1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Atomkraft geht die Puste aus

13. September 2017

Noch werden Atomkraftwerke gebaut. Doch den Kampf gegen die klimafreundlichere Energie kann der Atomstrom nicht mehr gewinnen: Er ist teurer als Strom aus Wind und Sonne - und treibt Konzerne allmählich in den Ruin.

https://p.dw.com/p/2joc1
Artemovskaya Kraftwerk Russland Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/Y.Smityuk/TASS

Die Zukunftsaussicht für die Atomindustrie? Nicht gerade rosig. Oder vielmehr: schlecht. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle World Nuklear Industry Status Report, der in Paris veröffentlicht wurde. Auf 267 Seiten gibt der Report einen detaillierten Überblick über den weltweiten Zustand der Atomindustrie und skizziert zugleich die Krise und den Bedeutungsverlust dieser einst sehr mächtigen Industrie. Im Wettbewerb um die klimafreundliche Energie der Zukunft kann die Atomenergie weltweit inzwischen nicht mehr mithalten.

Der "World Nuclear Industry Status Report" erscheint seit 2004 und ist inzwischen zu einer der wichtigsten Informationsquelle über die Entwicklungen im Atomsektor geworden. Der ehemalige Boss des öffentlichen amerikanischen Stromunternehmens TVA, David Freeman, bezeichnet den Bericht in seinem Vorwort gar als "das vielleicht entscheidendste Dokument in der Geschichte der Atomkraft". Denn, so Freeman, "der Bericht stellt bis ins anschaulichste Detail klar: Die Debatte ist vorbei. Atomkraft ist von Sonne und Wind verdrängt worden."

Trotz mehr Atomkraft ein Niedergang?

Es werden noch Atomkraftwerke gebaut, doch der Zubau lahmt und ohne das starke Engagement von China sähe die Zukunft der einst strahlenden Industrie noch düsterer aus. Nach Angaben des Reports gingen 2016 weltweit zehn Atomreaktoren neu ans Netz und zwei Reaktoren im ersten Halbjahr 2017. Die Hälfte all dieser Kraftwerke wurden in China gebaut, zwei Reaktoren gingen jeweils in Indien und Russland ans Netz und jeweils ein Reaktor in Süd-Korea, Pakistan und nach 43 Jahren Bauzeit auch einer in den USA.

Abgeschaltet wurden in dieser Zeit jeweils ein Reaktor in den USA, Russland, Schweden und Süd Korea. In der Bilanz nahm folglich die weltweite Reaktorleistung und auch Atomstromproduktion im Vergleich zu 2015 leicht zu.

Anders sieht dagegen die längerfristige Betrachtung der Atomkraft aus. Gegenüber 2006 ging die weltweite Atomstromproduktion um etwa sieben Prozent zurück und bei weltweit steigendem Strombedarf verliert die Atomkraft zunehmend an Bedeutung - ihr Anteil am Strommix sank seit 1996 von von 17,5 auf 10,5 Prozent.

Infografik Anteil von Atomkraft an Stromproduktion DEU

2016 wurden noch weltweit zwei Neubauprojekte in China und eins in Pakistan begonnen. Doch dieser Zubau reicht nicht mehr aus, um die Bedeutung von Atomkraft im globalen Strommix langfristig zu sichern: Nach Angaben des Reports wurden weltweit 2010 noch fünf mal mehr Bauprojekte begonnen, vor allem in China. Im Jahr 1976 waren es sogar 15 mal mehr als 2016.

Zu kämpfen hat die Atomindustrie somit auch mit einem alternden Kraftwerksbestand. Die Atomkraftwerke sind weltweit im Durchschnitt 29 Jahre alt und laut Prognosen der Autoren werden mehr als die Hälfte in den nächsten zwei Jahrzehnten wahrscheinlich vom Netz gehen.

Atomindustrie in der Krise

Die goldenen Zeiten der einst lukrativen Atomwirtschaft sind demnach vorbei. Die finanziellen Krisen, die politische Abkehr von Atomkraft in Frankreich und Südkorea und auch der rasante Aufstieg von günstiger Solar- und Windkraft setzen der Branche zu.

Welche zusätzlichen Probleme die Atomkraft verursachen kann, zeigen die Autoren in ihrem Sonderteil zu Fukushima. Darin wird aufgedröselt wie schwierig, gefährlich, ungelöst und auch teuer die vier Reaktorkatastrophen von 2011 für Japan noch immer sind. Neben dem menschlichen Leid durch Radioaktivität, verursachen die anhaltenden Aufräumarbeiten nach Schätzungen der Regierung Kosten von umgerechnet 200 Milliarden Dollar, nach Recherchen der Autoren könnten sich diese durch teure Dekontaminierungsarbeiten aber auch auf 630 Milliarden Dollar erhöhen.

Japan Sechs jahre nach dem Reaktorunglück in Fukushima
Vier Reaktoren wurden in Fukushima zerstört. Trotz umfangreichen Maßnahmen wird weiter Radioaktivität freigesetzt, ein Ende der Katastrophe ist nicht in Sicht. Ein Teil des radioaktives Wasser wird in den Tanks "zwischengelagert". Bild: Reuters/T. Hanai

Wie schwer es um die Atomindustrie inzwischen steht, zeigt sich aber auch an den Bilanzen von führenden Konzernen: Der einst weltgrößte Atomkraftwerksbauer Westinghaus ging in den USA im Frühjahr in die Insolvenz und hinterließ der japanischen Konzernmutter Toshiba einen Verlust von rund neun Milliarden Euro.

Auch Frankreichs staatlichem Atomkonzern AREVA ging es in den vergangen Jahren nicht besser: Verursachte Verluste von umgerechnet 12,3 Milliarden Dollar konnten nur mithilfe des französischen Staates gerettet werden.

Nicht besonders gut geht es laut Report aber auch den Energieunternehmen in Europa und Asien, die mit der Atomkraft ihr Geldverdienen. Der Wert dieser Unternehmen an der Börse sank in den letzten zehn Jahren massiv, im Vergleich zu vergangenen Spitzenwerten verloren die Aktien von EDF, E.ON, RWE und TEPCO sogar über 80 Prozent des Werts.

Infografik Zubau von Wind-, Solar- und Atomkraft weltweit DEU

Wind- und Solarenergie verdrängen Atomkraft

Unter Druck gerät die Atomindustrie aber vor allem auch durch den Wettbewerb. Der Strom aus neuen Atomkraftwerken kostet im Vergleich zu Wind- und Solarstrom in der Produktion inzwischen etwa doppelt so viel. Hinzu kommen die ungelösten Probleme mit Atommüll, das Risiko von Atomunfällen und die oft sehr langen Bauzeiten der Großprojekte.

Weil Wind- und Solarkraft in den letzten Jahren durch Kostensenkungen immer konkurrenzfähiger wurden, werden deshalb zunehmend weltweit erneuerbare Kraftwerke gebaut. Nach Angaben des Reports stieg die weltweite Stromproduktion von Atomkraftwerken 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent, die von Windkraft jedoch um 16 Prozent und die von Phovoltaik um 30 Prozent.

Rueter Gero Kommentarbild App
Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion