EU gelassen vor Griechen-Wahl
19. September 2015Ein halbes Jahr lang hatten die Sitzungen der Euro-Finanzminister im Bann des "G-Wortes" gestanden. Beim informellen Treffen am vergangenen Wochenende aber war Griechenland nicht mehr auf der Tagesordnung. Nur am Rande gaben einzelne EU-Beamte zu erkennen, dass man unzufrieden sei wegen des derzeitigen Stillstandes im Land. Andere Offizielle, die nah am Geschehen sind, stellten der Übergangregierung in Athen hingegen ein besseres Zeugnis aus: So sei auf Verwaltungsebene sei eine Menge Arbeit geleistet worden.
Auch wenn die Übergangsregierung zuletzt keine neuen Gesetze verabschiedete, sei die Zuversicht ziemlich groß, dass jede neue Regierung die Reformvereinbarungen einhalten werde. Man solle nicht zu sehr auf das Wahlkampfgetöse achten, am Ende werde doch eine andere Politik gemacht, hieß es aus Brüssel. Das gelte auch für den konservativen Kandidaten Evangelos Meimarakis - schließlich habe dessen Partei Nea Demokratia sich immer als europäische Partei gesehen.
EU-Kommissionchef Jean-Claude Juncker hatte kürzlich in seiner Brandrede zur Lage der Europäischen Union noch einmal an den hitzigen Streit um Griechenland erinnert: "Viel Zeit und viel Vertrauen gingen verloren. Brücken wurden abgebrannt." Inzwischen aber gilt die Devise: Was kümmert uns die Krise von gestern. Das Flüchtlingsdrama zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
Bloß keine Änderungen im Programm
Auch Griechen-Freund und Berufsoptimist Pierre Moscovici erklärte schon in Brüssel, egal wer die Wahl gewinne, es gebe breite politische Unterstützung für das Reformprogramm in Athen. Der EU-Währungskommissar soll auch zu denen gehören, die lieber Alexis Tsipras weiter als Premierminister sähen. Bliebe der Syriza-Chef im Amt, müsste er sich wohl eher an die Vereinbarungen mit der EU halten, als wenn er auf den Oppositionssitzen landen würde. Von dort könnte er eventuell zu einer neuen Kehrtwende ansetzen, um einer Regierungskoalition aus Konservativen und Mitte-Links-Parteien das Leben schwer zu machen - so die Argumentation.
In jedem Falle aber gilt: "Das Programm ist das Programm", sagt Zsolt Darvas vom Wirtschaftsforschungsinstitut Bruegel in Brüssel. Substantielle Änderungen seien nicht mehr möglich. Er hält es für viel wichtiger, dass eine neue Regierungskoalition in Athen eine ausreichend große parlamentarische Mehrheit hat, damit notwendige Gesetzesänderungen nicht ständig behindert und infrage gestellt werden.
Noch ist Zeitverzug aufzuholen
Durch die Parlamentswahl eintretende Verzögerungen hält Darvas bislang für unschädlich: Eigentlich sollte bis Ende Oktober der erste Bericht zur Überprüfung der Fortschritte fertig sein. Und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hatte in seiner Rolle als niederländischer Finanzminister Anfang des Monats in Den Haag noch einmal gemahnt: Nur wenn Griechenland sich an das Reform- und Sparprogramm hält, wird die nächste Rate der Hilfen ausgezahlt.
Aber selbst wenn der erste Prüfbericht vor Auszahlung der nächsten Kredittranche einen Monat später käme - bis dahin könne Athen finanziell überleben. Auch die Maßnahmen zur Schuldenerleichterung seitens der Gläubiger mit der Verlängerung von Kreditlaufzeiten, Fälligkeiten und Zinszahlungen, die die Troika versprochen hat, würden noch im November gelten.
Unter Zeitdruck steht dagegen die geplante Abwicklung und Rekapitalisierung griechischer Banken. Zehn Milliarden Euro sind dafür aus dem ESM-Krisenfonds bereitgestellt. Sie müssen vor Jahresende fließen, denn ab dem ersten Januar gilt in der EU eine neue Rechtslage. Aber auch diese Aufgabe sei zu schaffen, sagt Griechenlandexperte Darvas, denn die Europäische Zentralbank (EZB) habe 2014 schon ausführlich die Lage der griechischen Banken dokumentiert - man brauche also eigentlich nur ein Update mit den Daten von 2015.
Vorsichtiger Optimismus
Die Forscher von Bruegel sind vorsichtig optimistisch, was die Zukunft Griechenlands angeht: 2014 gab es in allen Bereichen der Wirtschaft Wachstum - und es wurden Jobs geschaffen. 2015 sei dagegen als Totalausfall zu verbuchen. 2016 aber könnte das Land zum Wachstum zurückkehren, zumal ein großer Teil der alten Strukturreformen schon abgearbeitet gewesen sei. Das Beispiel von Spanien und Portugal, wo ähnliche Programme umgesetzt wurden, zeige wie das funktioniert.
Für einige Aufregung sorgte inzwischen der erste Besuch des neuen EU-Beauftragten in der griechischen Hauptstadt. Es gab ein paar giftige Schlagzeilen über "Kontrolle aus Brüssel" und ein "Protektorat der Troika". Der Niederländer Maarten Verwey, vormals Direktor für Wirtschaft und Finanzen in der EU-Kommission in Brüssel, ist Nachfolger des Deutschen Horst Reichenbach, der die sogenannte Task Force für Griechenland geleitet hatte. Allerdings nennt sich die neue Überwachungseinheit jetzt "Structural Reform Support Service", eine Einrichtung, die im Prinzip Strukturreformen in allen EU-Ländern mit Brüsseler Hilfe unterstützen soll. Trotz des weichgespülten Titels ist klar, dass die Gläubiger in punkto Griechenland weiter auf die Devise "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" setzen.