Erst die Bilder, dann die Moral
16. Dezember 2011Horst Faas hat in seinem Leben viele Krisenregionen bereist und war oft dabei, wenn es Weltereignisse zu fotografieren gab. Als Deutscher blieb der Pressefotograf dabei die seltene Ausnahme. Er war fast während des gesamten Vietnam-Krieges für die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) als Foto-Reporter und Bildchef in der Hauptstadt Saigon stationiert. Es wurde seine journalistisch wichtigste Zeit. "Wenn ich nicht nach Vietnam gegangen wäre, säße ich heute als kleiner Redakteur in Bremen oder sonstwo und hätte es nie zu etwas gebracht", sagt Faas heute. Um in den US-Medien etwas zu werden, war es wichtig, als Pressefotograf oder Korrespondent dort gewesen zu sein: "Vietnam war ein Sprung in der Karriere für viele."
1965 erhielt der in Berlin geborene Faas für seine Vietnam-Fotos den Pulitzer-Preis - als erster Deutscher überhaupt. Schon 1972 benannte ihn das Pulitzer-Preiskomitee erneut zum Preisträger, diesmal für seine Bilder aus Bangladesch vom Dezember 1971. 40 Jahre ist es nun her, dass Faas diese Aufnahmen einer Hinrichtung machte. Bis dahin hatte noch nie ein Fotograf diese Auszeichnung zwei Mal bekommen. In den USA ist Horst Faas fast so bekannt wie die Reporter- und Fotografenlegenden David Halberstam, Larry Burrows, Tim Page oder Henri Huet. In Deutschland kennen nur wenige den Namen des vielleicht international erfolgreichsten deutschen Pressefotografen.
Bis heute nur wenige deutsche Pulitzer-Preisträger
"Der erste Pulitzer-Preis war für mich eine Überraschung. Ich wusste gar nicht, was das ist, als mir AP-Chef Wes Gallagher dazu gratulierte", erinnert sich der 78-Jährige in seiner Münchner Wohnung. Claudia Stone Weissberg, Managerin für die Preisseite "pulitzer.org" an der Columbia Universität in New York, kann sich nur an ganz wenige deutsche Pulitzer-Preisträger insgesamt erinnern. Beispielsweise an den Forscher Bert Hölldobler, der für sein wissenschaftliches Buch "The Ants" 1991 ausgezeichnet wurde. Für ihre Bilder erhielten bisher die deutschen Fotojournalisten Karsten Thielker und Anja Niedringhaus 1995 beziehungsweise 2005 ebenfalls die begehrte Trophäe.
Mit seiner Frau Ursula lebt Faas heute in der Innenstadt von München. Seit April 2005 ist er vom sechsten Brustwirbel abwärts gelähmt. Als Fotograf war er in Vietnam mehrmals verletzt, doch richtig schlimm erwischt hat es ihn dort erst während der Feierlichkeiten zum 30jährigen Ende des Vietnam-Krieges. Faas hatte Rückschmerzen, die er zunächst ertrug. Doch sie wurden immer schlimmer, schließlich wurde Faas vom Veteranentreffen in Vietnam ins thailändische Bangkok ausgeflogen. In einer stundenlangen Operation entfernte ein Arzt einen Blutknoten im Rückenmark.
"Ich habe eigentlich alles erlebt"
Faas sitzt seitdem im Rollstuhl. Er erinnert sich: "Als der Arzt mir damals sagte, dass ich nie wieder laufen kann, dachte ich: 'Mit 72 Jahren habe ich eigentlich alles erlebt. Jetzt kommt eben etwas anderes.'" Selbst wenn er immer wieder tagelang liegen muss, erzählt er lebendig und detailgenau von seinen Erinnerungen als Fotoreporter.
Auch die Ereignisse in der Stadt Dhaka vom 18. Dezember 1971 sind ihm noch präsent. Faas flog damals für diesen Reportereinsatz von Vietnam aus in das neu gegründete Bangladesch.
Entsetzliche Fotos
Erst im März 1971 hatte das Land seine Unabhängigkeit von Pakistan erklärt und mit indischer Unterstützung gegen dessen Armee gekämpft. Am 16. Dezember kapitulierten die pakistanischen Truppen, Indien besetzte kurz darauf zusammen mit einheimischen Rebellengruppen die Hauptstadt Dhaka. Als ein Anführer der sogenannten Befreiungsarmee von Bangladesch zu einer Kundgebung rief, war auch Horst Faas für Associated Press dabei. Er machte Fotos von der anschließenden Hinrichtung, bei der vier Männer getötet wurden, die muslimische Frauen vergewaltigt haben sollen.
Einer der Rebellenanführer, "Tiger" Siddiki, habe "die ganze Mordgeschichte angestiftet", weiß Faas. "Als die öffentlichen Misshandlungen begannen, das Bajonettieren, da trat der vor wie bei einem Ballett und ließ sich ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett geben. Er stellte sich über einen der Gefangenen, hob die Waffe demonstrativ hoch und lehnte sich mehr als nötig zurück", erzählt der Fotograf. "Dann stieß er dem Mann in die Seite. Nicht in die Brust, er wollte den nicht sofort töten, sondern erst quälen." Die anderen Soldaten machten es ihrem Anführer nach, eine Menschenmenge schaute zu. Schließlich störten sie sich an den Fotografen und gingen auf sie los. Faas und sein AP-Kollege Michel Laurent brachten sich in Sicherheit. "So schnell bin ich noch nie gerannt", sagt der Fotograf.
Umstrittene Aufnahmen
Direkt danach warfen andere Journalisten Faas und Laurent vor, die Hinrichtung sei für die Presse inszeniert gewesen, es wäre unmoralisch, davon Bilder zu machen. AP veröffentlichte sie trotzdem und das Pulitzer-Komitee gab den beiden Fotografen vier Monate später für die Aufnahmen ihre höchste Auszeichnung.
Faas sei entsetzt gewesen, als er die Vorwürfe hörte. Er sagt aber auch: "Ich habe immer die Auffassung gehabt: 'Erst mache ich meine Bilder und dann reden wir über die Moral.'" Während seiner Arbeit als Fotochef für AP im damaligen Saigon stand der Deutsche immer wieder vor der Entscheidung, was veröffentlicht werden soll und was nicht. Er habe sich dabei auf seine Selbstzensur verlassen: "Selbstzensur aus Anstand - oder aus einer Art Instinkt heraus: was ist möglich und was nicht. Was ist zumutbar und was unzumutbar."
"Saigon Execution" und "Vietnam Napalm Girl"
So gab Faas auch zwei der bekanntesten Bilder des Vietnam-Krieges zur Veröffentlichung frei: "Saigon Execution" - die Hinrichtung eines Nordvietnamesen durch den Polizeichef von Saigon per Kopfschuss, die Eddie Adams fotografiert hat. Und "Vietnam Napalm Girl" - das Foto des nackten, von Napalm verbrannten vietnamesischen Mädchens Kim Phuc, das auf den Fotografen Nick Ut zuläuft. Es sei damals noch nicht selbstverständlich gewesen, Bilder von nackten Kindern zu veröffentlichen, sagt Faas. Doch er erkannte die Brisanz der Aufnahmen. Beide Fotografen erhielten dafür ebenfalls Pulitzer-Ppreise.
Den Blick dafür, was ein gutes Bild ausmacht, hat Faas im Archiv der englischen Fotoagentur Keystone gelernt, meint er. Kurz nach dem Krieg sortierte er als gerade 18-Jähriger wochenlang deren Bildarchiv in München. Mehr Ausbildung bekam er nicht. Danach war er mehrere Jahre Fotoreporter in der Hauptstadt Bonn, erst für Keystone, Ende 1955 wechselte Faas dann zu AP. Schließlich lockte die Ferne: Die AP-Zentrale in London suchte Freiwillige für den Einsatz im Bürgerkriegsland Kongo. Im Sommer 1960 reiste Faas ab, "ohne Rückfahrschein", wie er sagt. Faas machte eines der letzten Fotos des damaligen kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba, bevor der ermordet wurde.
Eine gute Entscheidung
"Der Kongo bedeutete vor allem Mord und Totschlag, Hungersnot und totales Durcheinander. Das Land hat sich bis heute nicht davon erholt." Eineinhalb Jahre war Faas in dem afrikanischen Land unterwegs - für ihn war es eine gute Entscheidung: "Ich war einer der ganz wenigen deutschen Fotografen bei AP, weil ich den Finger für den Kongo gehoben habe", sagt Faas heute. Dort lernte er unter anderem auch die Journalisten David Halberstam und Larry Burrows kennen, die er später in Vietnam wieder traf und die zu Starreportern wurden. Seine Lust am Reisen, aber auch das Abenteuer zogen ihn immer wieder in damalige Krisengebiete: Algerien, Laos, Angola, Nahost, Indonesien. "Mich reizte die Freiheit, die Ungebundenheit", sagt er.
Faas hat vieles durch seine Kameralinse gesehen: Das Attentat auf die israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele in München 1972. Das Treffen zwischen dem ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat und US-Präsident Richard Nixon während der Friedensgespräche in Gizeh. Den Boxkampf "Rumble in the Jungle" zwischen Muhammed Ali und George Foreman 1974 im damaligen Zaire. Papst Johannes Paul II. im Konzentrationslager Auschwitz 1979. Der 78-jährige Faas erzählt präzise davon, die Begeisterung für seine damalige Arbeit ist bis heute spürbar.
40 Jahre bei Associated Press
Trotzdem gab er sein Leben als rasender Fotoreporter auf. 1976 zog Faas nach London und übernahm Ende der 1970er Jahre die Leitung der AP-Bildredaktion für Europa, Nahost, Afrika und Australien. Nun wurde organisiert, nicht fotografiert. "Hätte ich damals gesagt, 'ich möchte lieber Fotos machen', wäre ich vielleicht glücklicher gewesen und hätte noch einen Pulitzer-Preis bekommen. Oder wäre jetzt tot, wer weiß es", sagt er über seine Entscheidung. Bereuen würde er sie nicht. Nun konnte er in London leben, denn sein Traum von New York blieb ihm verwehrt. Dort gab es bereits einen Bildchef. Bis 2004 blieb der Deutsche bei AP - 48 Jahre.
Faas und seine Frau sind nach München gezogen, weil London eine unfreundliche Stadt für einen behinderten Menschen sein könne. Seit seiner lebensrettenden Operation in Bangkok 2005 verbringt Faas viele Wochen pro Jahr im Krankenhaus. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, aber er sagt: "Die Sorge, dass die Lähmung weitergeht, ist immer da, auch wenn es nicht wahrscheinlich ist." Faas weiß, dass er in seinem Leben bisher oft Glück gehabt hat. Michel Laurent, mit dem er vor 40 Jahren die Fotos in Dhaka machte, war 1975 der letzte westliche Journalist, der im Vietnam-Krieg getötet wurde.
Autorin: Klaudia Prevezanos
Redaktion: Andrea Grunau