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Politik

Estland: "Die Rechten schüren Ängste"

4. März 2019

Die Rechtspopulisten erhielten bei der Parlamentswahl in Estland knapp 18 Prozent. Das Wahlergebnis analysiert Politologe Florian Hartleb im DW-Interview.

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Martin Helme von der EKRE Partei
Rechter Parteiführer Mart Helme mit seinem Slogan: Für Estland!Bild: picture-alliance/AP/R. Mee

Deutsche Welle: Die Liberalen haben in Estland die Wahlen gewonnen, die bisherige eher nach links neigende Koalitionsregierung um die Zentrumspartei wurde abgewählt. Die Rechtspopulisten (EKRE) wurden drittstärkste Kraft. EKRE hat ihren Stimmenanteil fast verdoppelt, blieb aber schwächer als vorhergesagt. Haben die Rechten jetzt Chancen an der Regierung beteiligt zu werden?

Die Rechtsradikalen hatten großen Einfluss im Wahlkampf mit der Angst vor Flüchtlingen, die es eigentlich gar nicht gibt in Estland. Diese Angst wurde bewußt geschürt. Sie werden nicht an die Regierung kommen, denn die Liberalen mit der Parteichefin Kaja Kallas, Tochter des ehemaligen EU-Kommissars Siim Kallas, hat zwei Optionen. Einmal kann sie eine große Koalition mit der Zentrumspartei bilden, was ich für die wahrscheinliche Variante halte. Zum Zweiten wäre auch eine Koalition mit den Sozialliberalen und einer anderen Mitte-Rechtspartei möglich. Kaja Kallas braucht die Rechten nicht und wird das auch nicht machen, weil es dem Ansehen Estlands schaden würde und sie sich klar positioniert hat im Wahlkampf.

Warum sind die Rechtspopulisten relativ stark geworden in Estland? Was sind die Themen, mit denen sie punkten können?

Estland hat ein Gesetz zur Gleichstellung von Homosexuellen verabschiedet als erstes Land im Baltikum und dagegen wettert EKRE. Sie mobilisiert traditionelle Werte und schürt Angst vor Flüchtlingen, Angst vor Migration. Generell ist das Wahlergebnis Ausdruck von Protest vor allem der ländlichen Bevölkerung. EKRE ist stark auf dem Land. EKRE hat auch eine "Demonstrationspolitik". Eine Woche vor der Parlamentswahl sind Tausende von Menschen aufmarschiert am Unabhängigkeitstag von Estland, weil sie von EKRE mobilisiert wurden für einen Fackelzug. Man muss diese Demonstrationen sehr Ernst nehmen. 

Florian Hartleb
Florian HartlebBild: Herkki Merila

Was muss ich mir unter EKRE, die 2012 gegründet wurde, vorstellen? Sind das Nationalisten, die sagen "Estland zuerst"? Sind das Menschen, die sagen, die Europäische Union ist an allem Schuld, wie das bei vielen anderen populistischen Bewegungen in Europa üblich ist. Was ist der Kern der Botschaft?

Die Partei ist ähnlich wie früher der Front National in Frankreich ein Familienunternehmen, und zwar deswegen, weil Vater Mart Helme und Sohn Martin Helme die Partei anführen und meistens auch zu zweit auftauchen. EKRE ist aus der Mitte der Gesellschaft entstanden. Mart Helme war früher Botschafter Estlands in Russland. Die Helme-Familie ist in Estland grundsätzlich sehr gut angesehen. EKRE hat sich dann radikalisiert und ist heute programmatisch zu vergleichen mit Parteien wie der "Alternative für Deutschland" (AfD) oder der "Freiheitlichen Partei Österreichs". EKRE will eben auch die Westbindung Estlands aufgeben und sagt, wir können aus der Europäischen Union austreten.

Hat EKRE Verbindungen zu Gruppen, die wir in Deutschland als Neo-Nazis oder Neo-Faschisten bezeichnen würden? Ich denke zum Beispiel an die "Soldaten Odins", die in Nordeuropa aktiv sind?

Ja, die "Soldaten Odins" wurden in Finnland gegründet im Zuge der Flüchtlingskrise mit dem Ziel, die reguläre Polizei zu ersetzen. Diese "Soldaten Odins" sind bei den Aufmärschen von EKRE als sogenannte Sicherheitskräfte dabei. Es gibt Verbindungen und Kontakte, allerdings nicht zu Russland. Es gibt ja die Tendenz bei der AfD, stärker noch beim französischen Rassemblement National (früher Front National; Anm. d. Red.) oder der Freiheitlichen Partei Österreichs, dass man gemeinsame Sache mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Russland macht. Das ist bei EKRE nicht der Fall.

Was bedeutet das für die Europawahlen im Mai? Wird sich der Trend zu den Rechtspopulisten fortsetzen?

Es ist davon auszugehen, dass die Rechtspopulisten auch da zulegen, wobei Estland ein sehr proeuropäisches Land ist. Solche Botschaften, wie 'Raus aus der EU' verfangen eigentlich nur bei 15 bis maximal 20 Prozent der Bevölkerung.

Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler und Politikberater. Der Experte für rechtspopulistische Parteien in Europa lebt in Tallinn, der Hauptstadt Estlands. Estland ist seit 2004 EU-Mitglied, hat 1,3 Millionen Einwohner und gilt als Vorreiter bei der Digitalisierung von Dienstleistungen und Wirtschaft in der EU.

Das Interview führte Bernd Riegert.