Entführtes Mädchen war acht Jahre in Verlies eingesperrt
24. August 2006Es war einer der spektakulärsten Fälle der österreichischen Kriminalgeschichte, der jetzt völlig überraschend aufgeklärt wurde: Acht Jahre nach der Entführung der kleinen Natascha Kampusch tauchte die inzwischen 18-Jährige wieder auf, wie die Polizei in Wien mitteilte. Am Mittwochnachmittag (24.8.2006) habe sich eine junge Frau gemeldet, die behauptet habe, sie sei Natascha Kampusch. Der 44-jährige Entführer des Mädchens stürzte sich neun Stunden nach der Flucht seines Opfers am Mittwochabend im Norden Wiens vor einen Zug.
Psychologisch betreut
Wie die Polizei nach ersten Befragungen der jungen Frau und Untersuchungen des Verstecks bekannt gab, hatte der Kidnapper Natascha Kampusch in dem drei mal vier Meter großen Loch in einer "Verliesartigen Garage" verborgen gehalten. Die junge Frau habe sehr blass gewirkt, sei aber augenscheinlich bei guter Gesundheit. Kampusch verbrachte ihre erste Nacht in Freiheit nach Angaben der Polizei "an einem sicheren Ort" in der Obhut von Psychologen. Auch ihre Eltern, die ihre Tochter am Mittwoch identifizierten, werden psychologisch betreut.
"Der Fall Natascha Kampusch, die vor acht Jahren verschwunden ist, könnte glücklich zu Ende gegangen sein", sagte der Leiter des Bundeskriminalamtes, Herwig Haidinger am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz. Die junge Frau habe angegeben, aus dem Keller im niederösterreichischen Strasshof geflohen zu sein. Endgültige Sicherheit über ihre Identität solle jedoch ein DNA-Test geben.
Intensive Fahndung
Die Polizei fahndete am Abend intensiv nach dem mutmaßlichen Entführer. Er wurde zunächst in der Umgebung eines Wiener Einkaufszentrums oder im Gebäude selbst vermutet, in dessen Tiefgarage sein Auto geparkt war. Agentur-Berichten zufolge warf sich der Mann gegen 21.00 Uhr in Wien vor einen Zug. Der Tote sei aufgrund seines Aussehens identifiziert worden; dies müsse jedoch noch durch eine DNA-Analyse überprüft werden. Der Mann habe die Schlüssel des Autos dabei gehabt, in dem der Verdächtige nach dem Entkommen seines Opfers geflohen war.
Nach Natascha Kampuschs Angaben hatte der Entführer sie während ihrer achtjährigen Gefangenschaft gelegentlich zu kleineren Spaziergängen mitgenommen und ihr standen auch Radio, Fernsehen, Bücher und Zeitungen zur Verfügung, wie die Polizei mitteilte. Den Ermittlern zufolge gibt es bei der Frau Hinweise auf das Stockholm-Syndrom, bei dem Entführungsopfer innige Beziehungen zu den Tätern aufbauen. Damit sei möglicherweise zu erklären, warum sie nicht schon früher geflohen sei.
Immer wieder Hinweise
Wahrscheinlich sei die Frau bis zuletzt physischer Gewalt und wahrscheinlich auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Dagegen erklärte Herwig Haidinger von der Bundespolizei, Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch gebe es nicht. Bei dem Tatverdächtigen soll es sich um einen entfernten Bekannten der Familie des Mädchens handeln, der zu Beginn der Ermittlungen selbst befragt worden war.
Seit die zehnjährige Natascha 1998 auf dem Weg zu ihrer Wiener Schule verschwunden war, hatte der Fall die österreichische Polizei in Atem gehalten. Immer wieder waren mehr oder weniger seriöse Hinweise bei der Polizei eingegangen, die die Ermittler jedoch nicht weiterbrachten. Im Jahr 2004 untersuchten die Beamten sogar, ob der Fall mit dem französischen Serienmörder Michel Fourniret zusammenhing. (stu)