EU-Finanzminister: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren
7. Juni 2005
Noch eine gute Woche, bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs, hat der luxemburgische EU-Ratsvorsitzende Zeit, ein kleines europäisches Wunder zu vollbringen. Jean-Claude Juncker, der Premier und Finanzminister seines Landes ist, will in Einzelgesprächen mit den Staats- und Regierungschefs, im so genannten Beichtstuhlverfahren, Zugeständnisse im Streit um den künftigen EU-Haushalt von 2007 bis 2013 erreichen. Am Sonntag (12.6.) werden die Außenminister in einem zweiten Konklave über den Zahlen brüten.
Sechs Nettozahler, darunter Deutschland, fordern eine Deckelung des Haushalts bei einem Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Die Nettoempfänger wollen 1,24 Prozent. Die Luxemburgische Ratspräsidentschaft schlägt als Mittelweg 1,06 Prozent vor. Vor dem Hintergrund der Verfassungkrise wäre es das richtige Signal für Europa, wenn die Staats- und Regierungschef bei diesem kniffeligen Streit Tatkraft beweisen würden, sagte Jean-Claude Juncker. Bundesfinanzminister Hans Eichel schätzt die Chancen auf eine Einigung so ein: "Es müssen sich sehr viele bewegen und das muss man dann auch mal sehen können."
Großbritannien droht mit Veto
Druck üben die Finanzminister vor allem auf Großbritannien aus, ein Abschmelzen seines Beitragsrabattes zuzulassen. Ein Anwachsen des 20 Jahre alten "Britenrabattes" auf bis zu sieben Milliarden Euro pro Jahr, könne niemand hinnehmen, sagte der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Großbritannien hält aber an einem möglichen Veto fest. Der britische Premierminister Tony Blair sagte in einem Zeitungsinterview, der Rabatt müsse bleiben. "Unsere Position hat sich nicht geändert", sagte der britische Schatzkanzler Gordon Brown auf dem Treffen der EU-Finanzminister am Dienstag in Luxemburg. "Wir werden unser Veto nutzen, falls dies notwendig sein sollte, um die britische Position durchzusetzen."
Für Deutschland, das jährlich rund sieben Milliarden netto in die Brüssler Kasse zahlt, forderte Hans Eichel eine Entlastung: "Wie soll ich denn dem deutschen Steuerzahler erklären, dass wir bei der Wohlstandskennziffer auf Platz elf liegen und bei Zahlemann und Söhne auf Platz drei?" Das könne nicht zusammen gehen. "Das muss auch jeder andere verstehen, dass wir Übergangszeiten brauchen", sagte Eichel. "Aber die Richtung muss stimmen, sonst ist das nicht zu vermitteln." Die dramatische Haushaltslage lasse höhere Zahlungen nicht zu, sagte der Bundesfinanzminister. In diesem Jahr allein fehlten ihm zehn bis zwölf Milliarden Euro.
Wegen der schwachen Konjunktur werden die Defizite in den Euro-Ländern immer größer, stellten die besorgten Finanzminister fest. Deutschland wird wohl auch in diesem Jahr mehr als drei Prozent neue Schulden, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, machen müssen. Die Schuld daran, sagte Hans Eichel in bester Wahlkampflaune, trage aber die Opposition, die im Bundesrat all seine Sparvorschläge abgeschmettert habe.
Defizitverfahren gegen Italien
Gegen Italien wird ein Defizit-Verfahren eröffnet. In Straßburg legte die Kommission ebenfalls am Dienstag einen ersten formellen Bericht zur Entwicklung der Neuverschuldung in Italien vor. Das Land habe in den vergangenen beiden Jahren den Referenzwert von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Neuverschuldung knapp überschritten und werde ihn wohl auch in diesem Jahr und im kommenden Jahr nicht einhalten. Italien und die EU-Kommission hatten lange über die Bewertung der Haushaltszahlen gestritten. Am Montagabend (6.6.) sagte EU-Währungskommissar Joaquin Almunia, beide Seiten seien sich zu 90 Prozent einig. Derzeit laufen gegen zehn Länder Defizitverfahren. Das Verfahren gegen die Niederlande stellten die EU-Finanzminister am Dienstag ein, weil das Defizit des Landes wieder deutlich unter drei Prozent des Inlandsproduktes gesunken war.
Die Finanzminister in Luxemburg konnten sich hingegen nicht auf eine Steuer auf Flugbenzin oder eine Ticketabgabe einigen, die zur Finanzierung von Entwicklungshilfe dienen sollten. Einen Erfolg konnten die EU-Finanzminister aber erreichen: Sie billigten am Dienstag in Luxemburg nach Angaben eines Diplomaten eine strengere Geldwäsche-Richtlinie.