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Erdogan in Athen: Beginn einer neuen Ära?

Jannis Papadimitriou | Burak Ünveren
7. Dezember 2023

Am Donnerstag wird der türkische Präsident Erdogan zu einem Arbeitsbesuch in Athen erwartet. Griechenland und die Türkei wollen sich um eine "positive Agenda" und eine Annährung bemühen. Kann das gelingen?

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Zwei Männer in Anzug (Mitsotakis und Erdogan) geben sich die Hände, im Hintergrund die griechische und die türkische Flagge
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis (li.) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, hier bei einem Treffen während des NATO-Gipfels in Vilnius am 12.07.2023Bild: Murat Cetinmuhurdar/Turkish Presidential Press Office/REUTERS

Der erste Versuch ging daneben. 2017 war Recep Tayyip Erdogan der erste Präsident der Türkei seit mehr als 60 Jahren, der Griechenland einen offiziellen Besuch abstattete. Wer damals auf eine historische Annäherung hoffte, wurde jedoch enttäuscht. Gleich zum Auftakt kam es beim Gespräch mit dem griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos zu gegenseitigen Belehrungen über die Meeresgrenzen in der Ägäis. Wie erwartet, lehnten die Griechen zudem Erdogans Wunsch ab, türkische Offiziere auszuliefern, die nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 ins Nachbarland geflohen waren. Es folgten sechs Jahre politischer Eiszeit zwischen Athen und Ankara.

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Nun also ein neuer Anlauf. Am Donnerstag (07.12.2023) will der türkische Präsident Griechenland besuchen und dabei nach eigenen Angaben eine "neue Ära" in den bilateralen Beziehungen einläuten. Erstmals nach sieben Jahren trifft auch der griechisch-türkische Kooperationsrat unter Vorsitz von Recep Tayyip Erdogan und dem griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis zusammen. Laut Medienberichten soll sich Erdogan allerdings nicht länger als sechs Stunden in Athen aufhalten. Wie wahrscheinlich ist ein positiver Ausgang der Gespräche?

Wer zeigt Kompromissbereitschaft?

"Es kommt darauf an, wie man 'positiv' definiert" sagt Konstantinos Filis, Forschungsdirektor am Athener Institut für Internationale Beziehungen, der DW. Es gehe vor allem darum, eine positive Agenda auf den Weg zu bringen, Misstrauen abzubauen und ein gutes Arbeitsverhältnis zwischen Erdogan und Mitsotakis herzustellen. Im Gespräch sei eine engere Kooperation im Bereich Wirtschaft, Energie und Tourismus, aber auch in der Flüchtlingspolitik. Das griechische Staatsfernsehen ERT berichtet von insgesamt 20 bilateralen Abkommen, die am Donnerstag in Athen verkündet oder unterzeichnet würden.

Zwei Männer in Anzug (Mitsotakis und Erdogan) stehen in einem Zimmer und schauen aus dem Fenster
Trotz Eiszeit gelegentliche Treffen: Griechenland Premier Kyriakos Mitsotakis (li.) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul am 13.02.2023Bild: Murat Cetin/Turkish Presidential Press Service/AFP

Dass Griechenland und die Türkei darüber hinaus wichtige Streitpunkte und Divergenzen überwinden, könne man von Erdogans Besuch nicht erwarten, meint Filis. Denn: "Die Türkei stellt weiterhin einseitige Forderungen und Territorialansprüche, die rechtlich keinen Bestand haben und auch nicht ernsthaft zur Debatte stehen können", so der Politikwissenschaftler.

Eine andere Auffassung vertritt Fuat Aksu, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Yildiz in Istanbul. Er sieht die griechische Seite in der Pflicht: "Griechenland erwartet, dass die Türkei immer Forderungen erfüllt und Zugeständnisse macht. Sollte es beim anstehenden Besuch dabei bleiben, dann ist eine richtige Versöhnung eher schwierig", mahnt der Analyst.

In Anspielung auf den Kalten Krieg spricht Aksu von einem "Kalten Frieden" in der Ägäis. "In der Türkei wird Griechenland weiterhin als nicht vertrauenswürdig angesehen", konstatiert er. 

Visa-Liberalisierung als Vorbild für die EU

Große Erwartungen sind vermutlich fehl am Platz. Eine Politik der kleinen Schritte soll es richten. Beispiel Migration: Laut UN-Flüchtlingswerk sind in den ersten acht Monaten dieses Jahres 25.500 Migranten über die Türkei nach Griechenland gekommen, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Nach Informationen der Athener Zeitung Kathimerini stehen die beiden NATO-Partner kurz vor einer Vereinbarung über strengere Kontrollen in der Ägäis.

Schlauchboote auf dem Meer, im Vordergrund die Silhouette eines Mannes, im Hintergrund ein Kriegsschiff
Migranten in einem Schlauchboot vor der Küste der griechischen Insel Lesbos am 29.02.2020Bild: Marios Lolos/Xinhua/IMAGO

Zudem sollen sich Griechenland und die Türkei angeblich bereits darüber einig sein, dass türkische Staatsbürger unter erleichterten Bedingungen ein Visum für die Inseln der östlichen Ägäis bekommen - und zwar erstmals für ein ganzes Jahr. Keine Visafreiheit, aber immerhin eine Visaerleichterung. Das verlangt Erdogan auch von der EU und stößt damit allzu oft auf taube Ohren. Ob ihm ausgerechnet die Griechen nun entgegenkommen?

Gut möglich, glaubt Politikwissenschaftler Konstantinos Filis. "Eine Vereinbarung zur Visaerleichterung wäre wichtig für beide Länder und nicht zuletzt auch für den Tourismus in Hellas", sagt der Analyst. "Vermutlich könnte Erdogan den Deal im eigenen Land als einen ersten Erfolgsschritt bei den Verhandlungen mit der EU über die lang ersehnte Visa-Liberalisierung verkaufen", fügt er hinzu.

Versöhnung ohne Wahlstress

Im Gespräch mit der DW weist Fatih Ceylan, Botschafter im Ruhestand und Leiter des Think Tanks Ankara Policy Center (APC), auf den günstigen Zeitpunkt hin: Sowohl Griechenland als auch die Türkei haben wichtige Wahlen hinter sich. Deshalb sei es mittlerweile für beide Seiten leichter, sich zu versöhnen, sagt der Ex-Diplomat. Diesen Prozess findet er durchaus erfreulich. Dennoch: "Die Probleme, die seit langer Zeit existieren, bleiben ungelöst", gibt er zu bedenken.

Mann mit Sonnenbrille und Base Cap (Erdogan), von hinten fotografiert, schaut sich Kampfjets am Himmel an
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beobachtet Kampfflugzeuge während eines Militärmanövers in der Ägäis am 09.06.2023Bild: Turkish Presidency via AP/picture alliance

Immerhin könnte die Annäherung der einstigen Erzfeinde eine Botschaft zur Stärkung der Stabilität in einer unruhigen Region senden. Fatih Ceylan erklärt, der Westen sei derzeit beschäftigt mit dem Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten und könne sich deshalb keinen neuen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei leisten. "Aus diesem Grund versucht man, die Beziehungen zwischen Athen und Ankara bis zu einem gewissen Grad zu verbessern", glaubt Ceylan.

Für den Politikwissenschaftler Konstantinos Filis ist es allerdings fraglich, ob und inwiefern der Westen noch ein Wort mitzureden hat. "Die Türkei hat sich unter Erdogan immer weiter vom Westen entfernt und sieht sich heute als Regionalmacht, die eigenständig handelt", sagt der Athener Analyst.

Mitarbeit: Gülsen Solaker

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.