Tobias Schröder, Landwirt
20. September 2015Morgenkühle. Tautropfen hängen in den Grasrändern und Ähren, der Nebel hat den Sonnenstrahlen noch nicht Platz gemacht. Das Dorf rund um den Agrarhof Veelböken ist noch nicht wach. Um sieben Uhr früh treten alle Landarbeiter zur Morgenbesprechung auf dem Hof an. Tobias Schröder steht neben dem Chef der Genossenschaft, der kurz und knapp angibt, was als erstes ansteht. Das wird in Zukunft auch mal die Aufgabe von Tobias sein, alle für den Tag einzunorden. Der Mähdrescher bleibt heute erstmal stehen. Tobias setzt noch schnell den Trecker um, die Strohernte muss dringend eingefahren werden, damit die Felder wieder neu eingesät werden können.
Wir fahren rüber in das Nachbardorf zur Milchwirtschaft, wo die gerollten Strohballen eingelagert werden. "Melken muss ich nicht", sagt Tobias mit einem Lachen beim Rundgang durch den Kuhstall. "Sonst müsste ich schon um vier Uhr morgens auf dem Hof sein." Aber das gehört nicht zu seinen Aufgaben. Über 700 schwarzbunte Kühe stehen hier im Stall: ausgewachsene Milchkühe, junge Färsen – so heißen die Milchkühe, die noch keine Kälber haben – von den Kälbern nur die weiblichen. Die kleinen Bullen geben sie ab. "Die kommen gleich weg", sagt Tobias beiläufig. Für sentimentale Tierliebe ist in so einem großen landwirtschaftlichen Betrieb kein Platz. Mehr als 2000 Hektar haben sie zu bewirtschaften. Das Futter für eine gewinnorientierte Viehzucht produziert die Genossenschaft selber.
Modernes Agrarmanagement
Landwirt Klaus-Dieter Meißner, Pflanzenproduktionsleiter und Chef von Tobias, macht sich Sorgen über die extrem niedrigen Milchpreise. Kostendeckend könne hier in der Region bald keiner mehr produzieren, schimpft er, während wir zum Strohlager rübergehen. Tobias sagt nichts dazu. Man sieht ihm an, dass er sich seinen Teil denkt. Als angehender Agrarmanager ist das für ihn eher eine Herausforderung: wie produziert man kostengünstig und gewinnbringend, trotz fallender Absatzpreise und Ernteeinbußen?
Tobias sieht die Milchproblematik gelassener, schließlich lernt er das an der Uni: Kostenanalyse, BWL, Statistik. Mit der Arbeit eines Bauern hat das nicht mehr viel zu tun, was hier in der Genossenschaft an Management-Aufgaben auf ihn wartet. Das weiß er. "Früher in der DDR wurde das Stützpunkt oder Kombinat genannt. Hier steht die gesamte Technik, die Maschinen, alles wohl Millionen wert", erklärt mir der junge Landwirt. Der Umgang damit muss natürlich gelernt werden. Für ihn, der mit Landwirtschaft und Trecker groß geworden ist, kein Problem. "Das ist natürlich ein Vertrauensbeweis vom Chef. Ich seh das so. Das ist auch eine Ehre, wenn ich Mähdrescher fahre. Kann nicht jeder, darf nicht jeder", sagt er selbstbewusst.
Noch ist Tobias Werkstudent. Aber er wird hier mal Chef, soviel steht fest - wenn er mit dem Studium fertig ist. Der Vorstand der Genossenschaft hat die Chefnachfolge frühzeitig geregelt, für beide Seiten beruhigende Zukunftsaussichten. Eine Lehre zum Landwirt hat der 25-Jährige schon hinter sich. Er kennt die Arbeit auf dem Hof der EG, der eingetragenen Genossenschaft, wie die landwirtschaftlichen LPG-Nachfolgebetriebe hier in Mecklenburg jetzt heißen, von Kind an. Vater, Großvater, beide waren hier schon zu DDR-Zeiten Landwirte. Auf dem Seitenbock vom Trecker mitfahren, war für Tobias schon immer das Größte. Die Wendezeit 1990, vor allem für seinen Vater ein harter Einschnitt, kennt er nur vom Erzählen. "Für mich steht der Begriff Wende einfach für den Systemwechsel: Sozialismus raus, Kapitalismus rein", konstatiert er trocken. "Aber das war schon gut, dass die Wende stattgefunden hat."
Das Wetter bestimmt alles
Auf dem Rückweg zum Agrarhof der Genossenschaft in Veelböken fahren wir kurz am Erntelager vorbei. Eine riesige Halle, viel Platz für Berge von Weizen, Gerste und Raps. "5000 Tonnen Backweizen passen hier rein", sagt Tobias, der auch im Vorstand des Landjugendverbandes ist. Eine riesige Turbine föhnt draußen die letzten Fuhren Rapsernte trocken. Tobias prüft mit der Hand die Qualität der ölhaltigen schwarzen Körner. Reifegrad ist gut, Geruch so wie er sein soll, erklärt er. Daraus wird Rapsöl gewonnen. "Nur essen sollte man lieber nicht soviel davon", lacht er. "Das gibt schon mal flotten Durchmarsch."
Kurz nach 10 Uhr sind wir zurück in der Genossenschaft, das wird ein langer Tag für Tobias. Privatleben gibt’s für ihn kaum in der Erntezeit, auch an den Wochenenden müssen alle ran. Da muss der langgeplante Ausflug mit der Freundin und ihrer vierjährigen Tochter schon mal ausfallen für ihn. Ernte geht vor. Aber zum Glück ist seine junge Frau auch vom Land und versteht das. "Jede Stunde, die wir hier nicht dreschen oder Stroh einfahren können ist bares Geld", konstatiert Tobias, ganz zukünftiger Agrar-Manager. Sein prüfender Blick geht zum Himmel, er muss gleich aufs Feld raus.
Alles bereit für die Ernte
Mittagszeit. Der Himmel ist wolkenverhangen, ab und zu fallen vereinzelt Regentropfen. Kein richtig schlechtes Wetter, aber zu feucht für die anstehende Rapsernte. Auf dem Agrarhof in Veelböken stehen alle in den Startlöchern. Hier in Nordwestmecklenburg, kurz vor der Ostseeküste, wechselt das Wetter schnell. Tobias beratschlagt auf dem Hof der Genossenschaft mit seinem Chef, ob die Mähdrescher doch rausfahren sollen. Sie entscheiden sich dafür. Wir fahren mit dem PKW raus zum Rapsfeld. Tobias hat einen kleinen Koffer mit Messgeräten dabei, damit kann er die Feuchtigkeit in den Rapsschoten bestimmen, die zur Ernte anstehen. Sowas lernt er im Studium an der Hochschule in Neu-Brandenburg. Forschungsmethoden aus der Agrarwissenschaft seien in einem landwirtschaftlichen Großbetrieb extrem hilfreich, sagt er.
Die Rapsprobe zeigt erstaunliche Werte: Die Feuchte ist unter 8 Prozent, optimal zum Dreschen. Damit hat keiner gerechnet. Die Ernte kann also losgehen. "Nix wie ran", scherzt Tobias, der sich gleich auf den Mähdrescher schwingen wird. Auch wenn er noch als Werkstudent arbeitet, fährt er schon seit über einem Jahr den Mähdrescher der Genossenschaft, die Königsklasse für alle jungen Leute. Es ist ein Monstergerät. Oben in der Fahrerkabine, knapp zwei Meter über der Straße, sieht die Welt ganz überschaubar aus. Das riesige Fahrzeug nimmt fast die gesamte Straßenbreite ein. Da ist kein Platz mehr für Autos und Mopedfahrer, nicht gerade wenig Verantwortung für den Fahrer.
Als wir das riesige Rapsfeld erreichen, überprüft Tobias nochmal die Schneidwerkzeuge vorn am Drescher. Jeder Stock, jeder Stein kann alles lahmlegen, das kann teuer werden. Er stimmt sich noch mit dem Fahrer des zweiten Mähdreschers ab, der hier als Erntemaschine ausprobiert werden soll, und los geht's.
Das Rapsfeld ist riesig. 130 Hektar misst der größte Acker der Genossenschaft. Wir brauchen für eine Runde außen rum knapp eine Stunde. Zwischendurch bläst der Mähdrescher die gedroschenen schwarzen Rapskörner in den bereitgestellten LKW. Tobias steuert den Bordcomputer im lärmigen Cockpit oben mit einer Hand, eingespielte Ernteroutine für ihn. Nach zwei Stunden Drescharbeit fährt er Richtung Feldrand, wo die Kollegen und sein Chef schon Pause machen. Inzwischen hat leichter Nieselregen eingesetzt, die Schneidwerkzeuge setzen sich dauernd mit nassem Rapsgestrüpp zu. Wohltuende Stille breitet sich aus, als Tobias den Motor abstellt. "Das wird nix mehr mit dem Dreschen für heute", sagt er mit Blick zum bleigrauen Himmel, als er aus der Fahrerkabine klettert.
"Glauben Sie, dass es dieses Jahr eine gute Ernte gibt?" Auf meine Frage kommt eine karge Antwort. "Ich bin ohne Glauben aufgezogen worden. Glauben muss man schon an sich selbst und das, was man kann", sagt er. "Bin nicht umsonst Landwirt geworden. Den Rest entscheidet das Wetter", fügt er uneingeschränkt hinzu. Beneidenswert bodenständig klingt das. Heimatverwurzelt in diesem norddeutschen Landstrich. Wie die windumtosten Eichenallen, die hier im Norden von Mecklenburg die schmalen Landstraßen säumen.