EU-Kommission kämpft gegen Steuer-Deals
4. Oktober 2017EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gilt in Brüssel als unerschrocken und entscheidungsstark. Jetzt zeigt sie, dass sie den Kampf gegen die Steuervermeidung durch internationale Großkonzerne in der EU vorantreiben will. Vestager arbeitet Schritt für Schritt den Katalog der Verstöße ab, der seit dem Amtsantritt dieser Kommission offenbar geworden ist.
Unfaire Vorteile durch Steuer-Deals
Im Prinzip ist Steuerrecht Sache der Mitgliedsländer. Allerdings verfolgt die Kommission seit einiger Zeit Großkonzerne, die von EU-Mitgliedsländern Vorteile bei der Unternehmensbesteuerung erhalten haben, unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung. "Wir müssen verhindern, dass einige Staaten Konzernen unfaire Vorteile verschaffen. Sie dürfen ihnen keine Hilfen geben, die sie lokalen Unternehmen nicht auch einräumen", sagt die Wettbewerbskommissarin. Das sei eben der Zweck von Regeln in Europa: "Unternehmen müssen durch ihre Leistung auf dem Markt bestehen." Wenn einzelne dabei verbotene Staatshilfen durch Steuererleichterungen erhalten, verzerrt das den Wettbewerb.
Die Entscheidungen gegen Amazon und Apple sind nur zwei in einer Reihe von Untersuchungen durch die Wettbewerbsbehörde. Im Oktober 2015 forderte sie die US-Kaffeekette Starbucks auf, 30 Millionen Euro Steuern in den Niederlanden nachzuzahlen. Ein weiterer Fall in Luxemburg gegen die Hamburger-Kette McDonald's läuft noch. Hier geht um rund eine Milliarde Euro nicht gezahlter Steuern, die ebenfalls als verbotene Staatshilfe betrachtet werden könnten.
Unabhängig davon hat die Kommission inzwischen Google, Microsoft und Facebook wegen anderer Wettbewerbsverstöße mit Strafen belegt. Vestager hat keine Angst, sich mit großen US-Konzernen anzulegen.
Der EuGH wird entscheiden
Die irische Regierung nannte in ihrer Reaktion vom Dienstag das Vorgehen der Kommission "extrem enttäuschend". Sie war bereits gegen die ursprüngliche Entscheidung von 2016 vor Gericht gezogen, mit der Brüssel Apple zur Nachzahlung verpflichtet hatte. Allerdings hat diese Klage keine aufschiebende Wirkung, daher soll Dublin das Geld jetzt eintreiben. Apple selbst wiederum droht auch mit Klage. Klar ist, dass der Europäische Gerichtshof hier in einem Grundsatzurteil darüber wird entscheiden müssen, ob solche Steuererleichterungen für einzelne Unternehmen noch rechtlich zulässig sind, oder ob sie tatsächlich als verbotene Staatshilfen zu bewerten sind.
Das Prinzip hinter diesen Fällen war jeweils ähnlich: Zwischen der operativen Niederlassung einer Firma und einer Holding, die lediglich eine Briefkastenfirma war, wurden Gelder so verschoben, dass zum Beispiel bei Amazon am Ende nur noch ein Viertel der zu versteuernden Gewinne übrig blieben. Die übrigen drei Viertel wurden der Holding zugeschrieben, die gemäß der luxemburgischen Steuervereinbarung frei gestellt war.
Auch Luxemburg, dessen Volkswirtschaft davon profitiert, mit solchen Vergünstigungen die Niederlassungen von internationalen Großunternehmen anzuziehen, überlegt rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der EU-Kommission - obwohl das Land inzwischen seine Regeln geändert hat und Fälle wie Amazon und andere nicht mehr vorkommen dürften, lobte Margarete Vestager. Außerdem wurde kurz nach dem Auffliegen des Lux-Leaks-Skandals zwischen den EU-Mitgliedsländern ein automatischer Austausch von Steuer-Deals beschlossen, der zumindest etwas Transparenz schafft.
Es geht um den Wettbewerb
Die EU-Kommissarin wehrte jeden Vorwurf, dass sie sie vielleicht US-Konzerne besonders aufs Korn nehme, als ungerechtfertigt ab. "Wir haben alle Entscheidungen genau daraufhin überprüft und konnten nicht feststellen, dass wir irgendwo parteiisch gewesen wären", sagt Vestager. "Wir müssen auf gleichem Spielfeld arbeiten. Hier geht es um den Wettbewerb in Europa, egal unter welcher Flagge er stattfindet und wer die Eigentümer sind."
Reaktionen und Reformvorschläge
Europapolitiker reagierten erfreut auf die Entscheidungen der EU-Kommissarin. Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, erklärte, sie seien "ein Erfolg für die Steuergerechtigkeit in Europa". Allerdings kritisiert er die geforderten 250 Millionen als zu niedrig. Die Kommission war ursprünglich von 400 Millionen ausgegangen und hatte die Summe dann reduziert. Dies zeige, dass eine "wirklich europäische Steuerpolitik" nicht zu ersetzen sei durch das Wettbewerbsrecht. Er fordert eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern in der EU.
Der Linken-Abgeordnete Fabio di Masi wiederum will eine Reform des Beihilferechts, um Strafen zu ermöglichen, die in den EU-Haushalt fließen könnten. Der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab wiederum lobte Vestagers Beschluß: "Die Eintreibung von Steuerforderungen gegenüber Unternehmen ist keine Kann-Bestimmung." Irland hätte bereits im Januar die 13 Milliarden von Apple einfordern müssen, das aber aus Angst um seinen Standortvorteil vermieden.
Die großen Mitgliedsländer Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien haben inzwischen beim Gipfel in Tallinn ein gemeinsames Papier zur Reform der Besteuerung von Internet-Konzernen vorgelegt. Darin wird gefordert, dass Gewinne künftig dort versteuert werden sollen, wo sie anfallen, und nicht mehr im Land einer willkürlich gewählten EU-Niederlassung. Das würde dem irischen Steuermodell die Füße wegschlagen, weshalb Dublin auch anhaltenden Widerstand gegen solche Reformversuche leistet. Und weil hier einstimmig beschlossen werden muss, wird Fortschritt schwierig. Kritiker fordern daher, zunächst müsse der Zwang zur Einstimmigkeit in Steuerfragen fallen. Erst dann werde es in der EU bei der Besteuerung von Großkonzernen gerechter zugehen.