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Literatur

Elfriede Jelinek: "Die Klavierspielerin"

Sabine Kieselbach
7. Oktober 2018

Die Leidensgeschichte der Klavierlehrerin Erika Kohut, die unter ihrer herrschsüchtigen Mutter emotional und sexuell verkümmert und in einer sadomasochistischen Beziehung Erlösung sucht – vergebens.

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Porträt Elfriede Jelinek
Bild: Imago/Leemage/S. Bassouls

"Wirbelwind" nennt die Mutter ihr ungestümes Kind. Eigentlich ist Erika ja brav und folgsam, und wenn sie doch mal was ausfrisst, dann beichtet sie es schon nach kurzer Zeit. Wie gut sich Mutter und Tochter verstehen! Sie leben zusammen, sie wollen nie auseinander gehen. Sogar das Bett teilen sie.

Kleiner Schönheitsfehler: Erika ist Ende 30, ihre Mutter fast doppelt so alt. Die beiden sind einander in Hassliebe verbunden, seelisch verkümmert. Es ist eine völlig kranke Situation.

"Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek

1983 erscheint Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin", die verstörende Geschichte einer nicht mehr ganz jungen Frau, die hinter einer bürgerlichen Fassade von ihrer herrschsüchtigen Mutter terrorisiert wird. Viele Rezensenten sehen zunächst vor allem die biografischen Parallelen zwischen der Autorin und ihrer Figur.

Das eigene Leben als Roman?

"Eine weltbekannte Pianistin, das wäre Mutters Ideal; und damit das Kind den Weg durch Intrigen auch findet, schlägt sie an jeder Ecke Wegweiser in den Boden und Erika gleich mit, wenn diese nicht üben will. Die Mutter warnt Erika vor einer neidischen Horde, die stets das eben Errungene zu stören versucht und fast durchwegs männlichen Geschlechts ist."

Tatsächlich hat Elfriede Jelinek – wie die Klavierlehrerin Erika – am Konservatorium das Klavierspiel gelernt und sollte nach dem Willen der Mutter eine Karriere als Pianistin antreten. Aber anders als ihre Romanfigur hat Elfriede Jelinek sich den mütterlichen Erwartungen entziehen können und bereits früh mit dem Schreiben begonnen – wenngleich sie sich bis zu deren Tod nie wirklich befreit hat, ja, sogar eine Wohnung mit ihr teilte.

Film Die Klavierspielerin, mit Isabelle Huppert
Michael Haneke führte beim Film "Die Klavierspielerin" (2001) Regie.Bild: Imago/United Archives

Für Erika dagegen reicht es nur zur Klavierlehrerin – und zum Leben an Mutters Seite. Sie ist es, die fortwährend die Regeln bestimmt und der Tochter keine eigenen Wünsche gestattet. Mit dem Ergebnis, dass Erika emotional und sexuell verkümmert. Weil an ein eigenes Liebesleben nicht zu denken ist, besucht sie Peepshows und beobachtet Fremde beim Sex im Park. Aber nicht mal das hilft. Sie spürt auch dann nichts, als sie beginnt, sich selbst zu verletzen. 

"SIE prüft vorsichtig die Schneide, sie ist rasierklingenscharf. Dann drückt sie die Klinge mehrere Male tief in den Handrücken hinein, aber wieder nicht so tief, daß Sehnen verletzt würden. Es tut überhaupt nicht weh. Das Metall fräst sich hinein wie Butter."

Als einer ihrer Schüler sie heftig umwirbt, reagiert sie zunächst abweisend, vertraut ihm später aber ihre sadomasochistischen Fantasien an. Mit dramatischen Folgen.

Erlösung gibt es, soviel sei gesagt, nicht für die Klavierspielerin. Auch nicht für den Leser. Der Roman ist bis heute eine beunruhigende, aufwühlende Lektüre. Dabei dringt durch all die Düsternis der Geschichte auch ein sarkastischer Humor.

Die Tabubrecherin

"Die Klavierspielerin" ist eines der bedeutendsten Werke von Elfriede Jelinek, auch wenn der Roman sehr unterschiedlich gelesen wurde: als persönliche Leidensgeschichte der Autorin selbst, die ihre eigene krankhaft-symbiotische Beziehung zur Mutter beschreibt, aber auch als Buch über familiäre Gewalt und den Krieg der Geschlechter. So distanziert, fast kalt, so drastisch hat bis dahin keine Frau über Familie, Sexualität, körperliche und seelische Grausamkeit geschrieben.

Seitdem gilt Jelinek als Tabubrecherin, auch als Nestbeschmutzerin, weil sie in späteren Werken den österreichischen Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit kritisiert hat. In all ihren Arbeiten – Romanen und Theaterstücke vor allem – hat sie immer wieder kritisch Stellung bezogen zu gesellschaftlichen Missständen. Sie ist umstritten, wird aber auch gefeiert, und zwar vor allem – wie es die Jury des Literaturnobelpreises 2004 formuliert hat – für ihre einzigartige sprachliche Leidenschaft.

Filmstill | Die Klavierspielerin
Isabelle Huppert (links) verkörperte die Pianistin.Bild: picture-alliance/United Archives

 

Elfriede Jelinek: "Die Klavierspielerin" (1983), Rowohlt Verlag

Elfriede Jelinek wurde 1946 im österreichischen Mürzzuschlag geboren und ist eine der bekanntesten aber auch umstrittensten Schriftstellerinnen deutscher Sprache. Ihr Werk umfasst zahlreiche Romane und Theaterstücke, in denen sie zu gesellschaftlichen Missständen kritisch Stellung bezieht. Etliche ihrer Bücher wurden verfilmt. 2004 erhielt Jelinek den Literaturnobelpreis.