EU bei Migration in der Sackgasse
7. Februar 2019Die rumänische EU-Ratspräsidentschaft hatte sich Mühe gegeben. Die Kulisse des Parlaments ist gewaltig: Riesige Marmortreppen, prächtige Säle mit meterhohen Kronleuchtern. Lange blaue Teppiche für die Innenminister, die von einer Art Palastwache in babyblauen Uniformen durch endlose Korridore geleitet wurden. Beeindruckend der Rahmen für die informelle Tagung der 28 EU-Staaten, eher bedrückend das Ergebnis. Das meinte zumindest der Außen- und Migrationsminister Luxemburgs, Jean Asselborn. Der Sozialdemokrat ist der dienstälteste Minister in der Runde und verhandelt schon seit mehr als zwei Jahren immer wieder das Gleiche. Die EU findet keinen Verteilungsschlüssel für Migranten, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet werden. Zu groß sind die eigenen Interessen der Mitgliedsstaaten. Solidarität, beklagt Asselborn, gäbe es nicht. Lieber schaue man weg.
Seit Jahresbeginn sind 209 Menschen nach Angaben der Vereinten Nationen im Mittelmeer bei dem Versuch Europa zu erreichen, ertrunken. Im vergangenen Jahr waren es 2275 schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. "Wenn wir das nicht hinkriegen mit der Migration, dann ist das ein Thema, wo die EU total versagt. Sie kann das Problem nicht an der Wurzel lösen. Das wäre vielleicht das allererste Mal seit die EU besteht", sagt der zunehmend verzweifelte Minister Jean Asselborn in Bukarest und dankt der rumänischen Ratspräsidentschaft, dass sie das Thema zumindest auf die Tagesordnung gesetzt hat. Das ist nicht selbstverständlich.
Rechtspopulisten wollen Einwanderung unterbinden
Die rechtspopulistische Regierung Österreichs, die im vergangenen halben Jahr die Ratspräsidentschaft innehatte, hatte das Thema "Verteilung von Migranten" und "Reform der Asylregeln" schon gar nicht mehr angepackt. Stattdessen wiederholte der rechtspopulistische Innenminister Österreichs, Herbert Kickl (FPÖ), seine These, dass in der Migrationspolitik "ein Paradigmenwechsel" gelungen sei. Für den ließ sich Kickl bereits im vergangenen Sommer zusammen mit dem rechtsradikalen Innenminister Italiens, Matteo Salvini (Lega), und dem rechtskonservativen Innenminister Deutschlands, Horst Seehofer (CSU), in Innsbruck feiern.
Kickl und seine Verbündeten wollen Einwanderung und die Aufnahme von Asylbewerbern in die EU möglichst ganz verhindern. Italien, Malta und Frankreich haben ihre Häfen für die Aufnahme von Schiffbrüchigen de facto geschlossen, was das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) scharf kritisiert. Polen und Ungarn, aber auch Österreich, weigern sich, umverteilte Asylbewerber aus Italien, Griechenland oder Spanien aufzunehmen. Italiens Innenminister Salvini wirft der französischen Regierung vor, Migranten massiv zurückzuschieben, was diese bestreitet.
Deutschland wünscht sich geregelte Verteilung
Deutschland hat seine Haltung wieder etwas gelockert. Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, fordert zumindest einen zeitweisen Verteilmechanismus. Im Moment feilschen die EU-Staaten bei jedem Flüchtlingsschiff wie auf dem Basar, wer wie viele Asylsuchende aufnimmt. "Es ist aus meiner Sicht unwürdig, dass bei jedem Schiff, das aus Seenot gerettet wird, immer wieder neu die Diskussion entflammt, welches Land bereit ist, Schiffbrüchige zu übernehmen", sage Mayer, der den erkrankten Innenminister Seehofer vertrat. "Deshalb ist es von wesentlicher Bedeutung, dass wir einen Verteilmechanismus schaffen, an dem sich möglichst viele Staaten beteiligen. Bislang gibt es Zusagen von neun EU-Staaten, sich an dem temporären ad-hoc-Mechanismus zu beteiligen. Das ist ein schöner Erfolg, aber das ist aus meiner Sicht noch zu wenig."
Der ad-hoc-Mechanismus soll so lange gelten, bis sich alle EU-Staaten auf eine grundlegende Reform der sogenannten "Dublin-Regeln" zur Zuständigkeit für Asylverfahren einigen können. Doch das ist noch ein langer Weg. Italien fordert, die Zuständigkeit vom Land der ersten Einreise zu trennen. Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn und andere bestehen aber darauf, dass diese Zuständigkeit erhalten bleibt. Über eine anschließende Verteilung von Asylbewerbern, die gute Chancen auf Anerkennung haben, könne man reden, heißt es von einigen Staaten. Polen und Ungarn lehnen auch das strikt ab.
EU-Kommissar: Appell an Mitgliedsstaaten
Von einer einheitlichen Prüfung der Asylbewerber und einem reformierten Asylrecht auf europäischer Ebene, wie das EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos seit Jahren vorschlägt, sind die Mitgliedsstaaten noch meilenweit entfernt. Avramopoulos blieben nur, wie bei vielen Innenministertreffen zuvor, Appelle: "Die Uhr tickt. Wir haben keine Zeit zu verlieren mit der Europawahl vor Augen. Für mich ist wichtig, dass die bevorstehenden Wahlen uns nicht lähmen." Die EU-Innenminister veränderten ihre Haltung allerdings nicht. Avramopoulos beschwor sie, keine Spielchen mehr zu spielen. "Wir können nicht weiter mit Menschenleben verhandeln", bekniete der Kommissar die Minister.
Die waren sich aber einig, dass vor den Wahlen zum Europaparlament Ende Mai erst einmal gar nichts passieren wird. Migration und Asylbewerber eignen sich hervorragend als Themen im aufkeimenden Wahlkampf, wenn es nach den rechtpopulistischen Ministern geht. Folgerichtig hat Österreichs Ressortchef Kickl in Bukarest eine neue Flanke aufgemacht. Er will Menschen, die Asyl in Österreich oder der EU genießen, schneller abschieben können, wenn sie straffällig werden.
Kickl sprach von einer "perversen Situation", die geändert werden müsse. Er wolle nicht erst abwarten, bis jemand zuschlage und sich eine kriminelle Karriere aufbaue. Er wolle schnell eingreifen können, "um das Schlimmste zu verhindern", sagte Kickl. "Ich bin nicht der Einzige, der so denkt." Konkret will der österreichische Minister die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Asylstatus senken. Einfacher Diebstahl oder die, so Kickl, "Vorstufe einer Vergewaltigung" sollten ausreichen. Was das genau sein soll, führte Kickl nicht aus.