus anderen EU-Ländern. Allerdings widersprechen systematische und permanente Grenzkontrollen eigentlich den Grundregeln des Schengenraums mit maximaler Freizügigkeit. Der österreichische Innenminister Gerhard Karner beschreibt das so: "Schengen ist nicht tot, aber Schengen ist kaputt." Reparieren könne man es mit einem neuen Asylsystem und einem besseren Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union.
Es müssten also mehr Migranten unmittelbar an den Außengrenzen abgewiesen werden. Das soll der neue Asyl-Pakt der EU leisten, der bis Ende des Jahres mit dem EU-Parlament ausgehandelt und dann in zwei Jahren umgesetzt werden soll. Bis dahin, so Innenministerin Nancy Faeser, müssten die außerordentlichen Grenzkontrollen im Schengenraum "übergangsweise" noch weiter bestehen. "Wir machen das ja nicht um Pendler zu ärgern, sondern um Schleuser zu fassen", ergänzte Österreichs Innenminister Karner.