Erfolgsstrategie verzweifelt gesucht
10. Februar 2019Sie will ein Ausrufezeichen setzen und damit einen Befreiungsschlag für die Sozialdemokraten, aber auch für sich selbst einleiten: Ab Sonntag wird die angeschlagene SPD-Chefin Andrea Nahles mit ihrem Parteivorstand das Konzept "Sozialstaat 2025" diskutieren und beschließen. Eine Reform, in der die SPD ihre neue, linke Politik bündeln will. Mit der sie den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft organisieren und sichern will. Im Fokus hat die Partei vor allem die Bedürftigen. Bei denen das Geld nicht reicht, um mithalten zu können: Geringverdiener, Rentner, Arbeitslose.
17 Seiten umfasst das Konzept, das den Staat einige Milliarden Euro kosten würde. So wird unter anderem gefordert, den Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde zu erhöhen und für Kinder eine eigene Grundsicherung einzuführen. Unternehmen, die sich an Tarifverträge halten, sollen steuerlich begünstigt werden. Das Arbeitslosengeld soll wieder länger gezahlt werden und wer auch nach drei Jahren noch keinen neuen Job hat, müsste in Zukunft nicht unbedingt sein Vermögen aufbrauchen und in eine kleinere Wohnung ziehen, um weiter finanziell vom Staat gestützt zu werden. Wo bisher Sanktionen drohen, sollen künftig Bonussysteme, Anreize und Ermutigungen gelten.
Weg mit Hartz IV
Mit ihrem Sozialstaatskonzept will sich die SPD von ihrer "Agenda 2010" verabschieden. Jener Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreform, die 2003 vom damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt wurde und die bis heute umstritten ist. Die einen sind der Meinung, dass der seit Jahren anhaltende Wirtschaftsaufschwung ohne die Agenda nicht möglich gewesen wäre. Die anderen, und dazu zählen inzwischen die meisten SPD-Genossen, machen die Agenda hingegen maßgeblich für den Niedergang der Sozialdemokratie verantwortlich. Vor allem ihren Kern, die "Hartz IV" genannte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose, die mit strengen Auflagen verbunden ist.
Zwischen 14 und 15 Prozent auf Bundesebene - wie in Beton gegossen verharrt der Umfragewert der SPD seit Monaten auf einem historischen Tiefstand. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo im Herbst Landtagswahlen anstehen, liegen die Werte bei zehn, zwölf und 21 Prozent. In Brandenburg ist die SPD Regierungspartei und erzielte bei der letzten Wahl noch knapp 32 Prozent. Die Umfragen für die Europawahl im Mai sagen für die SPD derzeit 15 Prozent voraus. Das wäre eine Halbierung im Vergleich zu 2014.
Nichts funktioniert
Egal, was die Genossen bisher unternommen haben, um wieder mehr Bürger für ihre Partei zu begeistern: Nichts hat die Umfrageergebnisse steigen lassen. Dabei zielen die meisten Gesetze, die von der Bundesregierung seit dem Sommer 2018 auf den Weg gebracht worden sind, auf mehr sozialen Ausgleich in der Gesellschaft und tragen damit eine eindeutig sozialdemokratische Handschrift.
Etikettiert sind sie zudem so, dass auch wirklich jeder Bürger versteht, dass damit etwas Positives bewirkt werden soll: Das "Starke-Familien-Gesetz", das "Gute-Kita-Gesetz" und die "Mietpreisbremse" beispielsweise. Aktuell drängt die SPD auf eine "Respekt-Rente" für alle, die mehr als 35 Jahre gearbeitet haben, von ihrer Altersversorgung aber nicht leben können.
Kein Applaus, nirgends
Die Sozialdemokraten wollen wieder näher an die Bürger heran. Sie wollen staatliches Handeln erklären, vor allem aber Politik machen, die Menschen verstehen. Eine einfachere Sprache soll dabei helfen und mehr Optimismus und Aufbruch. "Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Köpfe", heißt es in einer 107-seitigen Analyse der SPD zu den Fehlern im Bundestagswahlkampf 2017.
Viel ist seitdem über die Erneuerung der SPD diskutiert worden. Mit dem Konzept "Sozialstaat 2025" sollen nun Taten folgen. Mit einer deutlich linkeren Politik will sich die SPD zudem von CDU und CSU abgrenzen. Damit sind allerdings Konflikte in der großen Koalition vorprogrammiert. Denn der Union wird kaum daran gelegen sein, das Sozialstaatskonzept der SPD mit umzusetzen.
Wie lange hält die GroKo noch?
Zumal CDU und CSU eigene politische Pläne haben, die Geld kosten werden. Unter anderem wollen sie den Solidarzuschlag abschaffen, also die Steuerzahlungen absenken. Angesichts der zukünftigen Haushaltslage, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit den Worten umschreibt, "die fetten Jahre" seien vorbei, engen sich die finanziellen Spielräume für die Koalition absehbar ein.
Doch SPD-Chefin Andrea Nahles weiß, dass vom Erfolg des Sozialstaatskonzepts auch ihr eigenes politisches Schicksal abhängt. Es rumort in der Partei, die Unzufriedenheit mit Nahles ist hoch. Der Wind wird immer rauer, der ihr insbesondere aus den eigenen Reihen ins Gesicht bläst. Nahles wird persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die Umfragewerte nicht aus dem Keller kommen.
Breitseite vom Parteifreund
Die bislang härteste Attacke musste die SPD-Vorsitzende Anfang Februar wegstecken, als Alt-Kanzler Gerhard Schröder ihr "Amateurfehler" attestierte. In einem Zeitungsinterview sprach er ihr zudem ab, Kanzlerin werden zu können. Unabdingbare Voraussetzung für eine Kanzlerkandidatur und eine mögliche Kanzlerschaft sei wirtschaftlicher Sachverstand. Auf die Frage, ob Nahles den besitze, antwortete Schröder: "Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten."
Ist das die Rache für Nahles Plan, mit Hartz IV und der Agenda 2010 nun endgültig zu brechen? Beistand bekommt Schröder pünktlich zur SPD-Vorstandsklausur vom früheren SPD-Chef und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Nicht nur sei die Agenda rückblickend notwendig gewesen. Die SPD dürfe sich außerdem nicht auf soziale Themen reduzieren lassen, sondern müsse auch den wirtschaftlichen Wohlstand des Landes im Blick behalten. "Nur Milliarden in Sozialprogramme zu packen, wird Menschen nicht bewegen, uns zu wählen."