Eritreer in Äthiopien weiterhin Flüchtlinge
Der Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea und die Grenzöffnung - wenn auch aktuell unter strengen Kontrollen - haben in beiden Ländern Hoffnung geschürt. Doch Jahrzehnte der Abschottung hinterlassen Spuren.
"Asmara! Asmara! Asmara!"
Das rufen seit Neuestem die Jungen in den Minibussen, die Passagiere in den Städten der äthiopischen Tigray-Region einsammeln und in die nahe gelegene eritreische Hauptstadt Asmara bringen. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Äthiopien und Eritrea bedeutet, dass Menschen eine der ehemals gefährlichsten Grenzen der Welt überschreiten können - theoretisch ganz ohne Pass oder Genehmigung.
Endlich gehen, wohin man will?
Nicht alle Eritreer wollen weiter als Flüchtlinge in Äthiopien leben. Viele machen sich daher über den eritreischen Grenzkontrollpunkt ins Heimatland auf - manche zum ersten Mal. "Mein Onkel wird bei Verwandten in Asmara leben, ich selbst möchte nach Äthiopien zurückkehren", sagt Senait, die in der äthiopischen Hauptstadt lebt und ihre eritreische Familie jahrelang nicht besuchen konnte.
Nur zu Besuch
Zahllose Eritreer haben sich wiederum in den breiten, von Palmen gesäumten Alleen von Mekelle mit ihren Familien wiedervereinigt und genießen das pulsierende soziale Leben in Äthiopiens Tigray-Region. Viele Eritreer und das Volk der Tigray teilen seit Jahrhunderten die gleiche Sprache, Religion, sowie kulturelle und soziale Traditionen, lange bevor Eritrea 1993 von Äthiopien unabhängig wurde.
Gleiche Wurzeln und Sitten
Die unverwechselbaren Frisuren und Kleider tigrayanischer und eritreischer Frauen machen es schwer, die beiden Nationalitäten auf den Straßen zu unterscheiden. Die meisten Tigrayaner haben eritreische Verwandte und umgekehrt. Die 35-jährige Huey Berhe in Mekelle sagt: "Wir sind das gleiche Volk; ich habe viele Freunde, deren Familien durch den Krieg getrennt waren."
Frieden und Wohlstand?
"Das Geschäft läuft ziemlich gut", sagt Tesfaye, der am Wochenende zusätzliches Geld verdient, indem er äthiopische Birr und eritreische Nakfa von Reisenden tauscht. "Das ist ein gutes Geschäft, solange die Banken noch kein Geld wechseln." Mit der Grenzöffnung können Waren in beide Richtungen fließen. Nach einer anfänglichen Euphorie wurden Eritreas Kontrollen nun jedoch wieder stark verschärft.
Mit dem Auto nach Mekelle
Autos mit eritreischen Kennzeichen haben Mekelle und die Grenzregion Tigray in Massen erobert. Und wieder kommen viele als Flüchtlinge ins Land. "Wir haben hier viele Eritreer, die geblieben sind", sagt Ruta, dem das Lalibela-Hotel im Zentrum von Mekelle gehört. In Mekelle suchen Eritreer nach Arbeit, weswegen es auch einen Anstieg von Zimmervermietungen gab.
Der Flüchtlingsstatus gilt weiter
"Äthiopien ist Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention, sodass es vorerst keine Änderung ihres Flüchtlingsstatus gibt", sagt Tekie Gebreyesas vom äthiopischen Amt für Flüchtlings- und Rückkehrerangelegenheiten, bekannt als ARRA, wo ständig neue Anträge eingehen. "Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben sich verbessert, aber die Situation in Eritrea ist immer noch die gleiche."
Aller Augen auf dem Mann der Reformen
Restaurantgäste beobachten Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed, der alle schockierte, als er Eritrea den Frieden anbot. Doch die Flüchtlinge hätten es nicht leicht, sagt Milena Belloni, die die Situation der Eritreer im Land untersucht. "Flüchtlinge werden immer als Opfer dargestellt. Das passt nicht zusammen mit der Realität, dass sie mit Kompetenzen, mit Träumen und Sehnsüchten kommen."
Flüchtlinge und Frieden - kein Widerspruch
Schülerinnen laufen am regionalen Büro des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR vorbei. Ein UNHCR-Mitarbeiter betont, dass weltweit fast alle Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, Frieden mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge wahren. Daher sei es nichts Ungewöhnliches, dass sich Äthiopien und Eritrea versöhnten, während der Flüchtlingsstrom anhalte.
Aufschwung für beide Länder
Mekelle wächst weiter. Sollte die Grenze zukünftig dauerhaft und bedingungslos geöffnet bleiben, wird das die Wirtschaft hier und im nur 300 Kilometer entfernten Asmara gleichermaßen ankurbeln. "Ich glaube nicht, dass es für die eritreische Regierung einen Weg zurück gibt", sagt Teberhe, eine Unternehmerin in Mekelle. "Die Eritreer bekommen die Freiheit zu spüren - der Geist ist aus der Flasche."