Europa muss mehr tun
9. September 2010Kristalina Georgieva, die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, hat das Elend in Pakistan inzwischen mit eigenen Augen gesehen. Nach der Rückkehr aus dem Katastrophengebiet ist die 57-jährige bulgarische Politikerin tief geschockt von den Ausmaßen der Flutkatastrophe: "Europa muss mehr tun. Die humanitäre Katastrophe ist nicht vorbei. Während wir hier reden, geraten immer noch Menschen in neue Not. 20 Millionen Menschen sind betroffen. Das ist so eine enorme Zahl. 800.000 Menschen sind in Orten, die sehr schwer oder gar nicht zu erreichen sind."
"Wir waren die Ersten"
Im Interview mit der Deutschen Welle sagt Georgieva, dass nicht nur Europa, sondern auch andere Regionen und Staaten gefordert seien, die traditionell nicht zu den Geberländern gehören, wie China oder Indien. Humanitäre Hilfe werde immer noch als Angelegenheit des Westens betrachtet, dabei sei die Solidarität doch ein globaler Wert. Im Oktober und November wollen die Vereinten Nationen und die EU entsprechende Geberkonferenzen organisieren.
Kritik, die Europäische Union habe zu langsam auf die Flutkatastrophe reagiert, weist die EU-Kommissarin zurück. Schon wenige Tage nach den ersten Meldungen zu den Fluten in Nordpakistan habe die EU-Kommission 30 Millionen Euro an Soforthilfe freigegeben. Inzwischen sei diese Summe auf 231 Millionen Euro angewachsen. Hinzu komme die logistische Hilfe aus mittlerweile zwölf EU-Mitgliedsstaaten: "Diese konkrete Hilfe ist manchmal wichtiger, als einfach Geld zu geben. Denn die Staaten stellen Wasseraufbereitungsanlagen, Medikamente und Baumaterial zur Verfügung", sagte Georgieva. Vor einigen Tagen hätten sie ein großes Frachtflugzeug mit Wasseraufbereitung aus Italien und Unterkünften aus Deutschland und Österreich nach Pakistan geschickt. "Wir waren die allerersten, die geholfen haben."
"Hilfe besser vernetzen"
Trotzdem könne die Europäische Union ihre Hilfen noch besser organisieren und vernetzen, gesteht Kristalina Georgieva im Gespräch mit der Deutschen Welle zu. Doppelarbeit müsse abgebaut werden. Europa solle nur das organisieren, was wirklich zentral in Brüssel geregelt werden müsse. Noch in diesem Monat will die EU-Kommissarin, die zuvor Vizepräsidentin der Weltbank in Washington war, entsprechende Vorschläge vorlegen.
Die Zusammenarbeit mit den zahlreichen Hilfsorganisationen solle transparenter werden. Kritik an den Hilfsorganisationen, die sich nach Meinung von Journalisten zu regelrechten "Hilfs-Industrien" entwickelt haben, die um Aufträge konkurrieren, nimmt sie ernst: "Innerhalb der EU-Kommission ist sehr klar, dass wir für das Geld der Steuerzahler Rechenschaft ablegen müssen. Nachprüfbare Ergebnisse sind für uns entscheidend." Die EU arbeite mit rund 200 Hilfsorganisationen aus dem Bereich der Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen zusammen. "Die bekommen aber keinen Blanko-Scheck. Wir prüfen jedes Jahr ein Drittel unserer Partnerorganisationen und ein Drittel aller Projekte. Wenn die Prüfung ergibt, dass die Leistung nicht stimmt, werden die Projekte und die Zusammenarbeit beendet. Das hat die Qualität bereits gesteigert."
Langfristiges Engagement der EU
In Pakistan müsse die EU nun bald dafür sorgen, dass die Bauern in den überschwemmten Gebieten mit Saatgut und landwirtschaftlichen Geräten ausgestattet werden, sagt die EU-Kommissarin. Denn das Wasser gehe zurück und hinterlasse neben zerstörten Dörfern auch fruchtbare Felder, die bestellt werden müssten, um die nächste Ernte zu sichern. Die EU sei auf jeden Fall bereit, sich langfristig in Pakistan zu engagieren, so Kristalina Georgieva. Das liege auch im sicherheitspolitischen Interesse Europas. Schließlich sei Pakistan von einer doppelten Krise erschüttert und destabilisiert: Die Flut und die Kämpfe zwischen der Regierung und radikalen Islamisten.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Julia Kuckelkorn