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Zentrum für Frauen mit Genitalverstümmelung

Naomi Conrad 12. September 2013

Millionen Mädchen weltweit werden jährlich verstümmelt. Die Folge: Inkontinenz und Schmerzen - bis hin zum Tod. Eine Klinik in Berlin will den Opfern von Genitalverstümmelung helfen, unterstützt vom Ex-Model Waris Dirie.

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Waris Dirie, somalische Bestsellerautorin ("Wüstenblume") und Aktivistin gegen Genitalverstümmelung (Foto: Stephanie Pilick/dpa)
Waris Dirie kam als Schirmherrin zur Eröffnung des Desert Flower Centers in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Die Äthiopierin Senait Demisse war sieben, vielleicht acht, als ihre Klitoris bei einer feierlichen Zeremonie weggeschnitten wurde, für die sich das ganze Dorf versammelt hatte. Zwei kleine Mädchen waren vor ihr dran. "Ich habe das gesehen und bin weggerannt." Aber sie sei wieder eingefangen worden, erzählt die junge Frau in ihrem Patientenzimmer im Berliner Krankenhaus Waldfriede. An das, was danach kam, kann sie sich nicht mehr erinnern - nicht an den Schmerz und auch nicht an das viele Blut: "Ich muss wohl ohnmächtig geworden sein, ich weiß es einfach nicht mehr!" Sie zuckt die Schultern.

Nach Berlin ist sie gekommen, "weil ich das wiederbekommen möchte, was man mir genommen hat. Ich möchte wieder ganz sein." Sie lächelt. Die 34-Jährige ist eine der ersten zwei Patientinnen, die sich am neugegründeten "Zentrum für Opfer von Genitalverstümmelungen" an der Berliner Klinik einer Operation unterziehen. Dabei wird die Klitoris rekonstruiert. "Das ist keine einfache Operation, weil die Verletzungen zum Teil sehr lange zurück liegen - und es zu starken Vernarbungen gekommen ist", erklärt der Chirurg Roland Scherer, der die Operationen durchführen wird, bei der Eröffnung des "Desert Flower Center" am Mittwoch (11.09.2013).

Senait Demisse, Patientin im Krankenhaus Waldfriede (Foto: DW/Naomi Conrad)
Senait Demisse: "Ich will wieder ganz werden"Bild: DW/N. Conrad

Unbeschnittene Frauen "unsauber"

Bei der Genitalverstümmelung - auch unter der englischen Abkürzung FGM (Female genital mutilation) bekannt -, die in weiten Teilen Afrikas und in geringerem Ausmaß auch in Asien und im Nahen Osten häufig praktiziert wird, werden Teile der Klitoris und oft auch die Schamlippen entfernt. Oft wird die Wunde so eng zusammengenäht, dass nur noch eine winzige Öffnung bleibt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind etwa 150 Millionen Frauen und Mädchen davon betroffen - viele der Opfer sind gerade einmal vier Jahre alt, wenn sie verstümmelt werden. Die Praxis ist in vielen Ländern verboten - in Deutschland wird sie mit bis zu 15 Jahren Gefängnisstrafe geahndet.

Trotzdem werden viele Mädchen weiterhin beschnitten. Die Gründe sind vielfältig: So werden unbeschnittene Frauen oft als "unsauber" angesehen. "In den Augen anderer Frauen ist eine 45-jährige unbeschnittene Frau jünger als eine 15-jährige, die schon beschnitten ist", erklärt Evelyn Brenda, die in Kenia gegen Genitalverstümmelungen kämpft. Sie selbst ist unbeschnitten - und dürfe deshalb in Kenia meist nur mit am Kinder-, nicht aber am Erwachsenentisch sitzen.

"Ein Verbrechen"

Es sei schwierig, die alten Traditionen zu ändern. "Man muss mit den Müttern arbeiten, die ein schreiendes Kind halten und sagen: Frau Brenda, ich habe meine Tochter genauso lieb wie jede andere Mutter!" Aber viele Mütter fürchteten, dass eine unbeschnittene Tochter ausgegrenzt werde und niemals einen Mann finden könnte. Solchen Frauen müsste klar gemacht werden, dass es um einen massiven Eingriff gehe, davon ist die Aktivistin überzeugt. Die gesundheitlichen und psychologischen Folgen der Verstümmelung sind tatsächlich gravierend: Inkontinenz, starke Schmerzen und Komplikationen beim Geschlechtsverkehr und bei Geburten, auch sexuelle Befriedigung ist in Folge der FGM meist unmöglich. "Genitalverstümmelung ist schlicht und einfach ein Verbrechen", so fasst es die UN-Sonderbotschafterin und Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie zusammen. "Die Frauen leiden. Sie leiden, wenn sie Kinder bekommen und wenn sie mit einem Mann schlafen."

Junges Mädchen bei einer Beschneidungs-Zeremonie (Foto: EPA/PIERRE HOLTZ)
Viele Mädchen werden mit Messern oder Scheren beschnitten - oft ohne BetäubungBild: picture alliance/dpa

Die gemeinnützige "Desert Flower Foundation" der Somalierin Waris Dirie, die durch ihren Roman "Wüstenblume" und ihren Einsatz gegen Genitalverstümmelung weltweit bekannt wurde, unterstützt das Zentrum finanziell und übernimmt die Behandlungskosten für Patientinnen, die keine Krankenversicherung haben. "Im Prinzip kann jede Frau weltweit kommen", so Roland Scherer. Der Arzt rechnet mit jährlich bis zu 100 Patientinnen, die sich der Operation unterziehen werden.

"So ein bisschen herumversucht"

Die Klinik sei durch ihr "ganzheitliches Behandlungskonzept" einzigartig, so Scherer. So stünden neben den Ärzten auch Seelsorger und Psychologen zur Verfügung. Einzigartig ist die rekonstruktive Operation dahingegen nicht: Immer mehr Ärzte, vor allem Gynäkologen, würden sich an ihr versuchen, erklärt Dan mon O'Dey, leitender Oberarzt an der Klinik für plastische Chirurgie in Aachen. Oft rufen ihn Kollegen an, um "mal eben übers Telefon" Anweisungen für die Rekonstruktion zu bekommen. Das beunruhigt ihn - und macht ihn wütend. "Sie glauben gar nicht, wie viele Frauen ich operiert habe, die im Vorfeld schon bei Ärzten waren, die so ein bisschen herumversucht haben. Das ist wirklich eine Schande für die Patientinnen!"

Hilfe für beschnittene Frauen

O'Dey selbst hat eine Methode entwickelt, bei der neben der Klitoris auch die äußeren Schamlippen rekonstruiert werden. Der deutsch-nigerianische Arzt ist überzeugt, dass seine Patientinnen damit ihr Selbstbewusstsein und ein Gefühl von "Normalität" zurückerlangen und, je nach Tiefe der Beschneidung, auch ihr Sexualempfinden. "Aber natürlich ist das immer nur eine Annäherung an die Normalität." Die Verstümmelung gänzlich auszulöschen sei nicht möglich - dazu sitze auch das Trauma der Beschneidung viel zu tief.

Letztlich bleibt also nur der Kampf gegen die Verstümmelung, davon ist auch Senait Demisse überzeugt. Nach der Operation möchte sie irgendwann zurück nach Äthiopien. "Ich möchte dort den Menschen beibringen, dass sie ihre Mädchen vor der Verstümmelung retten. Und ich werde den Kindern sagen: Wenn euch jemand beschneiden will, dann müsst ihr die Polizei rufen!" Sie lächelt. Ihre Mutter habe sie schon davon überzeugt, ihren fünf jüngeren Schwestern nicht das anzutun, was man ihr damals antat.