Ethnische Rebellen im Myanmar-Konflikt
7. Mai 2021Seit Ende März greift der Konflikt in Myanmar, der nach dem Putsch vom 1. Februar zwischen Armee und Zivilgesellschaft in den städtischen Ballungszentren ausgetragen wird, zunehmend auf Teile der Minderheitengebiete über. So haben im entlang der Grenze zu Thailand sich erstreckenden Karen-Staat (offizielle Bezeichnung: Kayin-Staat) die Kämpfe zwischen Armee und bewaffneten Einheiten des Karen-Volkes an Intensität zugenommen. Laut der Exil-Zeitung "The Irrawaddy" sind fast 200 Soldaten der regulären Armee seit Ende März bei Zusammenstößen mit der Nationalen Befreiungsarmee der Karen (KNLA) ums Leben gekommen. Die KNLA ist ein bewaffneter Arm der politischen Organisation der Karen, KNU, die sich bislang am deutlichsten unter den Minderheiten auf die Seite der Putsch-Gegner gestellt hat.
Guerilla-Aktionen und Luftangriffe
Nach einem Angriff der KNLA auf einen Militärstützpunkt am 27. März, bei dem zehn Regierungssoldaten getötet wurden, flog die Armee erstmals seit 20 Jahren wieder Luftangriffe auf Karen-Gebiete. In der Folge sind Tausende Dorfbewohner vorübergehend an die Grenze zu Thailand geflohen, wo Verletzte medizinische Notversorgung erhalten, allerdings dann wieder zurückgeschickt werden. Nach UN-Angaben wurden landesweit rund 40.000 Einwohner durch die neuen Kampfhandlungen aus ihren Wohngebieten vertrieben.
Einen Monat später führte die KNLA erneut einen erfolgreichen Angriff auf einen Außenposten der Armee an der Grenze zu Thailand aus. "In dem mehr als sieben Jahrzehnte alten Krieg gegen die Zentralregierung" sei "die Chance nie größer gewesen", endlich über das verhasste Militär zu triumphieren, ermutigte KNLA-Generalleutnant Baw Kyaw Heh weitere Rebellengruppen in der Region, zu den Gewehren zu greifen. "Lasst unsere Generation vereint stehen, um der Militärdiktatur zu entkommen", heißt es in dem Aufruf.
Suche nach Zusammenhalt
Der zeigt allerdings auch, dass von einer gemeinsamen Front gegen die Militärregierung keine Rede sein kann. Denn das Schreiben richtet sich an solche Karen-Gruppierungen, die bislang zu dem Putsch geschwiegen haben, und auch an diejenigen Karen-Angehörigen, die Dienst in der Grenzschutztruppe BGF tun. In seiner Botschaft spricht der KNLA-Offizier die Soldaten der BGF direkt an: "Ihr seid Karen, denkt gut nach und trefft die richtige Entscheidung. Leute der Karen sollten einander nicht töten."
Gleichzeitig versucht die KNU, Allianzen mit weiteren Minderheiten im Lande zu schmieden. "Wir sind mitten im Prozess mit anderen bewaffneten Organisationen zu kollaborieren, um gemeinsam das Militärregime zu bekämpfen", sagt Padoh Saw Taw Nee, Chef für Auslandskontakte der KNU, gegenüber der DW
Dschungelkämpfer mit begrenztem Radius
Der südostasiatische Vielvölkerstaat beheimatet über 20 bewaffnete ethnische Gruppen, viele von ihnen sind seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 mit der Zentralregierung und ihrer Armee verfeindet und in den Grenzgebieten aktiv. Im Norden sollen die Truppen der "Kachin Independence Army" (KIA) schon mindestens zehn Militärstützpunkte eingenommen haben, berichten lokale Medien. Am vergangenen Montag schossen Kämpfer des Kachin-Volkes erstmals einen Militärhubschrauber ab. Im Westen sollen Rebellen der "Chinland Defense Force" (CDF) im ärmlichen Grenzgebiet zu Indien mit ihren einfachen Jagdgewehren schon 15 Regierungssoldaten getötet haben, behauptet die neu gegründete Bürgerwehr CDF. Die Junta spricht von lediglich zwei gefallenen Soldaten.
In der Guerilla-Kriegsführung in bergigen Randregionen haben die ansässigen Rebellen Vorteile. Sie kennen das Terrain, können blitzschnell zuschlagen und wieder im Dickicht des Dschungels verschwinden. In dieser begrenzten Kriegsführung liege aber auch das Problem der Rebellen, sagt Damien Kingsbury, Südostasienexperte an der australischen Deakin Universität. "Indem sich die meisten Aktivitäten auf ihre besetzten Heimatorte konzentrieren, sind sie kaum in der Lage, das größere politische oder strategische Bild zu ändern."
Kampf in die Städte tragen?
Ende April kamen die Anschläge der Zentrale der Militärmachthaber überraschend nahe. In den Städten Meiktila und Magwe detonierten selbstgemachte Raketen in mehreren Armeestützpunkten, nur wenige Fahrstunden von der Hauptstadt und dem Machtzentrum der Generäle, Naypyidaw, entfernt. Wer hinter den Explosionen steckte, blieb unklar. Auch die Urheber von weiteren Anschlägen auf städtische Regierungsbüros unweit von Yangon verblieben im Dunkeln. Beobachter glauben, dass ethnische Rebellen den Sprengstoff anliefern, während Armeegegner in den Städten die Angriffe ausführen.
Die Raketen- und Bombenanschläge im Kerngebiet der Junta seien lediglich ein Symbol für die Opposition, hätten strategisch aber keinen Nutzen, meint Kingsbury. "Realistisch sehe ich keine ernstzunehmende Option in einem Häuserkampf. Die Tatmadaw (Name der Streitkräfte in Myanmar - Anm. d. Red.) sind sehr geübt in der Kontrolle eines urbanen Umfelds, im Unterschied zu den entlegenen Rebellengebieten". Anders sieht es Nerdah Bo Mya von der "Karen National Defence Organisation" (KNDO), einem weiteren bewaffneten Flügel der KNU. Gegenüber der DW spricht er über die Freiwilligen von der Bewegung des zivilen Ungehorsams: "Während des einmonatigen Basiskursus lernen sie bei uns den Umgang mit Waffen und kehren danach als Kämpfer in ihre Stadtgebiete zurück, um sich gegen die Junta zu wehren." Es seien bereits etliche Hundert in der Ausbildung.
Ungleiches Kräfteverhältnis
Auch wenn sich alle ethnischen Milizen zusammenschlössen, bliebe es bei einem ungleichen Kampf. Den über 400.000 aktiven Soldaten Myanmars stehen geschätzt 75.000 bis 78.000 Mann der ethnischen Minderheiten gegenüber. "Hinzu kommt, dass die ethnischen Rebellen, im Vergleich zur Tatmadaw, weder Luftwaffe und noch Marinekräfte besitzen", sagt Naruemon Thabchumpon von der Chulalongkorn Universität in Bangkok. Die Myanmar-Expertin bezweifelt, dass sich die Minderheiten jemals zu einem multi-ethnischen Kollektiv zusammenschließen können. "In der Tat haben sich die Rebellengruppen seit dem Putsch etwas angenähert und führen Gespräche. Dass sie gemeinsam in den Krieg ziehen, halte ich aber für ausgeschlossen. Ihre Hintergründe und Ziele sind zu unterschiedlich. Die meisten von Ihnen haben nur eine separatistische Agenda für das jeweils eigene Volk."
Zwei Beispiele hierfür: Die militärisch stärkste ethnische Gruppierung, die 30.000 Mann starke "United Wa State Army" (UWSA) in der östlichen an China grenzenden Region des Shan-Staates schweigt seit dem Putsch eisern. Vermutlich auf Geheiß ihres mächtigen Schutzpatrons und Nachbarn, welcher die Armeeführung zusammen mit Russland bislang vor allzu harten internationalen Sanktionen schützt.
"Eigene Ziele"
Teilnahmslos gibt sich auch die im Westen des Landes ansässige "Arakan Army" (AA), die ihre 7000 buddhistischen Soldaten lieber auf den eigenen Kampf um mehr Autonomie im krisengeschüttelten Teilstaat Rakhine einschwört. "Wir wollen keine Bewegung des zivilen Ungehorsams oder Straßenproteste im Rakhine-Staat. Wir haben unsere eigenen Ziele", sagt AA-Oberbefehlshaber Twan Mrat Naing Mitte April. Eine besänftigende Wirkung hatte wohl auch der Schachzug der Militärmachthaber, zwei politische Gefangene der Arakan Army auf freien Fuß zu setzen und die Gruppe von der Liste "terroristischer Organisationen" zu streichen.