Essebsi: Flüchtlingsabkommen "kommt nicht in Frage"
31. Oktober 2018An der Initiative "Compact with Africa" in Berlin nahm auch der tunesische Staatspräsident Beji Caid Essebsi teil. Am Rand der Veranstaltung sprach er mit der Deutschen Welle.
Deutsche Welle: Herr Präsident, der Terror hat erneut im Herzen der tunesischen Hauptstadt Tunis zugeschlagen. Sie haben den Terror verurteilt und ihn auf das schlechte politische Klima in Tunesien zurückgeführt und darauf, dass manche Politiker sich nur um ihren Machterhalt kümmern. Ihre Äußerungen wurden unterschiedlich aufgefasst. Wie lautet Ihre Botschaft an die Bürger Tunesiens?
Beji Caid Essebsi: Die Bürger meines Landes sind vor allem daran interessiert, die Wahrheit zu erfahren. Ich bin der erste direkt vom Volk gewählte Präsident Tunesiens. Insofern stehe ich in einem direkten Verhältnis zu den Bürgern. Ich kann ihnen nichts vormachen in Bezug auf die Situation, in der sie leben.
Aber wir sollten nicht zu sehr interpretieren. Die Bürger können die Dinge am besten beurteilen. Wir überlassen es zu oft der Presse, die Dinge zu erklären. In Tunesien gibt es mehr politische Analysten als Politiker. Und jeder hat seine eigenen Ansichten. Das ist in Tunesien nicht anders als anderswo. Jeder hat seine eigenen Analysen, so sind die Spielregeln.
Welche Botschaft haben Sie an die Tunesier? Geht es Tunesien gut?
Der Terror gehört nicht zu unserer Kultur. Deswegen fällt es uns auch schwer, ihn zu bekämpfen. Es ist ein Phänomen, das von außen kommt und uns dazu zwingt, unsere Prioritäten zu ändern. Wir stellen uns dem Terror mit aller Macht entgegen, und wir haben dabei schon viel erreicht.
Kein Land ist vor Terrorismus sicher. Er ist ein internationales Phänomen, und insofern bleibt auch Tunesien davon nicht völlig verschont.
Ein Thema, das unsere Zuschauer und die Welt sehr bewegt hat, war die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Unter anderem gab es darüber Streit zwischen dem tunesischen Außenministerium und der Ennahda, ob man sich in solche Angelegenheiten einmischen soll oder nicht. Was meinen Sie dazu? Es ist der Eindruck entstanden, dass die arabischen Staaten hier zurückhaltender sind als der Westen.
Da gibt es einen eindeutigen Standpunkt: Die Außenpolitik wird vom Staatspräsidenten vorgegeben. Alle anderen haben dazu eine Meinung, aber die offizielle tunesische Haltung ist die, die der Präsident verkündet beziehungsweise das Außenministerium, das die Position des Präsidenten wiedergibt. Unsere Haltung hierzu ist klar.
Und was ist Ihre Haltung zum Fall Khashoggi?
Wir verurteilen jedes Attentat, ob es in einem Konsulat geschieht oder sonst wo. Ganz besonders, wenn es um Journalisten geht, die eine wichtige Rolle spielen. Diese schreckliche Tat haben wir verurteilt und verurteilen sie noch immer, und wir verlangen, dass die Wahrheit aufgedeckt wird. Von Saudi-Arabien wünschen wir uns, dass es dazu beiträgt, der Öffentlichkeit die Hintergründe dieses Verbrechens offenzulegen.
Aber wir verurteilen nicht Saudi-Arabien in seiner Gesamtheit. Wir wünschen uns auch kein instabiles Saudi-Arabien, denn das würde Instabilität für die gesamte arabische Welt bedeuten. Das ist der Unterschied zwischen uns und anderen. Uns geht es um die Wahrheit, nicht um Verurteilung. Wir verurteilen solche Taten und verlangen die Aufdeckung der Wahrheit. Weiter gehen wir nicht.
Dann kommen wir jetzt zu Berlin. Man spricht hier viel über die politische Situation und die Sicherheitslage Ihres Landes. Sie nehmen heute am Afrika-Gipfel teil, und Tunesien ist für Europa und Deutschland ein wichtiges Land…
… Und für die Tunesier!
Ganz sicher. Aber immer wieder wird in Deutschland gefragt, wie sicher Tunesien als Herkunftsland ist, wenn es um die Rückführung von Flüchtlingen geht. In Nordafrika gilt Tunesien als sicheres Land. Was sagen Sie zu diesem Thema, das Deutsche und Tunesier gleichermaßen umtreibt?
Tunesien ist ein sicheres Land, das entspricht der Wahrheit. Es ist sehr viel sicherer als andere Länder. In Bezug auf die Flüchtlinge und das Problem, das sie unter anderem für Europa darstellen, ist zu sagen: Tunesien garantiert die Freiheit seiner Bürger, egal ob sie sich schlecht oder gut verhalten. Wenn sich Tunesier im Ausland falsch verhalten und man sie zurückschicken will, dann nimmt Tunesien sie auf. Andere Bürger aber nicht.
Da stellt sich die Frage, ob ein Abkommen wie das zwischen der EU und der Türkei auch für Tunesien in Frage käme. Auch die Frage von Investitionen wird teilweise damit verknüpft, ob Tunesien tut, was die Europäer wollen. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung von Aufnahmezentren in einem Land wie Ihrem.
Das kommt nicht in Frage.
Warum nicht?
Tunesien hat mehr Erfahrung mit Flüchtlingen als viele europäische Länder. Nach der Revolution in Libyen kamen 1,3 Millionen Flüchtlinge verschiedener Herkunft nach Tunesien. Glücklicherweise sind die meisten von ihnen mit unserer Hilfe in ihre Länder zurückgekehrt. Eine solche Erfahrung hat Europa nicht gemacht. Und wir haben nicht die Kapazitäten, solche Zentren einzurichten und die damit verbundenen Lasten an Stelle von Europa zu tragen. Hier muss jeder seine eigene Bürde tragen.
Eine letzte Frage in Bezug auf Ihren Berlin-Besuch: Alle Medien sprechen hier vom Rückzug der Bundeskanzlerin Merkel aus der Politik. Oft wird auch gefragt, wie arabische Staatschefs damit umgehen. Was meinen Sie persönlich? Wann sollte ein arabischer Herrscher sich aus der Politik zurückziehen?
Ich könnte mich genauso zurückziehen.
Wann?
Das kann ich nicht sagen. Es liegt in Gottes Hand.
Das Interview führte Dima Tarhini.