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Die Revolution der Netze

Hilke Fischer8. April 2014

Die schwankende Auslastung durch Wind- und Solarstrom bringt Deutschlands Stromnetze ans Limit. Mit einer dezentralen Versorgung und intelligenten Netzen soll gegengesteuert werden.

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Windräder und Stromleitung
Bild: picture-alliance/dpa

Utopia 2035: In der Stadt der Zukunft sind in vielen Häusern Wärmepumpen installiert. Wenn ordentlich Wind weht, wandeln sie Strom in Wärme, mit der den ganzen nächsten Tag über die Fußbodenheizung läuft. Wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, schmeißt ein Nachbar sein Blockheizkraftwerk an und verkauft den umliegenden Haushalten etwas von seinem Strom. In der Stadt der Zukunft läuft die Waschmaschine dann, wenn gerade viel Strom im Netz ist. Und auch der Akku des Elektroautos lädt zu einer Tageszeit, zu der Sonne und Wind die Netze gerade mit Strom vollpumpen.

Die Energiewende macht solche Szenarien notwendig, denn die erneuerbaren Energien produzieren nicht immer gleich viel Strom. Schon jetzt ist das Stromnetz durch die ungleichmäßige Einspeisung von Wind und Sonne regelmäßig am Rande des Zusammenbruchs. Mit Hilfe von intelligenten Netzen soll der Strom dann verbraucht werden, wenn er da ist, um größere Ausschläge im Stromnetz zu vermeiden und das Netz stabil zu halten. Wenn der Strom dort effizient genutzt wird, wo er produziert wird, muss zudem weniger Strom über die quer durch Deutschland geplanten Stromautobahnen transportiert werden - das spart Kosten.

Wärmepumpe im E.ON Energy Research Center in Aachen Foto: Jöran Hahn
Wenn zu viel Strom im Netz ist, kann damit die Wärmepumpe betrieben werdenBild: E.ON/Jöran Hahn

Gebäude sind mit einem Anteil von 40 Prozent die größten Energiekonsumenten - hier lässt sich mit einer effizienteren Nutzung des Stroms viel bewirken. "Im Kontext der Energiewende hat die Stadt Anteil an einer dezentral organisierten Energieversorgung", sagt Dirk Müller, Professor am E.ON Energy Research Center in Aachen. In den Gebäuden kann Strom erzeugt, verteilt und gespeichert werden. Letzteres vor allem in Form von Wärme, denn die Speicherung von Strom an sich ist teuer und aufwändig.

Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft

Am Aachener Energieforschungsinstitut untersuchen Elektrotechniker, Geologen, Maschinenbauer und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam, wie sich die praktischen Herausforderungen der Energiewende stemmen lassen. Ein wesentlicher Teil ihrer Forschung wird aus Drittmitteln finanziert - sie kommen unter anderem von E.ON, Namensgeber des Zentrums und einer der größten Energieversorger in Deutschland.

Die Idee der dezentralen Energieversorgung will nicht so recht in das Bild des Unternehmens passen, das seine größten Gewinne traditionell mit Atom- und Kohlekraftwerken eingefahren hat. Aber: E.ON möchte zu den Gewinnern der Energiewende gehören. "Wir arbeiten daran, die Netze intelligenter und flexibler zu machen", sagt Urban Keussen, stellvertretender Vorsitzender des Bereichs Technologie und Innovation bei E.ON. Im Mittelpunkt stehe der Kunde: Er solle die Möglichkeit haben, seinen Verbrauch besser kontrollieren und steuern zu können. "Damit dienen wir nicht nur der Energiewende, sondern können auch wirtschaftlich interessante Lösungen für den Kunden und für E.ON finden."

Um ihr Ziel der intelligent vernetzten Stadt zu erreichen, fordern die Wissenschaftler aus Aachen nicht weniger als eine Revolution des Stromnetzes: Weg von den alten Wechselstromleitungen, hin zum Gleichstromnetz. Denn Wind und Sonne werden schon jetzt mit Gleichstrom in das System eingespeist. Und auch die geplanten Stromautobahnen, die Windenergie vom Norden in den Süden transportieren sollen, sind Gleichstromtrassen. Die Netze, mit denen der Strom dann aber verteilt wird, zum Beispiel innerhalb von Städten, funktionieren momentan noch mit Wechselstrom.

Das E.ON Energy Research Center in Aachen Foto: Hilke Fischer
Das E.ON Energy Research Center in AachenBild: DW/H. Fischer

"Das existierende Netz ist dumm", beschreibt Rik De Doncker, Direktor des Aachener Energieforschungszentrums, den Status Quo. Das Wechselstromnetz sei nicht dynamisch und bei einem weiteren Ausbau der dezentralen Energieversorgung und der regenerativen Energien kaum noch zu managen. 80 Prozent der bestehenden Verteilnetze müssten in den kommenden 15 Jahren sowieso erneuert werden. Die Netzbetreiber wären deshalb gut beraten, die bestehenden Wechselstromleitungen durch Gleichstromleitungen zu ersetzen. Das wäre außerdem wesentlich effizienter, denn wenn der Strom auf dem Weg zu seinen Endverbrauchern erst in Wechselstrom gewandelt werden muss, geht viel Energie verloren.

Hohe Investitionskosten, geringe Planungssicherheit

Sein Geldgeber E.ON - mit seiner Tochtergesellschaft E.ON Netz größter Verteilnetzbetreiber in Deutschland - ist da skeptischer. "Die Übergangskosten vom einen System ins andere sind sehr hoch und können sehr komplex sein, deswegen würde es erst einmal einer sorgfältigen Analyse bedürfen, um zu sagen, ob ein Übergang Sinn macht", sagt Urban Keussen. Intelligente Netze seien zwar notwendig, die Rahmenbedingungen müssten aber stimmen: "Notwendige Investitionen müssen gefördert werden, damit derjenige, der investiert, das eingesetzte Geld auch zurückverdient."

Um die Revolution der Netze zu bewerkstelligen, sei vor allem eins notwendig: Planungssicherheit durch eine klare Politik. "In der Energiebranche sind langlebige Investitionen gefragt, deshalb brauchen wir Stabilität und Sicherheit", so Keussen. "Man kann da nicht im Jahrestakt oder im Takt von Legislaturperioden hü oder hott sagen." Dem können die Wissenschaftler am Aachener Energieforschungszentrum nur zustimmen. "Heutzutage haben wir auch in unserer Forschungsumgebung das Gefühl, dass sich viele Richtlinien und auch die Politik zu schnell ändert", so Rik De Doncker. Die Forschung für eine gute Doktorarbeit dauere im Schnitt fünf Jahre. "Aber vielleicht hat sich nach ein, zwei Jahren die politische Meinung schon geändert, dann laufen wir wieder hinterher." Für die intelligenten Netze aber braucht man Innovationen und Investitionen. Dann könnte die Stadt der Zukunft 2035 schon Gegenwart sein.

Dr. Urban Keussen Foto: Hilke Fischer
Urban Keussen, Vize-Chef der E.ON-Sparte Technologie und InnovationBild: DW/H. Fischer