Gericht: Ungarns Asylregeln brechen EU-Recht
17. Dezember 2020Das ungarische Asylsystem hat abermals einer juristischen Überprüfung durch ein europäisches Gericht nicht standgehalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verurteilte Ungarn vor allem wegen der "rechtswidrigen Inhaftierung" von Schutzbedürftigen in "Transitzonen" und der Abschiebung von Flüchtlingen ohne Beachtung der geltenden Garantien. So sei es unzulässig, dass Ungarn illegal im Land befindliche Migranten abschiebe, ohne den Einzelfall zu prüfen, befand das höchste EU-Gericht.
Der EuGH entsprach damit weitgehend einer Klage der EU-Kommission gegen Ungarn wegen Verstoßes gegen die europäischen Verträge. Die Brüsseler Behörde hatte seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 wiederholt Zweifel an der Vereinbarkeit der ungarischen Asylregeln mit EU-Recht geäußert. Nach Einschätzung der Behörde ist insbesondere nicht gewährleistet, dass Rückkehrentscheidungen einzeln erlassen werden und die Migranten Informationen über Rechtsbehelfe erhalten. Es bestehe die Gefahr, "dass Migranten ohne die entsprechenden Garantien und unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung rückgeführt werden".
Garantien missachtet
Der EuGH gab der EU-Kommission nun weitgehend Recht. Die ungarischen Behörden beachteten nicht die vorgesehenen Verfahren und Garantien. Vielmehr würden die Migranten von Polizisten unter Zwang hinter einen Zaun auf einen Landstreifen ohne Infrastruktur gebracht, der nur wenige Meter von der Grenze zu Serbien entfernt sei. Da die Betroffenen keine andere Wahl hätten, als das ungarische Landesgebiet zu verlassen, sei dies mit einer Abschiebung gleichzusetzen. Stattdessen müsse es nach EU-Recht ein Rückführungsverfahren geben, bei dem bestimmte Garantien berücksichtigt würden.
Die Klage der EU-Kommission richtete sich auch gegen die mittlerweile geschlossenen Transitlager sowie die bis vor kurzem gültigen Asylverfahren an der Grenze zu Serbien. Die Transitlager hatte der EuGH in einem anderen Verfahren bereits im Mai für rechtswidrig erklärt. Daraufhin schloss Ungarn die Lager und führte neue Regeln ein. In ihrem aktuellen Urteil bestätigten die Richter, dass die Transitlager gegen EU-Recht verstießen.
Neues Vertragsverletzungsverfahren
Mittlerweile sehen neue Regeln vor, dass Schutzsuchende nicht mehr an der Grenze zu Serbien Asyl beantragen können, sondern in Ungarns Botschaften in Belgrad oder Kiew vorstellig werden müssen. Dort können sie eine Absichtserklärung auf Stellung eines Asylantrags einreichen. Dann bekommen sie möglicherweise einmalig die Erlaubnis, nach Ungarn einzureisen. Gegen diese Regeln hat die EU-Kommission im Oktober ein neues Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil der Zugang zum Asylverfahren nicht gewährleistet sei.
Ungarn steht zusammen mit Polen seit Jahren wegen rechtsstaatlicher Verfehlungen im Visier der EU. Vergangene Woche hatten sich die Mitgliedstaaten beim Gipfeltreffen in Brüssel auf einen Kompromiss geeinigt, nach dem EU-Hilfen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig theoretisch gekürzt werden können.
kle/rb (afp, dpa)